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Long-Covid bald heilbar? Studie für Medikament BC007 wird eingereicht

Interview

Long-Covid bald heilbar? Deutsche Mini-Firma macht Hoffnung

Es ist nicht nur ein bisschen Husten, was jene haben, die schwer von Long Covid betroffen sind. Einige mussten ihre Arbeit aufgeben und die Kinder anders betreuen. Sie setzen alle Hoffnung in ein Medikament mit dem Namen BC007. Ulf Berg von Berlin Cures sagt, die Studie werde in den nächsten Wochen eingereicht.
17.10.2022, 22:39
Sabine Kuster / ch media
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Selten gerät eine junge Pharmafirma mit nur 13 Mitarbeitenden in den Fokus der Öffentlichkeit, mit einem Medikament, das erst an vier Patienten getestet wurde. Doch seit einem Jahr ist Berlin Cures mit dem Medikament BC 007 zumindest im deutschsprachigen Raum den meisten Patienten mit Long Covid ein Begriff.

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Von Corona genesen und doch vom Virus weiter belastet, das ist Long Covid-Bild: www.imago-images.de

Im Mai 2021 publizierte der Arzt und Gründer von Berlin Cures, Johannes Hartwig Müller, eine Laborstudie über die Wirkung des Medikamentes auf das Sars-Cov-2-Virus, im Juli 2021 veröffentlichte Bettina Hohberger von der Augenklinik Erlangen die erste erfolgreiche Heilung eines Long Covid-Patienten mit BC 007.

Die Augenärztin hatte als erste bemerkt, dass die Netzhaut von Long Covid-Patienten genauso schlecht durchblutet war wie jene ihrer Patienten mit Grünem Star. Sie arbeitete damals bereits mit Berlin Cures zusammen für die Erforschung der Wirkung von funktionellen Autoantikörpern. Diese greifen fälschlicherweise körpereigene Zellen an – «funktionelle Antikörper» werden jene genannt, die an G-Protein-gekoppelte Rezeptoren binden und so menschliche Zellen schädigen. Sie gelten als die Verursacher verschiedener Autoimmunkrankheiten wie Herzinsuffizienz, Grünem Star, aber auch dem Fatigue-Syndrom, an dem einige der Long-Covid-Patienten leiden. Doch die funktionellen Antikörper sind noch wenig erforscht.

Das lange Warten auf Heilung

Nach dem ersten Erfolg gelang bei drei weiteren Long-Covid-Patienten die Heilung mit BC 007. Als dies im August 2021 publik wurde, hofften die Betroffenen auf einen raschen Start einer Studie, um die Wirksamkeit zu beweisen und eine Zulassung des Medikamentes zu erreichen. Dieses befand sich damals erst gegen Herzinsuffizienz in einer Phase-2-Studie.

Auch ME/CFS-Patienten mit dem Fatigue-Syndrom, einer bleiernen Müdigkeit ausgelöst durch ältere Infektionen, schöpften Hoffnung. Sie begannen privat Geld für eine Studie zu sammeln, als sich Berlin Cures in Schweigen hüllte und der Start der Studie im Frühling 2022 immer wieder verschoben wurde. Sogar die Forschenden um Bettina Hohberger verloren die Geduld. Der Ton der Betroffenen verschärfte sich.

Nach einem Artikel über das lange Warten auf ein weltweit erhofftes Medikament in dieser Zeitung vor zwei Wochen, meldete sich Ulf Berg von Berlin Cures. Im ersten ausführlichen Interview zu BC 007 erklärt der Verwaltungsratspräsident, wo die Probleme lagen.

Ulf Berg, Verwaltungsratspräsident von Berlin Cures.
Ulf Berg, Verwaltungsratspräsident von Berlin Cures.Bild: ch media / Andrea zahler

Der Start der Studie zum Medikament BC 007 verzögerte sich immer wieder. Aber Berlin Cures schwieg. Warum?
Ulf Berg:
Ein Medikament zur Zulassung zu bringen ist ein grosses Unterfangen und wir sind eine sehr kleine Firma mit 13 Mitarbeitenden. Wir haben uns auf die Zulassungsvorbereitung fokussiert. Da geht es um den zu genehmigenden Wirkstoff, das richtige Studiendesign und das Feedback der Behörden. Deshalb haben wir im letzten Jahr nicht viel kommuniziert, auch, weil wir keine falschen Hoffnungen schüren wollten.

Zur Person
Der 72-jährige Ulf Berg hat sich einen Namen gemacht als Technikunternehmer zum Beispiel bei Sulzer, ABB, EMS und Swissmem. Aktuell ist er unter anderem VR-Präsident der Bartec GmbH und VR bei Climeworks AG sowie 25Segments AG. Er ist seit 2015 bei Berlin Cures und jetzt als Verwaltungsratspräsident für die Strategie verantwortlich. Berg ist verheiratet und wohnt in der Schweiz.

Können Sie die Hürden genauer erläutern, die zu überwinden waren?
Wir mussten mit unserem Medikament zum Beispiel Haltbarkeits- und Stabilitätstests durchführen und die Studiendokumentation aufarbeiten.

Man weiss noch fast nichts über das Medikament.
Doch. Wir haben das Medikament zuerst in einer Phase-1-Studie bei 74 Probanden auf Sicherheit geprüft: bei diesen hatte es keine relevanten Nebenwirkungen. Dann haben wir eine Phase-2a-Studie bei Patienten mit Herzinsuffizienz durchgeführt, mit ermutigenden Zwischenergebnissen. Die Studie konnte aber wegen der Pandemie leider noch nicht abgeschlossen werden.

Dem Berliner «Tagesspiegel» sagte der Firmengründer Johannes Müller im Juli: «Wir werden von Betroffenen angerufen, die anbieten, ihr Haus zu verkaufen, um an BC 007 zu kommen.»
Wir haben sehr grosses Verständnis für das Leiden von Patienten. Wir haben selbst Kollegen, die von Long Covid stark betroffen sind und nur noch im Bett liegen können. Aber wir müssen alle gesetzlichen Vorgaben einhalten und zuerst beweisen, dass der Wirkstoff an mehr als nur vier Patienten wirkt und sicher ist. Ich bin froh um diese behördlich vorgegebenen Abläufe, denn wir wollen am Ende ein absolut sicheres Produkt für die Patienten. Bei den Impfstoffen ging es etwas schneller, dies auch, weil an mRNA-Impfungen schon seit über zehn Jahren geforscht wurde und sehr, sehr grosse Finanzressourcen zur Verfügung standen.

Für Ihre Studie soll ein Betrag von rund 30 Millionen nötig sein. Erklären Sie mal einem Laien, warum das so teuer ist?
Wir reden von einem zweistelligen Millionenbetrag bis zum Phase-2-Abschluss. Um ein solches Medikament gesamthaft zur Zulassung zu bringen, kann es aber noch mehr werden. Die grössten Kostenpunkte kommen von den Spitälern, die viele Patienten mehrfach untersuchen müssen im Laufe der Studie, sowie von den aufwendigen Laboranalysen und der Qualitätssicherung. All diese Daten müssen ausgewertet und in umfangreichen Berichten zusammengefasst werden.

Wie hoch sind die Produktionskosten von BC 007?
In der kleinen Menge, in der wir es produzieren, ist es noch sehr teuer. Wir reden von einem vierstelligen Betrag pro Dosis.

Weil das Geld fehlte, gab es ebenfalls Verzögerungen. Warum standen die Investoren nicht Schlange, wenn es Chancen gibt, dass ein Medikament extrem vielen Patienten verkauft werden könnte?
Der Wirkmechanismus der funktionellen Autoantikörper ist bei Long Covid bisher noch nicht in Studien bewiesen. Da braucht es mehr Resultate und Fakten. Dass es diese speziellen Autoantikörper gibt, ist seit den 80er-Jahren bekannt. Anfang 2000 konnte dann durch Blutwäsche bewiesen werden, dass etwa Herzinsuffizienz sich bei Patienten vorübergehend bessert, wenn diese funktionellen Autoantikörper nicht mehr im Blut sind.

Und wie überzeugen Sie die Investoren, dass BC 007 diese schädlichen Autoantikörper wirklich unwirksam macht?
Dass BC 007 wirkt, zeigen nicht nur die Studie zur Herzinsuffizienz und die vier Therapien der Long-Covid-Patienten, sondern man sieht die Wirkung auch bei Herzmuskelzellen von Mäusen im Labor: Wenn diese mit funktionellen Autoantikörpern belastet werden, sind die Kontraktionen plötzlich viel zu schnell, die Muskelzellen sind gestresst. Mit BC 007 normalisieren sich die Bewegungen wieder.

Was sind denn diese funktionellen Autoantikörper, welche BC 007 neutralisieren soll?
Um es sehr einfach auszudrücken: Sie setzen sich auf die Zellen und stimulieren zum Beispiel den Adrenalin-Rezeptor. Dieser Stresseffekt kann im Herz zu Herzinsuffizienz, in der Netzhaut zu Grünem Star führen ­­­­ – und anderen Autoimmunkrankheiten oder zu Durchblutungsstörungen. Was diese Autoantikörper tatsächlich alles anrichten, haben wir teilweise auch erst richtig mit Long Covid gesehen. Die funktionellen Autoantikörper aber dingfest zu machen, ist schwierig, weil die Konzentration im Blut sehr klein ist.

Das ist aber wichtig, weil sicher nicht bei allen Patienten nach Covid-19 diese Autoantikörper der Auslöser für die chronischen Symptome sind.
Ja, wir können nicht davon ausgehen, dass bei allen 17 Millionen Long-Covid-Patienten in Europa funktionelle Autoantikörper die Ursache sind. Wir vermuten aber, dass sie bei mehr als der Hälfte der Auslöser sind.

Die funktionellen Autoantikörper werden als Auslöser nicht nur vom Fatigue-Syndrom, an dem auch ME/CFS-Patienten leiden, sondern auch von Krankheiten wie Diabetes 2, Praeklämpsie bei Schwangeren, Paradontitis, Herzmuskelentzündung, allergischem Asthma und Fatigue nach einer Chemotherapie verdächtigt. Ist es möglich, dass BC 007 auch diese heilen könnte?
Das wissen wir heute noch nicht. Wir wollen den betroffenen Menschen keine Hoffnungen machen, bevor wir nicht Nachweise haben. Wir fokussieren uns zunächst auf die Anwendung von BC 007 bei Long Covid, um hier möglichst rasch ein Ergebnis zu erzielen.

Die Hoffnung bei Long-Covid-Patienten ist geweckt. Belastet Sie das?
Nein, das ist unser Ansporn, die Forschung weiter zu treiben. Long Covid ist zu einem weltweiten Gesundheitsproblem mit 145 Millionen Betroffenen geworden. Die Therapieversuche sind in der Öffentlichkeit publik geworden und ich finde es eigentlich auch okay, dass Betroffene dadurch Hoffnung schöpfen können, weil wir konkrete Anhaltspunkte für die Wirksamkeit haben.

Nehmen wir einmal an, die Sensation bestätigt sich in der Studie und BC 007 kann diese funktionellen Autoantikörper tatsächlich unschädlich machen. Woher wissen Sie, dass der Körper danach keine neuen produziert?
Es stimmt, dass unser Immunsystem neue Autoantikörper produzieren kann. Wir konnten aber in unserer Herzstudie nachweisen, dass BC 007 diesen Teufelskreis unterbrechen kann.

Ausser man infiziert sich wieder … Einer der geheilten Patienten hat nach einer Infektion mit Omikron nun wieder Long Covid.
Man hat nach einer neuen Infektion wieder das Risiko Long-Covid zu bekommen, je nach Risikofaktoren. Man muss dem Körper genug Erholung gönnen und abwarten mit Sport, genau wie nach einer Grippe. Wir denken, dass fehlende Erholung die Bildung von Autoantikörpern begünstigt.

Eine Studie, wo andere Autoantikörper gemessen wurden, ergab, dass diese bei einigen Patienten innerhalb eines Jahres von selbst aus dem Blut verschwanden.
Spontanheilungen gibt es. Aber die Zahl der chronisch Kranken ist leider erheblich. Auch bei Patienten, die vielleicht später gesund werden, wird sich eine Behandlung lohnen, denn ein Jahr Krankheit ist extrem lang und auch volkswirtschaftlich macht es überhaupt keinen Sinn, wenn diese Menschen so lange leiden und nicht arbeiten können.

Die Verzögerungen zeigten auch: Ihrem Start-up fehlt Erfahrung. Warum arbeiten Sie nicht mit einer grossen Pharmafirma zusammen, wie das Biontech für den mRNA-Impfstoff gemacht hat?
Wir sind an solchen Gesprächen dran. Es wird aber noch eine Zeit gehen, bis wir genügend Daten haben und Pharmafirmen konkretes Interesse entwickeln.

Warum sind die Pharmafirmen nicht extrem interessiert?
Sie machen sich Ihre eigenen Überlegungen zur Erfolgswahrscheinlichkeit. Das Interesse wird kommen. Und wir haben Investoren gefunden. Die Studie ist jetzt weitgehend finanziert und wir reichen sie in den nächsten Wochen zur Genehmigung für den Start ein.

Was kann jetzt noch schiefgehen?
Aktuell sind Kapazitäten für steriles Abfüllen von Medikamenten eine sehr knappe Ressource in Europa. Da sind wir dran eine Lösung zu finden.

Und dann?
Wir haben grosses Vertrauen, dass die Behörden den Studienantrag zügig prüfen werden. Unterdessen werden wir mit den Spitälern die Verträge abschliessen, in denen die Medikamente verabreicht werden.

Wie viele Patienten werden mitmachen und an welchen Standorten?
Das können wir noch nicht bekannt geben. Es werden Kliniken in Deutschland und in ein zwei anderen europäischen Ländern sein.

Auch in der Schweiz?
Die Schweiz hat an verschiedenen Standorten Kliniken mit viel Erfahrung und wir sind mit einigen im Gespräch.

Peter Göttel, Mitglied der Geschäftsleitung bei Berlin Cures, hat gegenüber der Berliner Zeitung im Juni von einer Sonderzulassung bis Ende 2023 gesprochen.
Das ist bei sehr guten Studienergebnissen vielleicht möglich, aber die Behörden müssen das prüfen. Ob es nach dieser Studie der Phase 2 eine Notzulassung gibt oder ob wir zuerst die Phase 3 mit noch viel mehr Patienten machen müssen, entscheiden die Arzneimittelbehörden.

Werden Sie wie vereinbart auch Medikamentendosen an die Uni Erlangen liefern, welche eine eigene kleine Studie mit 30 Teilnehmern starten will, weil es den Forschenden mit der grossen Studie zu lange dauerte?
Wir können die Dosen erst liefern, wenn wir selbst für das Medikament alle Bewilligungen für eine Studienlancierung eingeholt haben. Der Wirkstoff muss geprüft und abgefüllt sein. Und wir dürfen erst dann das Medikament an die Klinik Erlangen liefern, wenn ihre Studie ebenfalls genehmigt ist.

Hingegen werden Sie das Medikament nicht für eine Studie zum Chronischen Fatigue-Syndrom ME/CFS abgeben, liest man.
Wir müssen uns zuerst auf das grosse Problem Long Covid fokussieren um diesen Patienten eine wirksame und sichere Therapie zur Verfügung zu stellen. Studien zu anderen Indikationen würden zu Verzögerungen führen. Sobald diese Studie abgeschlossen ist, können wir uns anderen Heilungen widmen.

Berlin Cures kann sich ja auf Long Covid konzentrieren. Was spricht dagegen, dass Forschende der Klinik Erlangen sich schon den ME/CFS-Patienten widmen?
Eine Zulassung für ME/CFS-Kranke wird aufgrund einer kleinen Studie nicht möglich sein. Wir haben nicht beliebig viel BC 007 zur Verfügung und werden es erst dann akademischen Institutionen für weitere Studien in anderen Indikationen aushändigen können, wenn die Long Covid Studie läuft und für andere genehmigte Studien genügend Prüfsubstanz vorhanden ist.

Stimmt es, dass Sie befürchten, dass BC 007 bei ME/CFS-Patienten nicht so gut wirken wird, weil diese schon viel länger krank sind und dies die Studien-Resultate verschlechtern könnte?
Ich möchte keine Aussagen machen über Dinge, zu denen wir keine Daten haben. Und ich möchte weder Hoffnung schüren noch sie ohne Grund dämpfen. Wir haben eine Klasse von Krankheiten und wir sind überzeugt, dass wir am schnellsten für alle eine Zulassung kriegen, wenn wir uns auf eine fokussieren.

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