«Er wird ausgenommen wie eine Weihnachtsgans»: Wie Dominic Stricker die Kontrolle verliert
Mit einem Erfolg gegen den damaligen Top-Ten-Spieler Stefanos Tsitsipas aus Griechenland erreichte Dominic Stricker 2023 den Achtelfinal der US Open. Die Bilder, wie er beim letzten Seitenwechsel vor seinem Sieg auf der Bank sass und zu Whitney Houstons Ohrwurm «I Wanna Dance with Somebody» mitsang, gingen um die Welt. Sie trugen dem Berner das Image des unerschütterlichen, unbeschwerten Talents ein, das sich selbst auf der grössten Bühne des Sports seine spielerische Leichtigkeit bewahrt.
Zwei Jahre später ist davon nichts mehr übrig. Der Glanz, die Leichtigkeit – alles weg. Jüngst erlitt Stricker bei einem Challenger-Turnier in Frankreich einen Innenbandriss im rechten Knie. Zwei Monate Pause, mindestens.
Anfang Jahr sprach er von Rücktritt
Die Verletzung ist Teil einer langen Kette von Blessuren, die Stricker in den letzten zwei Jahren wiederholt ausbremsen. Anfang Jahr sprach er offen davon, seine Karriere zu beenden. Spätestens Ende Jahr wolle er aufhören. Sein Trainer Dieter Kindlmann reichte daraufhin die Kündigung ein, machte aber noch drei Monate gute Miene zum bösen Spiel, um die dreimonatige Kündigungsfrist einzuhalten. Die NZZ hatte zuerst darüber berichtet.
Stricker dementierte kurz darauf bei einem kleinen Turnier in Trimbach, aufhören zu wollen. Als er dort auf der Bank sass, sang und lächelte er nicht. Er wirkte in sich gekehrt, fast teilnahmslos. Dennoch sagte er: «Ich bin motiviert. Es macht mir extrem viel Spass, auf den Platz zu gehen.» Aber auch: «Es ist keine einfache Zeit für mich. Der Schritt von den Eltern weg ist ein Prozess.»
Spannungen mit dem Verband
Vater Stephan Stricker, ein gelernter Koch, hat sein Pensum als Polizist reduziert und vertritt seinen Sohn ab 2021 als Agent. Er gilt in der Szene als Strickers Hauptproblem. Wo immer man sich nach Ursachen umhört, wie es so weit kommen konnte, dass der Linkshänder so abgestürzt ist (von Rang 88 in der Weltrangliste bis auf Position 367), fällt sein Name.
Mit seiner fordernden Art hinterlässt Stephan Stricker vielerorts verbrannte Erde: bei Turnierveranstaltern, bei Sponsoren, bei Swiss Tennis. Immer wieder soll er den Verband verbal angegriffen haben, weil dieser seinen Sohn zu wenig unterstütze. Dabei steht Swiss Tennis dem Sieger des Juniorenturniers der French Open 2020 unbeirrt zur Seite. Auch jetzt nutzt Stricker die Infrastruktur in Biel und kann sich Rat holen bei den Trainern.
Einer davon ist Severin Lüthi, der Schweizer Davis-Cup-Captain und langjährige Trainer von Roger Federer. Auf Strickers sportliche Situation angesprochen, sagte er Anfang Jahr: «Ich will nichts beschönigen. Aber ich sehe darin auch die Chance, dass Dominic sich ernsthaft mit seiner Situation beschäftigt. Das ist zwar schmerzhaft, aber es muss jetzt sein.»
Wawrinka redete Stricker ins Gewissen
Nur, und das werfen auch langjährige Weggefährten Stricker vor: Er ist bequem, geht den Weg des geringsten Widerstands und ergibt sich seinem Schicksal. Dauernd fabuliere der 23-Jährige davon, er müsse die Freude am Spiel wieder finden. Dazu fehle nur wenig.
Dabei fehle es ihm an Ernsthaftigkeit. Er habe bis heute nicht begriffen, wie wichtig die Arbeit am Körper ist, um Verletzungen vorzubeugen. Stan Wawrinka, inzwischen 40-jährig und in dieser Hinsicht vorbildlich, redete Stricker schon im Sommer 2023 in Gstaad immer wieder ins Gewissen. Er sagte Stricker, er müsse mehr in seine körperliche Fitness investieren.
Vielleicht machte der Erfolg blind und träge. Die beiden gewannen in Gstaad das Turnier im Doppel, ehe Stricker wenig später in New York bei den US Open den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere erreichte.
Jahresbudget von 500'000 Franken
Scheinbar mühelos kletterte er die Karriereleiter hoch. Auch Geldgeber standen Schlange, doch Vater Stephan entschied, das Management nicht abzugeben. Der Tennisspieler ist heute die Haupteinnahmequelle der Familie, das Jahresbudget beläuft sich auf geschätzt 500'000 Franken.
Wo das Geld ist, das bisher floss, und wie viel davon noch übrig ist, wissen wohl nur seine Eltern. Im Juni 2020 gründeten sie die Dominic Stricker GmbH – zwei Monate bevor Dominic volljährig wurde. Die Markenrechte laufen bis 2031. Je die Hälfte der Anteile halten Vater Stephan und Mutter Sabine. Dominic Stricker ist hingegen bis heute kein Eigentümer.
Diesen Sommer wurde er zwar zum «Vorsitzenden der Geschäftsführung» ernannt, doch die Anteile blieben bei den Eltern. Stricker kann nun zwar Rechnungen begleichen, Flüge und Hotels buchen, aber mit sich selber keinen Vertrag abschliessen und sich damit einen Lohn auszahlen.
Er wird «ausgepresst wie eine Zitrone»
Über die Verwendung des Gesellschaftsvermögens bestimmen seine Eltern. Sie kontrollieren damit das Einkommen und das Vermögen und damit Geld, das ihr Sohn verdient hat.
Zudem zahlen sich die Eltern dem Vernehmen nach einen Jahreslohn im tiefen sechsstelligen Bereich aus, um ihre Tätigkeiten finanziell abzugelten.
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel von Henry Bernet: Seine Eltern, beide Anwälte, gründeten im Mai 2024 die HB10GmbH. Ein Jahr später, nachdem das Basler Tennistalent die Volljährigkeit erreicht hatte, wurde er nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Gesellschafter.
Anruf bei einem, der alle Beteiligten kennt, und immer wieder seine Hilfe angeboten hat. Für ihn ist klar: Die Eltern sind überfordert. Ein anderer sagt, der 23-Jährige werde «ausgepresst wie eine Zitrone». Ein Dritter formuliert es noch drastischer: Stricker werde «ausgenommen wie eine Weihnachtsgans». Sie alle wollen nicht öffentlich genannt werden.
Eine Anfrage von CH Media für ein Gespräch liess Stephan Stricker unbeantwortet.
Sportmanager sagen: Nein Danke
Dominic Stricker selber versucht seit Monaten, die Weichen neu zu stellen. Wie Recherchen zeigen, führte er im Herbst 2024 Gespräche mit mehreren renommierten Sportmanagern. Zu einem Abschluss kam es allerdings nie. Und immer soll der Grund für das Scheitern derselbe gewesen sein: die ungeklärte Rolle von Vater Stephan.
Anfang August 2025 teilt Stricker mit, künftig werde er von AVD Management betreut. Hinter dem Akronym steht Anouk Vergé-Dépré, Olympia-Dritte von Tokio 2021 im Beachvolleyball. Operativ in der Verantwortung steht indes ihr Geschäftspartner Nicola Kusy.
AVD unterstütze bei «Karriereplanung, Sponsoring, Marketing und persönlicher Weiterentwicklung». Stricker bringe enormes Potenzial mit – als Tennisspieler und Persönlichkeit. Als «starker Charakter» sei er in einer hervorragenden Position, Marken frischen Wind zu verleihen. Man unterstütze ihn «sowie das ganze Team Stricker», wie es weiter heisst.
Management mit wenig Erfahrung
Für Beobachter ist klar: Das Sagen hat auch hier weiterhin Vater Stephan, und die vor drei Jahren gegründete Agentur AVD Management hat Zugeständnisse gemacht, um ihren ersten Klienten nach der Mitinhaberin Anouk Vergé-Dépré unter Vertrag nehmen zu können.
Kusy spielt selber Tennis, wurde im Sommer Schweizer Meister bei den Jungsenioren, arbeitet hauptberuflich als Client Solutions Manager und daneben als Model. Im Athletenmanagement bringt er keine Erfahrung mit.
Dabei ist es genau das, was Stricker jetzt wohl braucht: ein im Tennis etabliertes Management mit guten Beziehungen zu Turnieren, Sponsoren und Trainern. Nicola Kusy will sich derzeit nicht äussern.
Fakt ist: Sportlich bringt Dominic Stricker kein Bein mehr vors andere. Er hat keinen Trainer, grosse Sponsoren springen ab, und er ist oft verletzt. Zwei Jahre nach seinem Durchbruch steht er vor einem Scherbenhaufen.
Stricker verliert wohl alle Hauptsponsoren
In der Weltrangliste wird Stricker noch im 367. Rang geführt. Damit ist er künftig selbst bei Challenger-Turnieren auf Wildcards angewiesen. Kein einfaches Unterfangen, wenn die Beziehungen zu den Organisatoren der Turniere fehlen, die in der Regel einheimische Talente bevorzugen.
Noch viel drängender stellt sich die Frage, wie es finanziell weitergeht. Die Verträge aller drei Hauptsponsoren laufen Ende Jahr offenbar aus. Sie garantierten Stricker je zwischen 50‘000 und 150'000 Franken im Jahr.
Stricker hat derzeit keine guten Karten bei Verhandlungen – wenn es denn überhaupt dazu kommt. Eines der drei Unternehmen will sich aus dem Sport zurückziehen, ein weiteres will sich auf den Nachwuchs fokussieren.
Weggefährten reichen Stricker die Hand
Beim dritten Hauptsponsor CTA, Hersteller von Wärmepumpen, Kälte- und Klimasystemen, handelt es sich um ein Unternehmen ohne Tradition im Sportsponsoring. Schon zuvor soll es internen Widerstand gegen das Engagement gegeben haben. Auf Anfrage von CH Media schreibt CTA, dass «aktuell Gespräche geführt werden» und man sich nicht dazu äussere.
Als Sportler sei er zwar zu bequem, doch wenn es um Stricker als Mensch geht, fällt kein einziges schlechtes Wort. Er sei ein «sympathischer Junge, der mir am Herzen liegt», und «ein absolut hoch anständiger Typ». Das sagen Menschen, die ihm helfen würden – wenn er es zuliesse.
Im Spätsommer vor zwei Jahren, als Dominic Stricker in New York sang und siegte, wirkte alles leicht und unbeschwert. Heute fällt vieles schwer. Nicht nur auf dem Platz, sondern vor allem auch daneben. (aargauerzeitung.ch)
