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Ukraine-Russland: Die Gift-Affäre um Abramowitsch

Vergiftung, Anschuldigungen und Dementi – 5 Punkte zum Abramowitsch-Drama

Der russische Oligarch Roman Abramowitsch soll vergiftet worden sein. Wer dies behauptet, wer dies dementiert und warum das Thema für die USA brisant ist. Ein Überblick.
29.03.2022, 12:3830.03.2022, 16:31
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Gift soll die bevorzugte Mordwaffe von Frauen sein – und auch jene vom russischen Geheimdienst (FSB). Und womöglich haben die Giftmischer aus Moskau vor ein paar Tagen wieder zugeschlagen. Eines der Opfer diesmal: Einer der reichsten Menschen der Welt.

Die Rede ist von Roman Abramowitsch – Besitzer des Fussballclubs Chelsea, einer der grössten Yachten der Welt und von geschätzten 6.7 Milliarden Schweizerfranken.

Die Gift-Affäre um Abramowitsch ist nebulös – wenig ist bekannt, einiges wird vermutet, anderes abgestritten. Das ist die Informationslage derzeit:

Wie die Geschichte über die Gift-Affäre in Umlauf kam

«Roman Abramowitsch und ukrainische Friedensunterhändler vermutlich vergiftet», titelte das «Wall Street Journal» am 28. März. Die Nachricht ging um die Welt wie ein Lauffeuer, auch watson berichtete.

«Personen, die mit der Angelegenheit vertraut sind», hätten dem «Wall Street Journal» und der Investigativ-Plattform «Bellingcat» erzählt, dass Abramowitsch, der ukrainische Politiker Rustem Umjerow, sowie eine weitere Person nach einem Treffen zu Friedensverhandlungen in Kiew am 3. und 4. März 2022 Vergiftungssymptome gehabt hätten. Dabei hätten sie nur Schokolade gegessen und Wasser getrunken.

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Der ukrainsiche Politiker Rustem Umjerow. Bild: keystone

So wären sie alle von roten, ständig schmerzenden und tränenden Augen geplagt gewesen und hätten an sich schälender Haut im Gesicht und an den Händen gelitten. Nach Angaben der Quellen sei Abramowitsch sogar für einige Stunden völlig blind gewesen.

Die mutmasslichen Vergiftungsopfer seien danach in der Türkei behandelt worden – mittlerweile gehe es allen besser, wie die anonymen Quellen dem «Wall Street Journal» versicherten.

Motiv der Tat: Die Friedensverhandlungen zu sabotieren, wie die Quellen im «Wall Street Journal» spekulieren.

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Der russische Multimmilliardär Roman Abramowitsch.Bild: keystone

Das Dementi aus Kiew

Bereits am 28. März reagiert Umjerow auf die Gerüchte und schrieb auf Facebook und auf Twitter:

«Mir geht es gut. Dies ist meine Antwort auf all die Klatschnachrichten, die sich verbreiten. Bitte vertrauen Sie keiner unverifizierten Information. Bei uns läuft ein Informationskrieg.»

Das «Wall Street Journal» hat dieses Dementi mittlerweile im Artikel ergänzt.

Alle Mitglieder der Verhandlungsgruppen würden normal arbeiten, soll der ukrainische Unterhändler Mychajlo Podoljak verschiedenen Medien zufolge am Montag gesagt haben: «Im Informationsbereich gibt es gerade viele Spekulationen, unterschiedliche Versionen des einen oder anderen Verschwörungsspiels.»

Ein Beamter des ukrainischen Präsidentenbüros, Ihor Sowkwa, sagte gegenüber der BBC, dass er zwar nicht mit Abramowitsch gesprochen habe, aber ein Mitglied der ukrainischen Delegation hätte ausgesagt, die Geschichte sei «falsch».

Von Abramowitsch und dem Kreml sind noch keine öffentlichen Äusserungen zu einem möglichen Giftanschlag bekannt.

Die Vermittlerrolle Abramowitschs

Der Vorfall wirft ein Licht auf Abramowitschs angebliche Rolle als Vermittler bei Gesprächen zwischen der Ukraine und Russland. Abramowitsch hat eine ukrainische Mutter, weshalb eine Vermittlerrolle durchaus vorstellbar wäre. Am Sonntag bestätigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zumindest, dass Abramowitsch ihm Hilfe bei der Deeskalation der russischen Invasion im Land angeboten habe.

Abramowitsch und der russische Präsident Wladimir Putin sollen seit Langem bekannt sein. Darum sei der Chelsea-Besitzer bereits kurz nach dem Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine am 24. Februar in Friedensverhandlungen miteinbezogen worden, erläuterten die anonymen Quellen dem «Wall Street Journal».

> alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg im Ticker <

Ende Februar sei Abramowitsch in Belarus gesehen worden, während die ersten offiziellen Gespräche zwischen Kiew und Moskau stattgefunden haben. An diesen soll er auch teilgenommen haben, wie die Quellen dem «Wall Street Journal» berichteten. Der Kreml bestätigte, dass Abramowitsch durchaus eine Rolle in den ersten Friedensgesprächen gespielt habe, wie BBC weiss.

Trotz der vermuteten Vergiftung sei Abramowitsch weiterhin bereit, sich an den Friedensgesprächen zu beteiligen, sagte «eine ihm nahestehende Person» dem «Wall Street Journal».

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Abramowitsch ist nach dem angeblichen Giftanschlag wieder gesund und nimmt bereits wieder an Friedensverhandlungen teil. Dieses Bild zeigt die Ansprache des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor der ukrainischen und russischen Delegation am 29. März in Istanbul.
Links an der Wand sitzt Roman Abramowitsch. Seine Rolle bei den Gesprächen ist der Öffentlichkeit nicht bekannt.
Bild: keystone

Und so weilt der Multimilliardär seit Montag in Istanbul, wo er an den ersten Friedensgesprächen zwischen der Ukraine und Russland seit zwei Wochen teilnimmt. Er fungiere dort als inoffizieller Vermittler, wie «Mail Online» schreibt. Brisant: Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba soll die ukrainische Delegation angehalten haben, nichts zu essen, zu trinken oder zu berühren.

Die genaue Rolle Abramowitschs bei den Besprechungen ist in der Öffentlichkeit unklar. Ein Sprecher des Oligarchen habe allerdings ausgesagt, dass Abramowitschs Einfluss «begrenzt» sei, wie BBC schreibt.

Die Rolle von «Bellingcat» – und das Problem der USA

Die Untersuchungen zu der mutmasslichen Vergiftung, auf die sich das «Wall Street Journal» stützt, wurde von dem renommierten Journalisten Christo Grosew organisiert. Grosew ist ein Ermittler des Investigativ-Kollektivs «Bellingcat» und gehörte auch zu dem Team, das Beweise für eine Kreml-Beteiligung bei der bestätigten Vergiftung von Alexej Nawalny im Jahr 2020 gesammelt und verifiziert hatte.

Grosew soll Zugang gehabt haben zu Bildern, die nach dem Giftanschlag aufgenommen worden seien, habe aber die Betroffenen nicht in persona begutachten können. Der Journalist ist überzeugt: Das Gift «war nicht zum Töten gedacht, sondern nur als Warnung», wie er sich im «Wall Street Journal» zitieren lässt.

In einem Twitter-Thread, der fortlaufen aktualisiert wird, führt Grosew seine Recherchen detailliert auf:

Andere, westliche Experten, die den Vorfall untersucht hätten, sollen der Meinung sein, dass es schwer sei festzustellen, ob die Symptome durch einen chemischen oder biologischen Kampfstoff oder durch eine Art elektromagnetischen Strahlenangriff verursacht worden seien, wie die anonymen Quellen im «Wall Street Journal» ergänzten.

Kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe wurde ein ungenannter US-Beamter von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert, der gesagt habe, dass die Symptome der Männer auf «Umweltfaktoren» und nicht auf eine Vergiftung zurückzuführen seien.

Der Sicherheitsexperte der BBC, Frank Gardner, betont jedoch, dass es kaum überrasche, wenn die USA Andeutungen abschwächten, dass Russland in der Ukraine chemische Waffen einsetzten. Denn sollte sich diese Vermutung bewahrheiten, könnte der Westen zu Vergeltungsmassnahmen gezwungen sein.

Abramowitsch wurde von der EU und Grossbritannien wegen seiner Verbindungen zu Putin sanktioniert, was auch Einfluss auf den Fussballclub Chelsea hat.

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