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Warum sich Boris Johnson und Emmanuel Macron Fische um die Ohren hauen

Fischkampf
Bild: watson/shutterstock

Warum sich Boris Johnson und Emmanuel Macron Fische um die Ohren hauen

Zwischen Grossbritannien und Frankreich tobt ein absurder Fischereikrieg.
02.11.2021, 18:39
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Im kleinen gallischen Dorf von Asterix und Obelix hauen sich die Bewohner immer mal wieder die nicht mehr ganz frischen Fische des Fischhändlers Verleihnix um die Ohren und sorgen so für Erheiterung.

Auch die beiden Staatschefs des Vereinigten Königreichs und Frankreich sind in Sachen Fischereirechte aneinander geraten. Boris Johnson und Emmanuel Macron beschimpfen sich über den Ärmelkanal hinweg aufs Übelste. Und es ist alles andere als lustig. «Das Gekeife und die Rivalität zwischen Grossbritannien und Frankreich wird zu einem ernsthaften internationalen Problem», kommentiert Gideon Rachman in der «Financial Times».

FILE - French fishing vessels block the port of Jersey in protest Thursday, May 6, 2021. France has threatened to bar British boats from some of its ports and tighten checks on boats and trucks carryi ...
Französische Fischereiboote blockieren den Hafen von Jersey.Bild: keystone

Worum geht es? Mit dem Brexit sind auch die Fischereirechte zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU neu ausgehandelt worden. Rund 1700 Boote haben von London die Erlaubnis erhalten, in britischen Gewässern zu fischen. Frankreich fühlt sich jedoch benachteiligt. Deshalb hat Präsident Macron damit gedroht, den britischen Fischern den Zugang zu den französischen Märkten zu verbieten und den Handel über den Ärmelkanal zu erschweren.

Wirtschaftlich gesehen ist das Ganze zweitrangig. «Der Streit ist reiner Wahlkampf für Macron», kommentiert Simon Jenkins im «Guardian». Der französische Präsident will im kommenden April wieder gewählt werden. Ein handfester Streit mit den Engländern kommt ihm mehr als gelegen. Macron will auf jeden Fall vermeiden, dass der Eindruck entstehen könnte, die Engländer würden vom Brexit profitieren.

Der französische Premierminister Jean Castex soll in einem Brief an die EU-Kommission gar vorgeschlagen haben, es sei entscheidend, dass man der europäischen Öffentlichkeit vor Augen führt, dass sich der Brexit für die Briten nicht gelohnt habe. Zudem sind die Franzosen nach wie vor empört darüber, wie die Briten ihnen zusammen mit den Amerikanern das Unterseeboot-Geschäft mit Australien vermiest haben.

Auch Boris Johnson hat im Fischkrieg alles andere als edle Motive. Die langen Schlangen vor den Tankstellen, die explodierenden Gaspreise und die leeren Gestelle in den Supermärkten sind derzeit kein wirklich guter Leistungsausweis seiner Politik. Zudem droht die Gefahr, dass der kommende Winter dies alles noch verschlimmern wird.

French fishermen sort their catch in the port of Boulogne-sur-Mer, northern France, Tuesday, Nov. 2, 2021. French President Emmanuel Macron said that the U.K. now has until Thursday Oct.4, 2021 to lic ...
Französische Fischer sortieren ihren Fang im Hafen von Boulogne-sur-Mer.Bild: keystone

All dies hat dazu geführt, dass auf der Insel die Stimmung umgeschlagen hat. Die «Financial Times» zitiert eine Umfrage, wonach 49 Prozent der Befragten die Frage: «War es rückblickend richtig oder falsch, die EU zu verlassen?» mit «falsch» beantwortet haben. Nur 38 Prozent fanden es «richtig». Eine weitere Umfrage hat ergeben, dass 53 Prozent der Briten angaben, der Brexit habe zu höheren Preisen geführt.

Ein Sündenbock für die Misere ist damit für Johnson ein Geschenk des Himmels. «Sollten die Franzosen ihre Drohung wahrmachen und den Handel mit britischen Gütern verlangsamen, können alle künftigen Mängel der französischen Rachsucht zugeschrieben werden und nicht den inhärenten Defekten des Brexit», kommentiert Rachman.

Johnson ist allerdings ziemlich plump vorgegangen. Er hat Brüssel bereits vor den Kopf gestossen, weil er die Zusagen zu den Grenzen zu Nordirland nicht mehr einhalten will. «Grossbritannien hat null Freunde in Europa und keinerlei Gewicht», stellt daher Jenkins fest. «Er hat Macron einen Knüppel für den Wahlkampf gegeben, die Drohung, den Handel via die Kanalhäfen zu behindern. Das ist ein Skandal.»

Historisch gesehen sind Engländer und Franzosen Erzfeinde. Immer wieder haben sie sich bekriegt. Napoleon war für die Briten gar der «grosse Satan». Umgekehrt sprechen die Franzosen vom «perfiden Albion» und meinen damit die heimtückischen Briten.

FILE - British Prime Minister Boris Johnson, left, greets French President Emmanuel Macron as he arrives at the COP26 U.N. Climate Summit in Glasgow, Scotland, Monday, Nov. 1, 2021. France has threate ...
Die beiden Hitzköpfe Boris Johnson und Emmanuel Macrton haben einen temporären Waffenstillstand beschlossen.Bild: keystone

Heute ist jedoch eine sich verschärfende Rivalität der beiden Erzfeinde das Letzte, was sich der Westen wünschen kann. Gegen die Machtgelüste von Wladimir Putin und den wachsenden Einfluss von China braucht es eine geeinte Front, sei es in der Nato oder an den internationalen Konferenzen wie derzeit in Glasgow.

Das scheinen mittlerweile auch die Hitzköpfe zumindest einzusehen. Macron hat seine Drohungen teilweise wieder zurückgenommen. Doch von einer Versöhnung kann noch nicht die Rede sein.

Bruno Bornell, ein Abgeordneter von Marcons Partei, erklärte gegenüber der BBC: «Die Fischerei ist bloss die Spitze des Eisbergs. Wenn niemand fair spielen mag, werden wir weitere Diskussionen dieser Art erleben. Und das ist genau die Situation, in der wir uns befinden. Wir wollen, dass die beim Brexit gemachten Zusagen respektiert werden. Nicht weniger, und nicht mehr.»

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16 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Daniel Pünter
02.11.2021 18:49registriert April 2021
Gebt ihnen einen Hinkelstein und ein zwei Wildschweine, vielleicht vertragen sie sich dann wieder.
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16
Warum so politisch? Wir müssen ändern, wie wir über 4-Tage-Wochen und Co. reden
Reden wir in der Schweiz über New Work, also neue Formen des Arbeitens, wird die Diskussion sofort politisch. Dabei sollten wir die Wissenschaft einfach in Ruhe dazu forschen und die Unternehmen ihre Wege finden lassen.

Ich stelle mir gerade vor, wie ich vor 50 Jahren meinen Job erledigt hätte. Alleine für diesen Artikel hätte ich mich in ein Archiv begeben müssen. Dann hätte ich mir Notizen gemacht, wäre zurück an meinen Arbeitsplatz und hätte in meine Schreibmaschine getippt. Wäre ein Tippfehler aufgetaucht, wovon ich schwer ausgehe, hätte ich das Blatt entfernen, den Fehler mit Tipp-Ex überstreichen und das Papier wieder einsetzen müssen. (So zumindest stellt man sich das als Gen Y vor.)

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