International
Wirtschaft

Neue Vorwürfe gegen Nestlé – es geht um Zucker in der Babynahrung

Neue Vorwürfe gegen Nestlé – es geht um Zucker in der Babynahrung

Recherchen werfen dem Westschweizer Konzern unethische Verkaufsmethoden in Europa und Afrika vor. In ärmeren Ländern trage Nestlé mit seiner Säuglingsnahrung zur Fettleibigkeit bei.
20.11.2025, 07:2220.11.2025, 07:27
Benjamin Weinmann / ch media

Der erste grosse Vorwurf erfolgte vor eineinhalb Jahren: «Nestlé macht Babys und Kleinkinder in einkommensärmeren Ländern zuckersüchtig» – so lautete der Titel einer Mitteilung der Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye. Demnach habe eine Recherche gezeigt, dass die beiden führenden Babynahrungsmarken, die Nestlé in Ländern mit tiefem oder mittlerem Einkommen als gesund und wichtig für die Entwicklung bewirbt, hohe Mengen an zugesetztem Zucker enthielten. In Westeuropa würden die gleichen Produkte derweil ohne Zuckerzusatz verkauft.

ARCHIV - ZU DEN HALBJAHRESZAHLEN 2018 VON NESTLÉ, AM DONNERSTAG, 26. JULI 2018, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG ---- Nestle logo is pictured on the Nestle headquarter before th ...
Nestlé steht regelmässig wegen Ethikthemen in der Kritik.Bild: KEYSTONE

Public Eye, welche die Untersuchung zusammen mit dem International Baby Food Action Network durchführte, sprach von Heuchelei und irreführendem Marketing des Schweizer Nahrungsmittelriesen.

Der damalige Nestlé-Chef Mark Schneider wehrte sich im Interview mit CH Media, blieb dabei aber vage: «Wir haben hier nicht, wie von der Organisation behauptet, einen doppelten Standard.» Auf den Hinweis, dass zugesetzter Zucker bei Babymilchprodukten gegen die Richtlinien der Weltgesundheitsbehörde WHO verstossen würden, sagte er:

«Keines der Produkte, das wir anbieten, verstösst gegen Richtlinien der WHO. Da gab es Missverständnisse und wir suchen den Dialog.»
Drei Dosen Babynahrung inszeniert mit Licht waehrend der Einweihung der neuen Produktionslinie fuer Babynahrung bei der Nestle Schweiz AG in Konolfingen, am Mittwoch, 25. November 2015. (KEYSTONE/Domi ...
Nestlé verkauft Babynahrung mit und ohne Zucker - laut der Organisation Public Eye jedoch mit grossen regionalen Unterschieden, was der Konzern verneint. (Archivbild)Bild: KEYSTONE

Und auf die Frage, ob Nestlé die Rezepte anpassen werde, sagte Schneider, Nestlé habe diesen Weg bei Babymilchprodukten schon seit längerem beschritten. «Wir bieten auch bei den Müsli für Babys mehr und mehr Varianten an mit weniger oder gar keinem zugefügten Zucker.»

Schneider ist inzwischen weg, die Vorwürfe nicht. Im Gegenteil: Public Eye doppelt nach. Wie die Organisation in einer Mitteilung schreibt, hätten Laboranalysen gezeigt, dass das von Nestlé in 20 afrikanischen Ländern verkaufte Cerelac-Babygetreide bis zu 7,5 Gramm Zucker pro Portion enthalte, während solche Produkte in der Schweiz und Europa ohne Zuckerzusatz verkauft würden.

Sechs Gramm Zucker pro Portion

«Die WHO warnt seit langem davor, dass eine frühe Gewöhnung an Zucker einen wichtigen Risikofaktor für Fettleibigkeit darstellt, die in Afrika stark zunimmt», schreibt Public Eye. Afrikanische Organisationen verlangten von Nestlé die Einstellung dieses inakzeptablen Doppelstandards.

Zusammen mit afrikanischen Organisationen habe Public Eye rund hundert Cerelac-Getreidebreie, die in 20 Ländern Afrikas verkauft werden, von einem Referenzlabor analysieren lassen. Das Ergebnis: «Über 90 Prozent dieser Produkte für Babys ab sechs Monaten enthalten zugesetzten Zucker – im Durchschnitt fast sechs Gramm pro Portion, also etwa eineinhalb Würfel.» Das seien 50 Prozent mehr als der in der ersten Untersuchung vor eineinhalb Jahren, die sich auf Asien und Lateinamerika konzentrierte.

In einem offenen Brief fordern im Zuge der Recherchen 19 Betroffenenorganisationen aus 13 afrikanischen Ländern den Schweizer Konzern auf, diese Geschäftspraktik zu beenden.

Reaktion in Indien ausgelöst

Public Eye weist darauf hin, dass in Indien, wo die ersten Rechercheresultate eine Welle der Empörung ausgelöst hatten, Nestlé danach 14 zuckerfreie Cerelac-Produkte eingeführt habe.

In armen Provinzen Südafrikas beispielsweise würden Generationen von Müttern seit Jahrzehnten auf Nestlé vertrauen. Dort würden viele Frauen den grössten Teil ihres mageren Einkommens für Nestlé-Babynahrung ausgeben. «Vor Ort prangern Gesundheitsfachleute irreführende Marketingpraktiken an, die Mütter immer noch dazu veranlassen, das Stillen zugunsten industrieller Produkte aufzugeben», schreibt Public Eye.

Und was sagt Nestlé zur neuen Kritik? Man sei mit dem Bericht nicht einverstanden und er enthalte fehlleitende und unbegründete Vorwürfe, schreibt ein Firmensprecher auf Anfrage von CH Media. So würden Cerealien, Milch und Früchte von Natur aus Zucker enthalten, dies sei im Bericht nicht berücksichtigt. Nestlés Herangehensweise an die Ernährung sei weltweit konsistent.

«Wir behandeln alle Kinder gleich, unabhängig davon, wo sie sind.»

Zudem beschleunige man die Lancierung von Produkten ohne Zucker, die es bereits in 97 Prozent aller Nestlé-Märkte gebe, so auch in Afrika. Bis Ende Jahr sollen es 100 Prozent sein. Auch in Europa biete man Produktvarianten mit und ohne Zucker an. Man habe von Public Eye wiederholt um weitere Details zur Analyse gebeten, diese aber noch nicht erhalten. (aargauerzeitung.ch)

Der grosse Nestlé-Milchskandal vor 50 Jahren
Vor rund 50 Jahren war Nestlé erstmals mit einem grossen Milchskandal konfrontiert, der bis heute nachhallt. 1974 erschien die Broschüre mit dem Titel «Nestlé tötet Babys». Die «Arbeitsgruppe Dritte Welt Bern» hatte darin die Anklageschrift der englischen Hilfsorganisation «War on Want» übersetzt. Der Vorwurf: Nestlé ignoriere beim Verkauf des Milchpulvers für ­Babys die oftmals unhygienischen Verhältnisse in Entwicklungsländern. Denn das verschmutzte Wasser, das von der Bevölkerung vor Ort für die Pulvermilch verwendet wurde, soll zu Erkrankungen oder gar zum Tod der Kleinkinder geführt haben. Kritisiert wurden damals auch die Marketingmethoden des Konzerns, die darauf abgezielt hätten, junge Mütter vom Stillen abzuhalten. Nestlé reagierte mit juristischen Schritten, hielt die Kritik für völlig haltlos und klagte wegen übler Nachrede und Verleumdung. Die Aktivisten hatten einen bekannten Anwalt, den späteren Bundesrat Moritz Leuenberger. Der Fall endete vor Gericht mit einer symbolischen Verurteilung der Angeklagten. Zudem wurden sie wegen des Broschürentitels zu einer Busse von 300 Franken verurteilt. (bwe)
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
10 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
10
Das sind die 10 teuersten Gemälde der Welt
Eigentlich wurde der Wert des «Bildnis Elisabeth Lederer» durch das Auktionshaus Sotheby’s in New York auf 150 Millionen Dollar geschätzt. In einem 20-minütigen Bietergefecht wurde der Preis jedoch auf rekordverdächtige 236 Millionen Dollar hochgeschraubt. Nur ein Gemälde wurde je für mehr Geld verkauft.
Zur Story