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Die Zeugen Jehovas: Was sie glauben und wie sich organisieren

stefan-zeitz.de, 24.03.2017, Berlin, Deutschland, GER, Zeugen Jehovas, Kurfürstendamm

Stefan Zeitz de 24 03 2017 Berlin Germany ger Witnesses Jehovas Kurfürstendamm
Zeugen Jehovas beim Verteilen ihrer Zeitschrifen in Berlin.Bild: imago stock&people

Was du über die Zeugen Jehovas wissen musst

10.03.2023, 13:0211.03.2023, 20:40
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Am Donnerstag wurde Hamburg Schauplatz eines Blutbads: Ein 35-jähriger Täter – Ex-Mitglied der Zeugen Jehovas – erschoss während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas mindestens sieben Menschen und sich selbst. Mindestens acht weitere seien verletzt worden.

Die Zeugen Jehovas nehmen auf ihrer Website Stellung zum Vorfall:

Die Religionsgemeinschaft ist tief betroffen von der schrecklichen Amoktat auf ihre Glaubensangehörigen in einem Königreichssaal in Hamburg nach einem Gottesdienst. Dabei kamen mehrere Menschen ums Leben, weitere wurden schwer verletzt. Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten. Wir beten für alle Betroffenen und wünschen ihnen die Kraft des Gottes allen Trostes (1. Korinther 1:3, 4).

Wer sind die Zeugen Jehovas, wie organisieren sie sich und woran glauben sie?

Die Anfänge

Gemäss der Website der Zeugen Jehovas gehören der Gemeinschaft 8'699'048 Menschen in 239 Ländern an. In der Schweiz sind es 19'281 (Stand 2019), in Deutschland 175'558 (Stand 2023).

Begonnen hat die Geschichte der Zeugen Jehovas vor etwa 150 Jahren im US-Bundesstaat Texas. 1870 gründete Charles Taze Russell mit vier weiteren Personen eine Bibelforschergruppe. Er wollte die Bibel unter anderem deswegen vertiefter studieren, da er nicht verstand, wieso ein liebender Gott eine Hölle hätte schaffen sollen. Er kam zum Schluss, dass es keine Hölle geben könne. Bis heute stellt dieses Verständnis einen wesentlichen Bestandteil der Glaubenslehre der Zeugen Jehovas dar. Auf ihrer Website schreibt die Gemeinschaft dazu:

«Wer stirbt, hört auf zu existieren (Psalm 146:4; Prediger 9:5, 10). Keiner wird in einer Hölle gequält. Gott wird aber Milliarden Menschen wieder auferwecken (Apostelgeschichte 24:15). Doch wer dann nicht auf Gott hören will, wird für immer vernichtet – ohne Hoffnung, jemals wieder zu leben (Offenbarung 20:14, 15).»

Intensiv beschäftigten sich die Bibelforschenden rund um Russell auch mit bevorstehenden endzeitlichen Ereignissen, die ihrem Verständnis nach in der Bibel prophezeit worden seien. Im Zuge dessen sagten sie das Ende der Welt bereits fünf Mal voraus: 1881, 1914, 1918, 1925 und 1975.

Nachdem das Ende der Welt 1881 nicht eingetreten war, organisierte sich die Gruppe erstmals als eine religiöse Verlagsgesellschaft. Aufgrund des geglaubten bevorstehenden Endes hatten sie dies zuvor für nicht nötig befunden. Mit der Verlagsgründung wurden sie ab 1881 als Wachtturm-Gesellschaft bekannt. Die Zeitschrift «Der Wachtturm» erschien bereits ab 1879 und gilt heute als Zeitschrift mit der höchsten Auflage weltweit.

Von besonderer Bedeutung war und ist noch immer das Jahr 1914. Während für dieses Jahr zunächst das Ende der Welt und die Rückkehr Jesu Christi vorausgesagt wurde, gilt es nach der heutigen Lehre als der Beginn der «Letzten Tage». Auf ihrer Website schreiben die Zeugen Jehovas:

«Die Zustände in der Welt und auch die biblische Zeitrechnung zeigen, dass die letzten Tage 1914 begannen, das Jahr, in dem der Erste Weltkrieg ausbrach.»

Im Gegensatz zur Vergangenheit äussern sie keine Prophezeiungen und Vermutungen mehr darüber, wann das endgültige Ende komme. Nichtsdestotrotz sind sie überzeugt davon, dass dies «schon bald» geschehen werde.

Glaubensverständnis und -praxis

Als Fundament ihres Glaubens sehen die Zeugen Jehovas die Bibel. Sie glauben an den allmächtigen Gott Jehova und an seinen Sohn Jesus Christus.

Christliche Feiertage wie Weihnachten oder Ostern lehnen sie als heidnische Feste ab. Grund: In der Bibel stehe weder, dass Jesus am 24. Dezember geboren worden sei, noch, dass man dieses Fest zelebrieren sollte. Auch Geburtstage werden bei den Zeugen Jehovas nicht gefeiert.

Der wichtigste Feiertag für sie ist das Abendmahl des Herrn (auch Gedächtnismahl). Dieses wird einmal jährlich gefeiert, um dem Tod Jesu zu gedenken. Weiter halten sie Kongresse – ganztägige Gottesdienste – ab, die sich laut ihrer Website an den drei traditionellen biblischen Festen orientieren.

16.06.2015, Beelitz, Im Schäwe, Brandenburg, Königreichssaal der Zeugen Jehovas, Haus Gebäude, Königreichssaal, Zeugen Jehovas, Jehova, Sekte

16 06 2015 Beelitz in Brandenburg the Witnesses Jehovas H ...
Ein Kongress in einem Stadion in Wroclaw, Polen im Jahr 2013.Bild: imago stock&people
16.06.2015, Beelitz, Im Schäwe, Brandenburg, Königreichssaal der Zeugen Jehovas, Haus Gebäude, Königreichssaal, Zeugen Jehovas, Jehova, Sekte

16 06 2015 Beelitz in Brandenburg the Witnesses Jehovas H ...
Während der Kongresse finden oft Taufen statt. Die Taufe gilt als öffentliche Glaubensäusserung, wobei das Untertauchen im Wasser das Zurücklassen des alten Lebens und der Sünden symbolisiert.Bild: imago stock&people

Zweimal wöchentlich finden sich die Verkünderinnen und Verkünder, wie sich die Zeugen Jehovas selbst nennen, zu Versammlungen zusammen. Dazu treffen sie sich an einem Werk- sowie einem Wochenendtag im sogenannten Königreichssaal. Im Mittelpunkt dieser Zusammenkünfte stehe die Bibel und das gemeinsame Lernen, heisst es auf der Website weiter.

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Ein Königreichssaal in der deutschen Stadt Beelitz.Bild: imago stock&people

Zentraler Bestandteil der Zeugen Jehovas ist die Mission. Dabei versuchen sie unter anderem mittels Hausbesuchen oder Strassendiensten, ungläubige Menschen von ihrem Glauben zu überzeugen. Auf der Website heisst es:

«Alle Zeugen Jehovas, egal wo sie leben, nehmen Jesu Missionsauftrag sehr ernst und setzen regelmäßig Zeit dafür ein, anderen von ihrem Glauben zu erzählen.»

Ein für oft Kontroversen sorgendes Thema ist die Ablehnung von Bluttransfusionen. Hintergrund dafür sind Stellen sowohl im Neuen als auch im Alten Testament, wo nach ihrer Auslegung klar geboten werde, sich von Blut zu enthalten. Aus Gehorsam gegenüber Gott, sowie aus Respekt vor dem Blut als Lebensgeber, lehnten sie Transfusionen ab, schreiben sie auf ihrer Website.

Gegen die Behauptung, dass aufgrund der Ablehnung von Bluttransfusionen jedes Jahr viele Zeugen Jehovas sterben würden, wehren sie sich:

«Eins steht fest: Niemand kann mit Sicherheit sagen, dass ein Patient sterben wird, weil er eine Bluttransfusion ablehnt – oder dass er überleben wird, weil er sie akzeptiert.»

Der Austritt und seine Konsequenzen

Wie der «Spiegel» berichtet, soll es sich beim Amokschützen um ein ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas gehandelt haben. Wie laufen solche Austritte aus der Religionsgemeinschaft ab?

Gemäss der Website kann ein Zeuge Jehovas die Religionsgemeinschaft verlassen. Dies ist auf zwei Arten möglich: entweder durch eine ausdrückliche Erklärung oder durch entsprechende Handlungen, wie beispielsweise dem Anschluss an eine andere Religion.

Brechen Jehovas Zeugen den Kontakt zu ehemaligen Mitgliedern ihrer Gemeinde ab? Diese Frage wird auf der Website unter der Rubrik «Oft gefragt» beantwortet. Dort erklären sie, dass Zeugen Jehovas, die nicht mehr aktiv seien oder nach und nach den Kontakt zur Gemeinschaft verlören, nicht gemieden würden. Stattdessen versuche man alles, «damit sie ihre Freundschaft zu Gott wiederbeleben können». Die Zeugen Jehovas scheinen sich in diesem Paragrafen allerdings auf Menschen zu beziehen, welche der Gemeinschaft nicht ausdrücklich den Rücken gekehrt haben.

Anders sieht es aus, wenn sich jemand immer wieder über die Normen der Bibel hinwegsetze, ohne Reue zu zeigen. In diesem Fall:

«[...] muss er ausgeschlossen werden und der Kontakt wird abgebrochen. Die Bibel sagt klar und deutlich: ‹Schließt also den, der Böses tut, aus eurer Gemeinschaft aus!› (1. Korinther 5:13, Neue Genfer Übersetzung).»

Was nun aber bei einem gewollten Ausstieg konkret geschieht, wird nicht thematisiert. Erfahrungsberichte legen aber nahe, dass dies wohl auch als etwas «Böses» gewertet wird. In einem Interview mit dem «Beobachter» erklärte die Aussteigerin Natalie Barth etwa, dass ihre Familie komplett den Kontakt zu ihr abgebrochen habe.

Auf der Website heisst es zwar, dass ein Aussteiger weiter zur Familie gehöre und die Bindung bestehen bleibe, doch die Realität sieht meist anders aus.

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92 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rikki-Tiki-Tavi
10.03.2023 13:08registriert April 2020
Als ich klein war, missionierten sie eifrig. Und als dann mein Vater starb, terrorisierten sie meine Mutter fast täglich mit ihrer Akquisitionsbemühungen. Somit gehören die Zeugen Jehovas zu meinen Feindbildern seit ich 11 war.
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goschi
10.03.2023 13:01registriert Januar 2014
Es ist eine Apokalypse-Sekte, die extrem fundamentalistische Haltungen allen aufdoktrinieren, mittels brutalster Angstmacherei Menschen, Familien und gesellschaftliche Strukturen kaputt macht.

Meine Familie steckte selbst mal in deren Umfeld fest, das ist einfach nur desaströs, was die anrichten, Kinder werden systematisch mit der Angst vor der direkt bevorstehenden Apokalypse traumatisiert, inkl. dem andauernden Tenor, dass sie ja nicht zu ihrer Familie ins Paradies kommen, weil sie unartig seien.

Leider lässt man sie gewähren, weil sie ja "eine religiöse Gemeinschaft" sind
1954
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Güzmo
10.03.2023 12:48registriert Juli 2019
Zur Aussage, die ZJ würden sich auf die Bibel berufen; Die Bibel der ZJ ist deutlich anders übersetzt als andere bekanntere Fassungen und enthält weniger Bibelbücher.
Und ihr Gott heisst Jehova ohne "s" (von JHWH).
Getaufte Mitglieder, die der Gemeinschaft den Rücken kehren werden gemieden, da kann die New Yorker Zentrale im Internet verkünden was sie will.
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