Die griechische Tragödie nimmt kein Ende. In den letzten Tagen haben sich die Hoffnungen wieder einmal zerschlagen, der völlig überschuldete EU-Mitgliedsstaat könne einen Ausweg aus der Dauerkrise finden. Zwei aktuelle Meldungen sprechen für sich: Die griechische Wirtschaft ist das zweite Quartal in Folge geschrumpft, zwischen Januar und März um 0,2 Prozent. Bei zwei Minus-Quartalen in Folge sprechen Ökonomen von einer Rezession.
In ihrer Geldnot hat die griechische Regierung zudem in die Trickkiste gegriffen: Zur Rückzahlung eines Kredits des Internationalen Währungsfonds (IWF) von 750 Millionen Euro zog sie am Montag 650 Millionen Euro von einem eigenen IWF-Konto ab, das eigentlich für Notfälle gedacht ist. Bei den Kommunen und Behörden kratzte die von der linksradikalen Partei Syriza geführte Regierung in Athen zudem bisher 600 Millionen Euro zusammen, um zahlungsfähig zu bleiben.
Der Vorgang um die Kredite zeigt, wie dringend das seit fünf Jahren vom freien Kapitalmarkt abgeschnittene Land weitere Hilfe des IWF und seiner Euro-Partner benötigt. Beobachter bezweifeln, dass sich ein Staatsbankrott noch vermeinden lässt. Dieser könnte zum gefürchteten Grexit führen, dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone.
Was läuft schief in Hellas? Und was wäre der Ausweg? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Der erwähnte IWF-Kredit ist nur eine von diversen Zahlungsverpflichtungen, die Griechenland in nächster Zeit erfüllen muss. Die nächste Zahlung an den IWF steht am 5. Juni an und beträgt 302,5 Millionen Euro. Zwischen Juni und August muss Athen insgesamt 11,5 Milliarden Euro an den IWF und die Europäische Zentralbank (EZB) zurückzahlen, was ohne Hilfe kaum zu stemmen sein dürfte. Zudem muss das Land Interessenten für die Erneuerung kurzfristiger Staatsanleihen über drei und sechs Monate mit einem Gesamtvolumen von 9,2 Milliarden Euro finden.
Ende Juni läuft das verlängerte zweite Hilfsprogramm von EU, EZB und IWF definitiv aus. Ein drittes Programm gilt als unvermeidlich, damit Griechenland seine Staatsschulden von mehr als 300 Milliarden Euro weiter bedienen kann. Bislang gibt es aber noch nicht einmal eine Einigung über die Auszahlung von 7,2 Milliarden Euro aus dem zweiten Paket. Die Euro-Finanzminister forderten am Montag von der Athener Regierung mehr Tempo bei den Reformen. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem hat sich am Mittwoch skeptisch geäussert: «Die Zeit läuft echt ab.»
Syriza hat die Wahlen im Januar mit dem Versprechen gewonnen, die Reformen der konservativen Vorgängerregierung rückgängig zu machen. Letzte Woche verabschiedete das Parlament ein Gesetz, mit dem Tausende Staatsangestellte wieder eingestellt werden sollen, die als Folge von Sparmassnahmen entlassen wurden. Die Geldgeber betrachten dies als Provokation. Ein weiteres Problem sind ausbleibende Steuereinnahmen, weil viele Griechen auf Entlastung durch die Syriza-Regierung hoffen.
Ministerpräsident Alexis Tsipras soll den Ernst der Lage erkannt haben, doch er wird von den Hardlinern in seiner Partei gebremst. Ein weiteres Problem ist der unberechenbare Finanzminister Giannis Varoufakis, der seine EU-Kollegen mit seinen Belehrungen nervt. Letzte Woche präsentierte er an einem Wirtschaftsgipfel in Brüssel einen handgestrickt wirkenden «Reformplan», den Experten gegenüber dem Magazin Politico als «lächerlich» oder «konfus» bezeichneten. Tsipras hat Varoufakis inzwischen von den Verhandlungen mit den «Institutionen» EU-Kommission, EZB und IWF – der früheren Troika – abgezogen.
Ohne Varoufakis verlaufen die Verhandlungen zwar angenehmer, doch inhaltlich komme man nicht voran, sagte ein Unterhändler der Zeitung «Die Welt». Demnach hat die «Troika» vier Szenarien entwickelt, ein positives und drei negative. Im besten Fall erfüllt Athen seine Refomverpflichtungen und erhält im Gegenzug frisches Geld.
Szenario zwei geht davon aus, dass die Griechen reformwillig sind, ihnen aber das Geld ausgeht. Im dritten Szenario macht die Regierung halbherzige Reformversprechen und wird deshalb zahlungsunfähig. Mit einem gemeinsamen Kraftakt liesse sich in diesem wie im zweiten Fall das Schlimmste jedoch verhindern.
Wirklich hart wird es mit dem Worst Case: Athen will keine Reformen durchführen und auch nicht mehr verhandeln. Stattdessen bezahle die Regierung ihre Angestellten und die Rentner mit staatlichen Schuldscheinen. Dies würde faktisch auf eine Parallelwährung und den Austritt aus der Währungsunion hinauslaufen. Der Schaden für Griechenland und Europa wäre enorm.
An guten Ratschlägen für Griechenland fehlt es nicht. Drei davon hat Spiegel Online ausgelistet: So schlagen die deutschen Grünen vor, einen Grossteil der griechischen Schulden in den Euro-Rettungsfonds umzuschichten. Die Griechen würden Zeit gewinnen, um wirtschaftlich auf die Beine zu kommen, bräuchten dafür aber wohl ein weiteres Hilfspaket. Ein weiterer Vorschlag sieht die Einführung einer Parallelwährung vor, um den Bankrott abzuwenden.
Finanzminister Varoufakis wies am Mittwoch entsprechende Spekulationen zurück: «Es gibt keine Lösung mit zwei Währungen. Für die Regierung gibt es nur eine politische Lösung.» Die deutsche FDP schlägt deshalb als dritte Variante vor, dass Griechenland die Eurozone vorübergehend verlässt, wirtschaftlich auf die Beine kommt und dann wieder eintritt. Der Nachteil wäre aber vermutlich eine Vertrauensverlust in die Stabilität der Währungsunion.
Die Meinungen der Experten unterscheiden sich diametral. Während die einen davon ausgehen, dass die Finanzmärkte ein solches Szenario inzwischen eingeplant haben und der Schaden sich in Grenzen hält, warnen andere vor dem erwähnten Vertrauensverlust. Europa würde das Signal aussenden, dass es nicht in der Lage ist, seine Probleme zu lösen.
Ein Staatsbankrott, der immer wahrscheinlicher wird, muss aber nicht zwingend zum Grexit führen, meint die «Financial Times». Voraussetzung sei, dass die Banken gegen die Folgen einer Kapitalflucht gerüstet sind. Es brauche Diskussionen über ihre Refinanzierung, so die Wirtschaftszeitung. Auch Kapitalverkehrskontrollen sollten erwogen werden.