Nach dem verheerenden Schusswaffenangriff an der Karls-Universität in Prag haben die Behörden die Zahl von 14 Toten offiziell bestätigt. Das sagte der tschechische Polizeipräsident Martin Vondrasek am späten Donnerstagabend auf einem im Fernsehen übertragenen Briefing. Zuvor hatte er von 15 Toten gesprochen. Auch der Schütze sei tot, teilte Polizeipräsident Martin Vondrasek mit.
Die Übersicht:
Zu den Schüssen kam es an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität am Jan-Palach-Platz. Innerhalb kurzer Zeit traf ein Grossaufgebot der Polizei ein, darunter Spezialkräfte. Der Jan-Palach-Platz ist nur wenige Hundert Meter von der bekannten Karlsbrücke entfernt, dem Wahrzeichen der Stadt an der Moldau.
Die Polizei rief die Menschen auf, die Gegend weiträumig zu meiden und sperrte den Platz ab. Anwohner sollten nicht aus dem Haus gehen. Auf Fotos war zu sehen, wie Studenten das Universitätsgebäude mit erhobenen Armen verliessen. Nach einem Bericht des Fernsehsenders Nova soll sich der Schütze zuletzt auf dem Dach des Fakultätsgebäudes aufgehalten haben. Auch eine Explosion sei demnach zu hören gewesen.
Studenten und Mitarbeiter der Universität teilten in den sozialen Medien mit, dass sie sich in Hörsälen und Büros verbarrikadiert hätten. Die Menschen sollten nach und nach aus dem Gebäude gebracht werden. Der Rettungsdienst schickte mehrere Rettungswagen, Notärzte und einen Grossraumrettungswagen zum Einsatzort.
Auf X teilte ein Nutzer ein Bild von einer verrammelten Tür eines Klassenzimmers im Gebäude. Er habe sich darin verbarrikadieren können, bevor der Schütze versuchte, die Tür zu öffnen.
Currently stuck inside my classroom in Prague. Shooter is dead, but we are waiting to be evacuated. Praying to make it out alive.
— Jakob Weizman (@jakobweizman) December 21, 2023
Locked the door before the shooter tried to open it. Fucking hell. pic.twitter.com/wYyhOe5U6p
Der tschechische Innenminister Vit Rakusan sagte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen CT, es gebe keine Hinweise auf einen zweiten Täter oder auf einen terroristischen Hintergrund. Es habe sich um einen einsamen Schützen gehandelt, sagte Regierungschef Petr Fiala.
Gemäss der tschechischen Tageszeitung «lidovky», die sich auf die Polizei beruft, war die Polizei dem Angreifer offenbar noch vor seiner Bluttat dicht auf der Spur.
Die Polizei geht davon aus, dass es sich bei dem mutmasslichen Täter um um David K., einen 24-jährigen Geschichtsstudenten der Hochschule handele, der kurz zuvor seinen Vater in dessen Wohnung im nahegelegenen Dorf Kladensko ermordet habe und deswegen gesucht worden sei.
Wenig später, um 12:45 Uhr, hätten die Beamten dann die Information erhalten, dass der Mann das Dorf in Richtung Prag verlassen wollte, um sich das Leben zu nehmen. Auch stuften sie ihn als gefährlich ein. «Wir fanden heraus, dass er um 14 Uhr einen Vortrag halten sollte. Deshalb kamen wir sofort in die Celetná-Straße zum Gebäude der Philosophischen Fakultät, wo wir eine Evakuierung durchführten», zitiert «lidovyk» den örtlichen Polizeichef.
Über ein mögliches Motiv herrscht bisher Unklarheit. Eine Hypothese der Ermittler lautet nach Aussage des Polizeipräsidenten Martin Vondrasek, dass der 24-Jährige auch für einen Doppelmord vor einer Woche verantwortlich gewesen sein könnte. Ein Vater und dessen Tochter im frühen Säuglingsalter waren scheinbar grundlos in einem Waldstück am Prager Stadtrand erschossen worden. Der Fall hatte in Tschechien für Entsetzen gesorgt.
Bei seiner mutmasslichen Tat in der Karls-Universität soll sich K. an einer ähnlichen Tat aus dem Ausland orientiert haben, so die Polizei. Nähere Informationen nannten die Beamten nicht. Ein Telegramkanal unter dem Namen des mutmasslichen Schützen liefert jedoch offenbar nähere Hinweise: Demnach habe sich K. an Alina A. orientiert – eine 14-jährige Achtklässlerin aus Russland. Sie hatte Anfang Dezember an einer Schule in Brjansk zwei ihrer Mitschüler erschossen und mehrere verletzt, bevor sie sich selbst tötete.
«Darf ich mich vorstellen, mein Name ist David. Ich möchte in der Schule schiessen und möglicherweise Selbstmord begehen», ist auf dem Telegramkanal des mutmasslichen Täters bereits kurz nach der Tat A.'s in Brjansk in russischer Schrift zu lesen. A. habe ihm bei seiner Entscheidung «sehr geholfen», so der Verfasser der Nachricht. «Ich hasse die Welt und möchte so viel Schmerz wie möglich hinterlassen», heisst es wenige Tage später. Seine letzte Nachricht ist vom Dienstag. «Ich habe ein Klingeln in meinen Ohren... wie eine Art verdammtes Glühwürmchen. Ich wollte mir die Ohren ausreissen», schreibt er darin.
Der tschechische Präsident Petr Pavel sprach den Angehörigen der Getöteten sein Beileid aus. Er dankte den Bürgern beim Kurznachrichtendienst X am Donnerstag dafür, dass sie den Anweisungen der Sicherheitskräfte gefolgt seien. Wie das Büro des Staatsoberhaupts mitteilte, brach Pavel seinen derzeitigen Frankreich-Besuch ab, um vorzeitig nach Tschechien zurückzukehren.
Ministerpräsident Fiala brach einen Arbeitsbesuch in Mähren ab. «Aufgrund der tragischen Ereignisse habe ich mein Arbeitsprogramm in Olomouc abgesagt und werde nach Prag zurückkehren», teilte der liberalkonservative Politiker mit. Am späten Abend sollte das Kabinett zu einer Krisensitzung zusammenkommen.
Der Prager Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda zeigte sich schockiert. «Das ist eine Tragödie», sagte er dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen CT. «Das Schlimmste daran ist, dass diese Dinge nicht zu verhindern sind.» Viele dächten, so etwas könne nur in den USA passieren, weil viele dort bewaffnet seien. Es zeige sich, dass dem nicht so sei.
Zahlreiche Staats- und Regierungschefs sowie weitere Spitzenpolitiker aus dem In- und Ausland sprachen ihre Anteilnahme aus. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb auf X, die Nachricht über die tödlichen Schüsse habe ihn zutiefst erschüttert.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich tief bestürzt über die schrecklichen Nachrichten aus Prag. «Unsere Gedanken sind bei den Familien und Freunden der Opfer, unser Mitgefühl gilt unseren tschechischen Freundinnen und Freunden», schrieb der SPD-Politiker beim Kurznachrichtendienst X.
Auch UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich laut seinem Sprecher «schockiert und traurig» über den Vorfall an der Karls-Universität. Er sprach den Angehörigen der Todesopfer in der Nacht zum Freitag seine tiefe Anteilnahme aus und wünschte den Verletzten eine baldige und vollständige Genesung.
Es dürfte der schlimmste Schusswaffenangriff in der Geschichte der seit 1993 unabhängigen Tschechischen Republik sein.
(lst/sda/t-online)