Amerikanerinnen und Amerikaner fahren im Sommer gerne in den Nordwesten. Während Metropolen wie New York oder Los Angeles unter der Hitze stöhnen, herrschen in den Bundesstaaten Washington und Oregon warme, aber angenehme Temperaturen.
Nicht so dieses Jahr: Aus Seattle, der grössten Stadt des Bundesstaates Washington, werden regelmässig neue Hitzerekorde gemeldet. 44 Grad Celsius am Sonntag, 46 Grad Celsius am Montag. Normalerweise beträgt die durchschnittliche Temperatur um diese Jahreszeit rund 20 Grad Celsius.
Im benachbarten Kanada kletterte das Thermometer gar auf gegen 50 Grad Celsius. «In Teilen des Westens von Kanada ist es derzeit wärmer als in Dubai», erklärte der Klimatologe David Philips auf dem TV-Sender CTW News.
Bei ungewöhnlichen Wetterlagen wird gerne von einem Jahrhundert- oder gar Jahrtausend-Ereignis gesprochen. Diese Begriffe sind diesmal fehl am Platz. Die aktuelle Rekord-Hitzewelle ist keine Laune der Natur, sie ist genau das, wovor uns die Klimaexperten seit Jahrzehnten warnen. So stellen die beiden Klimaexperten Michael E. Mann und Susan Joy Hassol in der «New York Times» fest:
Die Fakten unterstreichen dies: Hitzewellen treten dreimal häufiger auf als in den 60er-Jahren. Und sie sind deutlich grösser geworden. Doch sie sind nicht unabwendbar. Eine CO2-freie Energieversorgung ist heute technisch möglich geworden. «Ein rascher Übergang zu sauberer Energie kann das Klima stabilisieren, unsere Gesundheit schützen, gut bezahlte Jobs schaffen und die Zukunft unserer Kinder sichern», so Mann/Sassol.
Als Folge des Pariser Klimaabkommens haben sich die meisten Industrieländer auch dazu verpflichtet, bis spätestens 2050 auf fossile Brennstoffe zu verzichten. Sie tun sich aber sehr schwer damit, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Das gilt insbesondere in den Vereinigten Staaten. Dort befindet sich Präsident Joe Biden derzeit auf einer Goodwill-Tour, um seine Landsleute von seinem Infrastrukturprogramm zu überzeugen.
Dabei muss er zunächst einen eigenen Fehler ausbügeln. Am vergangenen Freitag hat Biden stolz einen überparteilichen Deal für ein abgespecktes Infrastrukturprogramm verkündet. Wenig später hat er jedoch erklärt, er werde dieses Gesetz nur dann unterzeichnen, wenn gleichzeitig auch ein viel weiter gehendes Programm der Demokraten auf seinem Pult lande. Dank dem sogenannten Reconciliation-Prozess (fragt nicht!) ist dies möglich.
Mitch McConnell, Minderheitsführer der Republikaner im Senat, ergriff die Gelegenheit beim Schopf und erklärte, in diesem Fall würde seine Partei den überparteilichen Deal fallen lassen. Das Weisse Haus beeilte sich darauf zu versichern, so sei dies nicht gemeint gewesen. Natürlich werde sich der Präsident an die Abmachung halten. Nun laufen die Progressiven in der demokratischen Partei Amok. Ohne zweites Programm kein überparteilicher Deal, so ihre Forderung.
Die Waldbrände der letzten Jahre, der Rekordwinter in Texas und nun die historische Hitzewelle, sie alle machen überdeutlich, wie dringend die amerikanische Infrastruktur wieder auf Vordermann gebracht werden muss. Trotzdem besteht nun erneut die Gefahr, dass dieses Vorhaben an der blockierte Situation im amerikanischen Kongress scheitert.
Das Stromnetz bildet ein zentrales Element dieser Erneuerung. Der Kälteeinbruch im Winter hat das Stromnetz in Texas lahmgelegt und zum Tod von hunderten von Menschen geführt. Weil auch Klimaanlagen sehr viel Strom verschlingen, hat auch die Rekordhitze in vielen Bundesstaaten zu einer Überlastung des Netzes und damit zu Blackouts geführt.
Das amerikanische Stromnetz muss nicht nur repariert, es muss auch massiv ausgebaut werden. Elektroautos und Elektroheizungen sind die Voraussetzung für eine CO2-freie Energiezukunft. Dazu braucht es ein smartes Stromnetz. «Noch nie war das Netz so wichtig wie heute, und es wird in einem Jahr noch wichtiger sein», erklärt daher auch der Energiemanager Dennis Kuhn in der «Washington Post».
Eine überwiegende Mehrheit der Amerikaner wünscht sich die längst überfällige Erneuerung der maroden Infrastruktur und ein Stromnetz, das den Herausforderungen gewachsen ist, welche durch den Klimawandel geschaffen werden. Deshalb besteht die Hoffnung, dass selbst im hoffnungslos zerstrittenen Washington letztlich noch ein Kompromiss erzielt werden kann.
Auch ein Green New Deal in abgespeckter Form wäre ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Hitzerekorde fallen derzeit rund um den Globus. Was in den USA geschieht, strahlt auf die ganze Welt aus. Vielleicht wäre dann gar in der Schweiz ein griffiges CO2-Gesetz möglich.