Seit drei Jahren umrundet ein grosses Paket Weltraumschrott unsere Erde. Die Palette mit alten Nickel-Wasserstoffbatterien war am 21. März 2021 von der Internationalen Raumstation ISS abgetrennt worden und soll in den kommenden Stunden in die Erdatmosphäre eintreten.
Wirkliche Sorgen, dass Teile des Müllhaufens eine Gefahr darstellen könnten, müssen die Menschen in Deutschland sich laut Behörden und Raumfahrtagenturen nicht machen. Aber darf man womöglich auf ein kleines Feuerwerk hoffen? Hier gibt es Antworten zu den wichtigsten Fragen.
Rainer Kresken, Leiter der Starkenburg-Sternwarte in Heppenheim und Raumfahrtingenieur bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, sagte t-online: «Zurzeit sagen die Berechnungen, dass das Objekt gegen 17.52 Uhr unserer Zeit über Brasilien in die Atmosphäre eintritt. Aber es gibt auch eine kleine Chance, dass es über Deutschland verglüht. Das könnte eine richtig gute Show werden.» Er fordert Fans auf, die Augen Richtung Himmel zu richten, denn in bestimmten Gebieten könnte man den Eintritt mit blossem Auge sehen, «als Lichtstreifen oder flammendes Objekt, das sich von einem Horizont bis zum anderen bewegt.» Auch in der Schweiz darf man hoffen.
Bei dem Objekt handelt es sich den Angaben zufolge um eine Plattform mit ausrangierten Batteriepaketen, die in etwa so gross ist wie ein Auto oder ein kleiner Sperrmüllcontainer, und 2,6 Tonnen wiegt – das bislang grösste Objekt, das aus der ISS abgeworfen wurde.
Die Plattform trägt die offizielle Bezeichnung «iss064e041250» und wurde bereits am 21. März 2021 in einer Höhe von etwa 420 Kilometern über der Erdoberfläche bewusst von der ISS abgetrennt. Berechnungen ergaben, dass der riesige Batteriehaufen zwei bis drei Jahre später in die Atmosphäre eintreten und dort verglühen würde. Er wurde seit seinem Abwurf überwacht.
Eine Karte des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zeigt die wahrscheinliche Überflugbahn über Deutschland. Bei etwas Glück wird auch die Schweiz gestreift. Dabei ist zu beachten, dass die Karte Uhrzeiten in Zulu-Zeit angibt und damit eine Stunde früher als auf unseren mitteleuropäischen Uhren. Die Trümmerteile fliegen demzufolge in einem Zickzackmuster und in drei Vorbeiflügen über diverse Bundesländer wie Niedersachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
«Die Chance, das Objekt tatsächlich zu sehen zu bekommen, ist hier am grössten» sagt ESA-Raumfahrtingenieur Kresken. Dabei wird es sich aber nur um ein Zeitfenster von ein paar Minuten handeln, in denen der Schrottcontainer sich von einem Horizont zum anderen bewegt, womöglich in Form eines flammenden Lichtstreifens. Wer sich auf einer erhöhten Stelle mit freiem Blickfeld positionieren kann, sollte das tun.
Auf der Website satflare.com kannst du zudem in Echtzeit die Laufbahn des Batteriepakets der ISS verfolgen. Unter dem Menüpunkt «Predict Passes» ist zu sehen, wann die Trümmerteile über den eigenen Standort hinwegziehen.
Es handelt sich um einen unkontrollierten Wiedereintritt, deswegen sind genaue Vorhersagen sehr schwer. Zurzeit gehen die Experten davon aus, dass das Schrottpaket am heutigen Freitagabend final abstürzt.
«Das Objekt wird allmählich durch die Atmosphäre abgebremst und verliert damit an Bahnhöhe», sagte der Leiter des ESA-Programms für Weltraumsicherheit, Holger Krag, dem Online-Portal der «Tagesschau». «Die grossen Unsicherheiten kommen daher, dass wir nicht genau voraussagen können, wie dicht die Atmosphäre sein wird. Es hängt von vielen Faktoren ab und bleibt zu einem grossen Teil dem Zufall überlassen. Insofern kann man selbst einige Stunden vorher den Ort noch nicht genau benennen. Man kann vielleicht einige Kontinente ausschliessen, aber man kann die Vorhersage auf keinen Fall auf ein Land oder eine Stadt herunterbrechen.»
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hatte am Donnerstagnachmittag über mehrere Warn-Apps eine amtliche Gefahreninformation verbreitet, derzufolge die Wahrscheinlichkeit, dass Trümmer auf Deutschland stürzen, sehr gering sei.
Laut BKK sind in Deutschland und der Schweiz Leuchterscheinungen möglich. Auch könne eventuell ein Überschallknall wahrgenommen werden. «Vielleicht sieht man das Zerlegen ja als schöne Sternschnuppe», mutmasste Europas früherer Raumfahrtchef Jan Wörner. Er geht davon aus, dass der Weltraumschrott nahezu komplett in der Atmosphäre verglühen werde.
Selbst wenn Teilchen durchkämen, sei ein Treffer auf bewohntem Gebiet unwahrscheinlich, so Wörner. «Unter der grossen Fläche, die das Paket überfliegt, ist sehr viel Wasser.»
Ein Puff und alles ist vorbei? Ein wenig länger dauert das Zerlegen des Weltraumschrottes schon. «Das geht sehr schnell», sagte Krag. Von einer Höhe von 100 Kilometer, in der der Wiedereintritt stattfindet, wenn das Objekt anfängt, sich zu zerlegen, bis zum Boden sind es zehn Minuten.
Der Batterieblock wird seinen Angaben nach aber nicht als kompaktes Einzelteil auf ein ganz eng begrenztes Gebiet fallen, «sondern das verteilt sich eher in einer längeren Trümmerschleppe.» Man werde in dem betroffenen Gebiet eher alle 10 oder 20 Kilometer ein kleineres Teil erwarten, so Krag.
Die Experten können mit Radaren feststellen, dass das Objekt nicht mehr im Weltraum unterwegs ist. Zudem ist es möglich, dass Lichtspuren am Himmel beobachtet und vielleicht auch per Foto oder Video festgehalten werden.
Dass Weltraumschrott in die Atmosphäre eintritt und dort verglüht, ist gängiges Prozedere. So fand erst vor wenigen Wochen der vor fast 30 Jahren gestartete europäische Satellit «ERS-2» ein solches Ende und wurde planmässig zerstört. Auch dass kleinere Trümmer die Erdoberfläche erreichen, kommt immer wieder vor. Meist gehen sie über dem Ozean oder unbewohntem Gebiet nieder. Nach Angaben der US-Raumfahrtbehörde Nasa ist in den vergangenen 50 Jahren durchschnittlich ein bekanntes Stück pro Tag auf die Erde gefallen. Bislang sei dadurch keine ernsthafte Verletzung oder bedeutender Sachschaden bekannt.
Nach Angaben der US-Raumfahrtbehörde Nasa sind derzeit mehr als 25'000 Objekte mit einem Umfang von mehr als zehn Zentimetern im Weltraum unterwegs, etwa 500'000 mit einem Umfang zwischen einem und zehn Zentimetern sowie mehr als 100 Millionen Partikel, die grösser als ein Millimeter sind. Insgesamt seien es mehr als 9'000 Tonnen. Ursprung seien vor allem Satellitenexplosionen und Kollisionen.
Viele Länder, die im Weltraum aktiv sind, haben sich besorgt gezeigt und dafür ausgesprochen, die Entstehung von weiterem Weltraumschrott so weit wie möglich zu reduzieren – zum Beispiel durch entsprechendes Design von Raumschiffen und Satelliten. Der frühere Esa-Chef Wörner forderte zudem «endlich ein Frühwarnsystem zum Schutz der Erde».
Verwendete Quellen: