«Heute exportieren die Chinesen ihr Wissen nach Europa»
Die Nachrichten über den Zustand der chinesischen Wirtschaft sind sehr widersprüchlich. Bei den einen hängt sie in den Seilen, andere sehen sie boomen. Wie beurteilen Sie die Lage?
Beides stimmt ein bisschen. Den grossen Exportfirmen geht es ganz gut. Die kleinen hingegen leiden, ihre Exporte sind rückläufig.
Die hohe Jugendarbeitslosigkeit wird immer wieder als grosses Problem Chinas genannt. Wie sieht es da aus?
Die Jugendarbeitslosigkeit ist immer noch ein grosses Problem. Derzeit liegt sie offiziell bei 17 Prozent. Vor ein paar Jahren lag sie noch bei 25 Prozent. Der Rückgang ist jedoch primär eine Folge davon, dass die Studenten nicht mehr mitgezählt werden. Gerade für die Studenten sind jetzt Programme aufgelegt worden, welche dafür sorgen sollen, dass sie in Bereiche der Wirtschaft gelenkt werden, in denen es noch offene Stellen gibt.
Die sogenannte Gig-Economy (Scheinselbständige wie z. B. Uber-Fahrer, Anm. d. Verf.) ist in China weit verbreitet. Irgendwie komisch für ein Land, das sich immer noch «kommunistisch» nennt.
Es ist tatsächlich erstaunlich. China ist ein kommunistisches Ein-Parteien-Land, doch guckt man unter die Motorhaube, sieht man ein ganz anderes Bild.
Nämlich?
Es herrscht ein knallharter Wettbewerb wie in einer Marktwirtschaft, und die Gig Economy ist ein Teil davon. Es gab eine kurze Periode, in der die Marktwirtschaft an die kurze Leine genommen wurde. Doch inzwischen hat die Regierung erkannt, dass China nur dann im internationalen Wettbewerb mithalten kann, wenn die Privatwirtschaft eine bedeutende Rolle spielt.
Ist das der Grund für die Gig Economy?
Sie federt den Schock ab, den der Wettbewerb bewirkt. Derzeit gibt es sehr viele junge Leute, die als Lieferfahrer arbeiten. Die chinesischen Konsumenten sind sehr auf diese Dienstleistung angewiesen, denn fast alles läuft über Online-Plattformen.
Wer einen Hochschulabschluss besitzt, wird sich langfristig kaum mit einen Job als Lieferfahrer zufrieden geben.
Es handelt sich um eine kurzfristige Lösung. China ist im Begriff, sich von einer auf Industrie basierenden Wirtschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft zu wandeln. Inzwischen gibt es bereits die sogenannten «dunklen Fabriken», Fabriken, in denen oft eine einzige Person genügt, um die Roboter zu steuern.
Welche Rolle spielt dabei die künstliche Intelligenz?
China konzentriert sich darauf, KI für die Endverbraucher zu entwickeln, um Effizienzen in der Produktion zu steigern und eine neue Dienstleistungsökonomie zu schaffen. Dazu braucht es junge, gut ausgebildete Menschen. Deshalb gibt es derzeit die erwähnten Umschulungsprogramme für arbeitslose Studenten.
Trotz all dieser Probleme sagen die meisten Experten, dass China aktuell im Zollkrieg mit den USA die Nase vorn hat. Wie sehen Sie das?
Oh, das ist eine heikle Frage. China hat in den letzten Monaten zweifellos bewiesen, dass seine Verhandlungsmacht viel grösser ist, als die Amerikaner angenommen haben. Sie haben nach wie vor die Vorherrschaft über die Seltenen Erden und globale Lieferketten, und sie haben bewiesen, dass sie ihre Unternehmen sehr rasch an die neuen Bedingungen anpassen können. Alles in allem kann man daher sagen: Ja, China hat die besseren Karten, seine Wirtschaft ist resilienter, als man meint.
Es gibt das Gerücht, dass sich die beiden Präsidenten Trump und Xi bald treffen werden. Glauben Sie, dass daran etwas Wahres ist, und wenn ja, was erwarten Sie von einem solchen Treffen?
Wir gehen davon aus, dass dieses Treffen im kommenden November am Apec-Meeting in Südkorea stattfinden wird. Beide Seiten haben kein Interesse daran, den Konflikt weiter hochzuschaukeln. Derzeit liegt der Zoll für chinesische Importe in die USA bei 50 Prozent. Das Interesse Pekings liegt darin, dass diese Zollschranke nicht noch erhöht, sondern bestenfalls um 10 Prozent reduziert wird. Die USA ihrerseits wollen, dass der Export von Seltenen Erden nicht wieder abgestellt wird.
Präsident Trumps Verhalten wird immer wirrer. Ist es überhaupt möglich, mit ihm einen Deal abzuschliessen?
Es ist eine schwierige Situation, in der es um mehrere komplexe Teilbereiche geht. Ich erwarte deshalb aktuell auch keinen endgültigen Deal, sondern einen repetitiven Prozess, in dem immer wieder neu verhandelt wird. China wird in einem ersten Schritt daher nicht alles auf den Tisch legen.
Trump will den Green New Deal wieder rückgängig machen, China wird derweil zur grünen Supermacht. Wie beurteilen Sie das?
Auch wenn die Trump-Regierung das bestreitet, trifft es grundsätzlich zu. China kann sich so in diesem Bereich von den USA zu seinem Vorteil unterscheiden und sich als Champion für eine grüne Wirtschaft profilieren. Bereits heute produzieren die Chinesen mehr Solarpanels, als die Welt brauchen kann. Sie fördern die Atomenergie und sind führend auf dem Gebiet der Elektroautos. In der Zwischenzeit stellen sie auf einen saubereren Verbrauch fossiler Brennstoffe um. Sie verbrennen zwar immer noch sehr viel Kohle, doch es handelt sich dabei um eine besondere, vergleichsweise sauberere Kohle aus der Mongolei.
Könnte der Westen nicht davon profitieren und eine billige grüne Wirtschaft aus China importieren?
Wenn wir die Elektroautos mal ausklammern …
Darüber werden wir noch sprechen.
… dann trifft dies zu. Es gibt für Europa keinen Grund, zu wiederholen, was China etwa auf dem Gebiet der Solarpanels bereits erreicht hat. Vor allem jedoch werden die Schwellenländer von den technischen Errungenschaften der Chinesen profitieren. Beim Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft können die Chinesen sehr viel beitragen.
Nun zu den Elektroautos. Inzwischen sind die Chinesen auch technisch führend auf diesem Gebiet. Ist das ein Grund für Europa, sich dagegen abzuschotten – in Deutschland ist die Autoindustrie immer noch das Herz der Wirtschaft –, oder sollen die Europäer mit den Chinesen zusammenarbeiten und von ihrem Know-how profitieren?
Was die Elektroautos betrifft, hat sich der Know-how-Transfer umgedreht. Heute exportieren die Chinesen ihr Wissen nach Europa. Deshalb macht eine Zusammenarbeit mit ihnen Sinn.
Ist das für die Europäer eine tödliche Gefahr?
Ich glaube nicht.
Weshalb?
Unterschiede bei Technologie- und Sicherheitsstandards und Verbraucherpräferenzen sollten eine Produktdifferenzierung ermöglichen. Zu Beginn wurden Elektroautos in China tatsächlich massiv subventioniert. Das ist nicht mehr der Fall. Deshalb kann man auch nicht von «Dumping» sprechen, will heissen, Güter unter den Kosten ihrer Herstellung zu verscherbeln. Das weiss man mittlerweile auch in Brüssel. Deshalb hat man bloss Zölle in der Höhe von rund 60 Prozent wegen unerlaubter Subventionen erhoben. Doch selbst mit diesen Zöllen sind die chinesischen Elektroautos wettbewerbsfähig. Sie sind nicht nur günstiger, sondern auch qualitativ besser als früher.
Tesla würde das bestreiten.
Dazu kann ich nichts sagen. Was ich sagen kann, ist, dass die Batterien von Tesla in China hergestellt werden. China ist führend bei Innovationen im Bereich des autonomen Fahrens. Letztendlich ist der Verbraucher der finale Entscheider. Und chinesische Elektrofahrzeuge haben sich im Preis-Leistungs-Spektrum dramatisch verbessert.
Die Frage ist jedoch, wie viel Marktanteil die Chinesen mit ihren Elektroautos erobern wollen.
Was Europa betrifft, argumentieren die chinesischen Elektroauto-Hersteller wie folgt: Wir kontrollieren 60 Prozent des einheimischen Marktes, 40 Prozent überlassen wir den Ausländern. Es ist daher nur fair, wenn sich das gleiche Verhältnis auch auf den europäischen Märkten einpendelt.
Gibt es bereits sinnvolle Partnerschaften zwischen Europäern und Chinesen?
In der Vergangenheit haben sich europäische Automobilhersteller mit den Chinesen zusammengetan, um Marktzugang im lokalen Verbrenner-Segment zu erhalten. Nun können chinesische Fahrzeuge im oberen Preissegment mit deutschen mithalten. Damit wird der Grundstein für Partnerschaften im EV-Segment gelegt, bei denen europäische Hersteller vom ReverseTech-Transfer profitieren können. Mercedes hatte ein Joint Venture mit BYD beispielsweise. VW ist eine Partnerschaft mit Xpeng eingegangen. Und die chinesischen Fahrzeuge im oberen Preissegment können mit den Deutschen mithalten. Eine Partnerschaft zwischen chinesischen und europäischen Autoherstellern im Elektrosegment mit dem Ziel, Next-Generation Elektroautos zu bauen, macht deshalb sehr viel Sinn, vor allem auch, weil die Amerikaner sich abschotten.
Apropos BYD: Warren Buffett soll soeben sein gesamtes Aktienpaket abgestossen haben. Ist das ein Zeichen, dass BYD in Schwierigkeiten steckt?
Ich darf nicht kommentieren, was Buffett macht, doch BYD ist Marktführer in China. Es gibt gegen 200 Elektroauto-Hersteller in China, einige davon besitzen nur minimste Marktanteile, BYD hingegen kontrolliert rund einen Drittel. Bei den Elektroauto-Herstellern wird es sehr wahrscheinlich zu einer Konsolidation kommen. Zwischen fünf und zehn grosse Hersteller werden überleben und beginnen, auch ausserhalb von China Fabriken zu erstellen. BYD hat bereits eine alte Ford-Fabrik in Brasilien erworben und stellt dort Autos her. In Ungarn befindet sich eine weitere Fabrik im Bau.
Schön und gut. Aber chinesische Hersteller haben auch ein politisches Image-Problem. Solange Xi Jinping mit Wladimir Putin im Bett liegt, werde ich beispielsweise nie ein chinesisches Elektroauto kaufen.
Um es klar zu sagen: Ich plädiere nicht für eine persönliche Präferenz für Elektrofahrzeuge. Dennoch gibt es dieses Problem tatsächlich, jedoch vor allem im reichen Westen. Die Konsumenten im Globalen Süden werden sich darüber kaum den Kopf zerbrechen.
Mag sein, doch in der Autobranche werden die Profite mehrheitlich mit den Wagen des oberen Preissegments erzielt. Im südlichen Afrika ist dieser Markt jedoch bis auf Weiteres überschaubar.
Das stimmt, insbesondere bei Elektroautos. Der Marktzugang in den Schwellenländern ist auch durch den Mangel an unterstützender Infrastruktur eingeschränkt. Diese Dinge werden bei den globalen Expansionsplänen sicher eine Rolle spielen. Dazu kommen auch die Sorgen über die Sicherheit der Daten. Nur muss man wissen: Die Zukunft des Autofahrens liegt im autonomen Fahren, und dazu braucht es sehr viele Daten.
Und auf diesem Gebiet haben die Chinesen bereits Tesla überholt.
Chinesische Hersteller von Elektrofahrzeugen sind führend bei Innovationen bei Batterie- und Umweltwahrnehmungstechnologien. Das neueste Modell der BYD-Batterie kann in fünf Minuten aufgeladen werden. China ist weltweit führend bei der Innovation im Bereich der LiDAR-Technologie. Wenn ich mir also nur die Technik vor Augen führe und weiss, dass selbstfahrenden Autos die Zukunft gehört, dann komme ich um China nicht mehr herum.
Zum Schluss etwas ganz anderes: Kann der Renmimbi in absehbarer Zeit den Dollar als globale Leitwährung ablösen?
Die Chinesen geben sich alle Mühe, dieses Ziel zu erreichen, und versuchen, die Blössen, welche sich die Amerikaner geben, auszunutzen. Doch wenn sie den Renmimbi zu einer Leitwährung machen wollen, dann müssen sie zuerst die Einschränkungen des Kapitalverkehrs aufheben und ein stabiles, verlässliches und funktionierendes Finanzsystem garantieren.
Es werden jedoch immer mehr Verträge in Renmimbi abgeschlossen.
Die kritische Masse ist noch lange nicht erreicht. Aktuell werden zudem viele dieser Verträge zwischen chinesischen Unternehmen und ihren Offshore-Tochtergesellschaften abgeschlossen. Wir haben keine endgültigen Daten dazu, aber wir müssten zunächst sehen, dass sich mehr nicht-chinesische verbundene Unternehmen den Renminbi nutzen. Es fehlen auch verlässliche Daten auf diesem Gebiet.
Der Dollar hat im laufenden Jahr gegenüber anderen Währungen rund zehn Prozent an Wert eingebüsst. Deutet das nicht auf eine Schwächung des Greenbacks hin?
Es gibt mehrere Gründe für die Dollar-Schwäche: den Zollkrieg und die Abschwächung im amerikanischen Arbeitsmarkt beispielsweise. Es ist auch eine gesunde Korrektur.