Mittwoch, der 2. April, soll zum angeblichen «Liberation Day» für die USA werden, zum Tag der Befreiung. So will es Donald Trump haben. Denn vor diesem «Liberation Day» seien die USA ganze 40 Jahre lang, «vielleicht sogar noch länger», im Welthandel ausgenutzt worden – «abgezockt» oder «ripped off». Nun werde er, Trump, endlich wieder für Fairness sorgen – mit Zöllen. Auf Waren, die aus dem Ausland in die USA kommen, soll ein Zoll erhoben werden, also eine Steuer. Das sei die «schönste Sache im Wörterbuch».
Es scheint von Tag zu Tag zu variieren, selbst sein Finanzminister Scott Bessent kommt da anscheinend nicht mehr mit. Dieser hatte gemutmasst, Trump wolle nur Zölle gegen jene Handelspartner erheben, mit denen die USA die grössten Handelsdefizite hat – «die schmutzigen 15 Prozent». Trump hingegen sagte nun an Bord der Air Force One in seiner vorläufig letzten Äusserung:
Weiter hat Trump angedeutet, dass er viel weitergehen will, als bloss die US-Zölle anzugleichen an die Zölle anderer Länder. Vielmehr will er auch deren Mehrwertsteuern miteinbeziehen sowie deren Regulierungen, welche er als unfair betrachtet. Bleibt Trump dabei, stiege das durchschnittliche Zollniveau gemäss Schätzungen der Nachrichtenagentur «Bloomberg» bis auf 35 Prozent – fast 12 Mal höher als heute. Es wäre eine historische Wende im globalen Handel.
Mit der Angleichung der Zölle will Donald Trump mehrere Ziele zugleich erreichen. Er will das US-Handelsdefizit zum Rest der Welt verschwinden lassen, industrielle Arbeitsplätze und Investitionen zurückbringen sowie hohe Einnahmen für den Staat erzielen, nämlich jährlich um die 600 Milliarden Dollar.
Damit will Trump die USA zu dem machen, was sie angeblich nicht mehr seien, nämlich «great» und «respektiert». Und viel reicher. «Wir werden so reich sein, wir werden gar nicht mehr wissen, wie wir das Geld ausgeben sollen.» Es werde ein goldenes Zeitalter anbrechen, behauptet Trump.
Nein, sagt dazu die US-Handelsexpertin Mary E. Lovely vom Peterson Institut. Es gebe zwar Beispiele, bei denen die Europäer höhere Zölle auf US-Waren erheben als umgekehrt. Aber ebenso gibt es Beispiele, bei denen die USA mehr verlangen. So hat die EU höhere Zölle auf Autos, die USA dafür auf Lastwagen. Solche Unterschiede entstehen, weil jedes Land andere Branchen schützen will. Doch über alle Waren hinweg, liegen die USA und Europa nicht weit auseinander, vielleicht um einen Prozentpunkt. «Es ist keine grosse Differenz.»
Dann gibt es Regulierungen, die Trump ebenfalls «unfair» findet. Doch für diese Differenzen gibt es in der Regel gute Gründe. Lovely nennt das Beispiel Pouletfleisch. In den USA darf es mit Chlor gewaschen werden, weil dadurch alles abgetötet wird, was sich auf dem Fleisch befindet und dies als sicherer gilt. In der EU hingegen will man derart behandeltes Fleisch auf keinen Fall auf dem Teller haben.
Nicht nach Ansicht der meisten Experten, Wirtschaftsleute und der Finanzmärkte. Handelsdefizite – die Differenz aus Exporten und Importen – lassen sich nicht mit Zöllen aus der Welt schaffen, sagt Handelsexpertin Lovely zum Wall Street Journal. Zwar sinken die US-Importe zunächst, weil europäische Waren für US-Konsumenten teurer werden. Doch damit ist es nicht vorbei.
Wenn die USA weniger EU-Waren kaufen – also gegen Dollar eintauschen – wird das Angebot von Dollar am Devisenmarkt knapper. Der Dollar wertet zum Euro auf, US-Waren werden in der EU teurer und weniger importiert. Das heisst: Für die USA sinken zwar die Importe, aber auch die Exporte. Lovely sagt: «Am Ende ändert sich am Handelsdefizit vielleicht überhaupt nichts.»
Selbst wenn Trump das Defizit wegbrächte, kehren die Industriejobs nicht zurück. Das zeigt das Beispiel von Deutschland. wo es trotz weltmeisterlich hoher Exporte jahrzehntelang Handelsüberschüsse gab. Heute ist der Anteil industrieller Jobs in Deutschland zwar deutlich höher als jener in den USA, dennoch ist er unerbittlich gesunken: Im Vergleich zu vor 50 Jahren war der Anteil im Jahr 2024 noch halb so hoch. Handelsüberschüsse schützen also nicht vor Deindustrialisierung.
Erwartet wird reihum nichts Gutes von seinen Zöllen. An den Börsen fielen die Aktienkurse jedes Mal, wenn Trump seinen Willen zu hohen Zöllen bekräftigte. Sie stiegen, sobald es irgendeinen Grund zur Hoffnung gab, dass er doch nur einen besseren Deal herausholen wollte. Es klingt, als wollte sich ein Analyst selbst beruhigen, wenn er über Trump sagt:
Doch die Wirtschaft mag anscheinend keine politischen Knallereien. Die Vorzeichen für eine Rezession häufen sich. Die Unternehmen schieben ihre Investitionen hinaus, wie Umfragen der US-Notenbank Fed zeigen. Der CEO einer Baufirma aus Iowa bringt es auf den Punkt: «Unternehmen mögen keine Unsicherheit und kein Chaos.» Die Konsumenten sind viel pessimistischer als noch vor Trumps Amtsantritt und rechnen mit mehr Arbeitslosigkeit und viel mehr Inflation.
Damit dürften sie recht bekommen. Zölle sind letztlich nur Steuern, die Konsumenten auf importierte Waren zahlen. Auch wenn Trumps Berater die Einnahmen aus seinen weitreichenden Zöllen wohl überschätzen, rechnen auch anerkannte Denkfabriken mit Hunderten von Milliarden -und damit mit einer der seit Jahrzehnten grössten Steuererhöhungen.
Dass am Ende die Konsumenten die Rechnung begleichen müssen, zeigt sich am Beispiel der Trump-Zölle auf Autos und deren Vorprodukte. Studien gehen von Preisaufschlägen von mehreren Tausend Dollar aus – und dies nicht nur auf Importe, sondern auch auf Autos scheinbar «made in the USA». In Wahrheit werden US-Autos in ganz Nordamerika und in der ganzen Welt hergestellt: Vorprodukte werden zig Mal hin und her transportiert zwischen den USA, Mexiko und Kanada oder ähnlich wie beim iPhone in aller Welt zusammengekauft.
Das hängt von vielen Fragen ab, die teils erst lange nach dem sogenannten «Befreiungstag» beantwortet werden können. Wie hoch fallen die Zölle aus? Für welche Waren gelten sie? Für wie lange? Für welche Länder? Gibt es Ausnahmen? Wie schnell passt sich die Wirtschaft an und weicht den Zöllen aus? Welche Gegenzölle wird es geben?
Aber eine Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) zeigt die Grössenordnungen. Unter anderem hat sie untersucht, was passieren würde, wenn die USA neue Zölle von durchschnittlich 20 Prozent gegen den Rest der Welt erheben – und dieser Rest dann gegen die USA zurückschlägt. Ein «Goldenes Zeitalter», wie von Trump versprochen, würde nicht anbrechen.
Einige Länder verlieren mehr, manche weniger, aber alle verlieren. Die USA gehören zu den grössten Verlierern: Ihr Bruttoinlandprodukt (BIP) würde um 1,5 Prozentpunkte kleiner. Die eng mit den USA verwachsenen Nachbarländer Mexiko und Kanada trifft es sogar noch härter – mit Verlusten von rund 2 und 3 Prozent.
Die Schweiz und die Europäer hingegen erleiden kleinere, aber nicht unbedeutende Verluste. Erst eine weitere Eskalation würde richtig teuer. Etwa wenn Trump gar Zölle von 25 Prozent gegen die EU erhebt und die EU ihrerseits gleich hohe Zölle auch gegen andere Länder – also auch gegen die Schweiz erhebt. Dies wäre einer der kostspieligsten Fälle, die aus dem Trump'schen Chaos entstehen könnten. Die EU und die Schweiz würden beide je rund 1 Prozent ihres BIP verlieren, einzelne Branche wie Pharma oder Maschinenbau noch mehr.
Solche Zahlen widerspiegeln jedoch meist nur die erste Runde von Effekten. Es kann zu Rezessionen kommen, wenn beispielsweise wie nach Corona globale Lieferketten zerschlagen werden oder die verunsicherten Unternehmen nicht mehr investieren wollen. Oder wenn China und USA sich völlig zerstreiten und die Welt ähnlich wie vor dem Zerfall der Sowjetunion in zwei oder drei Blöcke zerfällt. In diesem Fall gäbe es gar eine Weltwirtschaftskrise.
Es gilt als unwahrscheinlich, dass die EU neue Zölle gegen alle Produkte und Länder erhebt, so wie die Trump nun für die USA angedeutet hat. Wenn sie zu Gegenmassnahmen greift, dann gezielt gegen bestimmte US-Produkte, wo sie sich möglichst hohe politische Wirkung in den USA verspricht und geringen Schaden in der EU selbst.
Entscheidend für die Schweiz ist, dass sie nicht wie in Trumps erster Amtszeit wieder von diesen gezielten Gegenmassnahmen getroffen wird. Damals ging es zum Beispiel um Stahl. Eine Wiederholung will der Bundesrat nun verhindern. Bittend und drohend hat er die EU darauf hingewiesen, dass sich auch gegen die Schweiz richtende Massnahmen kontraproduktiv wären für die bilateralen Verträge, die in eine Volksabstimmung überstehen müssen. Brüssel habe dies verstanden, heisst es in Bern. Andere Stimmen warnen jedoch, die EU könnte einen harten Kurs fahren.
Wenn die USA tatsächlich von Trumps Zoll-Chaos in eine Rezession getrieben werden, würde es wahrscheinlich auch in Europa zu einer Rezession kommen. Da würde auch die Schweiz miterfasst. Das ist laut Schweizerischer Nationalbank (SNB) das Negativszenario.
In einer Rezession steigt meist die Arbeitslosigkeit, man muss eher um den Job bangen. Hingegen wird in der Regel das Erdöl billiger und damit das Benzin. Und der Franken könnte wieder als sicherer Hafen dienen und sich zum Euro aufwerten, wodurch ausländische Waren günstiger würden.
Die Inflation würde noch schwächer, wie SNB-Präsident Martin Schlegel beim letzten Zinsentscheid sagte. Im Februar hatte die Jahresinflation nur 0,3 Prozent betragen. Ohne einen starken Mietanstieg wäre das durchschnittliche Preisniveau gar um 0,3 Prozent gefallen. Schlegel befürchtet, dass die Inflation deutlich negativ wird, wenn in den USA oder in der Eurozone eine Rezession ausbricht. Dann müsste die SNB die Zinsen senken und womöglich wieder Negativzinsen beschliessen, da ihr Leitzins heute schon bei tiefen 0,25 Prozent liegt. Wie Schlegel sagte:
Manche spotten, er wisse schlicht nicht, was er tue. Dieser Erkläransatz speist sich aus Episoden, wie jener aus Trumps erster Amtszeit, als er einen Berater anrief, um zu fragen, ob ein schwacher oder ein starker Dollar besser wäre. Andere sehen ihn als Strategen, welcher eine unfaire Weltordnung abreisst und eine neue bessere errichtet. Was nach Chaos aussieht, enthält demnach in Wahrheit eine Ordnung, welche Normalsterbliche nicht zu erkennen vermögen.
Andere wiederum glauben, dass es letztlich nur um Geld geht. «Follow the money», heisst hier die Devise, «folge dem Geld». Demnach geht es Trump um die Steuersenkungen für Reiche aus seiner ersten Amtszeit. Diese laufen bald aus. Trump will sie fortführen. Doch dann explodieren die Staatsschulden. Trump mag dies egal sein – aber einigen Republikanern im Repräsentantenhaus ist es nicht, und Trump braucht ihre Stimmen. Also bietet Trump diesen Republikanern einen Deal an: Zoll-Einnahmen gegen Steuersenkungen.
Alles ist scheinbar bestens, Schuldenkrise abgewendet, allgemeines Schulterklopfen. Doch verrät Trump seine Wähler mit tiefen und mittleren Einkommen. Durch die tieferen Steuern werden sie viel weniger entlastet, als sie belastet werden durch die Zölle. Bei den superreichen Haushalten hingegen ist es umgekehrt. Der «Tag der Befreiung» ist letztlich ein Tag der Steuern.