Immer mehr verstörende Bilder von den Protesten in Myanmar gelangen an die Öffentlichkeit. Sie zeigen Demonstranten, die protestieren, trauern, sich hinter schwarzen Schutzschildern verstecken. Zum Teil zeigen sie Blut, das sich über die Strasse verteilt. Auch am Freitag haben Polizei und Militär erneut Proteste mit Gewalt niedergeschlagen.
Die Gewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten in Myanmar hat eine neue Dimension angenommen. «Polizisten haben offenkundig unbewaffnete, freiwillige medizinische Helfer zusammengeschlagen», sagt die UNO-Sonderbeauftragte Christine Schraner Burgener an einer Online-Pressekonferenz.
Nun will der UNO-Sicherheitsrat in New York über die Krise beraten. Die USA haben bereits ihre Handelssanktionen gegen die Militärregierung in Myanmar verschärft, wie sie am Freitag bekannt gaben.
Der Konflikt zwischen Regierung und Bevölkerung in Myanmar brodelt seit bald einem Monat und hat kriegsähnliche Zustände angenommen. Was du dazu wissen musst, in sieben Punkten.
Seit einem Monat stellt in Myanmar das Militär das Staatsoberhaupt. Am 1. Februar entmachtete es die De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und ihre Partei «Nationale Liga für Demokratie» (NLD).
Seit dem Umsturz hat es immer wieder Massenproteste in Myanmar gegeben. Zunächst streikten Angestellte in Spitälern, Lehrerinnen und Lehrer sowie Studierende. Mittlerweile gehen Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten regelmässig auf die Strassen.
Sie fordern die Freilassung der unter Hausarrest gestellten Aung San Suu Kyi und die Wiedereinsetzung ihrer zivilen Regierung. Viele Demonstrierende tragen Rot, die Farbe der NLD-Partei. Als Geste des Protests halten sie drei Finger in die Luft, das Handzeichen aus der Filmreihe «Hunger Games».
Das Militär versucht derweil mit zunehmender Härte, den Widerstand zu brechen. Am 28. Februar kam es erstmals zu massiver Gewalt. Mindestens 18 Demonstrantinnen und Demonstranten kamen ums Leben, viele weitere wurden verletzt.
Am 3. März eskalierte die Gewalt erneut: 38 Menschen wurden von den Einsatzkräften getötet. Die UNO bezeichnete den Tag als den «blutigsten» Tag seit dem Militärputsch anfangs Februar. «Ein Kundgebungsteilnehmer wurde aus kaum einem Meter Distanz erschossen, obschon er sich zuvor nicht dagegen gewehrt hatte, abgeführt zu werden», sagt die UNO-Beauftragte Schraner Burgener.
Doch die Demonstrierenden scheinen sich nicht einschüchtern zu lassen. «Trotz all dieses brutalen Schiessens und der Tötungen werden wir weitermachen, ohne auch nur einen Tag Pause zu machen», sagte Maung Saungkha, einer der Anführer der Proteste, wie SRF berichtet.
Am Freitag soll mindestens ein Mann getötet worden sein. Ein Journalist aus Myanmar bestätigt der Deutschen Presse-Agentur, das Opfer sei von einem Geschoss im Nacken getroffen worden.
Die Demonstrationen finden besonders in der grössten Stadt Yangon statt. Auch in Mandalay und mehreren kleineren Städten gab es Proteste.
Das Militär hatte Anfang Februar gegen die Regierungschefin Aung San Suu Kyi geputscht. Als Grund führten die Generäle Unregelmässigkeiten bei der Parlamentswahl vom November an.
Die 75-Jährige hatte die Wahl damals mit klarem Vorsprung gewonnen. Allerdings weigert sich das Militär, das Ergebnis anzuerkennen.
Seither sitzt die faktische Regierungschefin im Hausarrest und muss sich wegen mehrfacher Vorwürfe vor Gericht verantworten. Neben dem Wahlbetrug werden ihr weitere Vergehen angelastet: So etwa der Verstoss gegen Import-Export-Gesetze des Landes oder gegen das Katastrophenschutzgesetz im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.
Es ist nicht das erste Mal, dass Aung San Suu Kyi im Hausarrest ist. In den 80er Jahren setzte sie sich für den Demokratisierungsprozess ein. Seither kommt es immer wieder zu Demonstrationswellen in Myanmar.
Als die Bevölkerung im Jahr 1988 für Demokratie demonstrierte, hat das Militär Tausende verschleppt, getötet, zum Teil auf offener Strasse enthauptet. Danach sammelten sich die Reste der Demokratiebewegung um Aung San Suu Kyi, die die Partei NLD gründete.
Das Militär will die vermeintliche Einheit des Staates wahren, was sie oft als Vorwand für ihre Brutalität verwenden, wie die NZZ schreibt. Der aktuelle Machthaber ist der General Min Aung Hlaing.
So geht das Militär auch gegen Minderheiten im Land vor. Eines der bekanntesten Beispiele dafür sind die muslimischen Rohingya. Der gewaltsame Einsatz im Jahr 2017 gilt als eine der schlimmsten ethnischen Säuberungen der jüngsten Geschichte: Der Armee werden Brandstiftung, Gruppenvergewaltigung und Massentötungen vorgeworfen. Über 10'000 Rohingya starben, 730'000 flüchteten nach Bangladesh.
Das Militär zieht in Myanmar schon seit einem halben Jahrhundert die politischen Fäden. Zum ersten Putsch kam es im Jahr 1962 unter General Ne Win.
Das Militär beherrschte das Land, bis in den 80er Jahren der Demokratisierungsprozess einsetzte. Gemäss der Vorstellung einer «disziplinierten Demokratie» verabschiedete das Militärregime im Jahr 2008 eine neue Verfassung. Diese sieht vor, dass ein Viertel der Sitze in den Parlamentskammern für Armeeangehörige reserviert ist. Dadurch ist eine Änderung der Verfassung ohne Zustimmung des Militärs unmöglich.
Neben Menschenrechtsorganisation wie Human Rights Watch verurteilen auch einige Staaten die Gewalteinsätze in Myanmar stark. Besonders viel Druck geht derweil von den USA aus. Bereits anfangs Februar belegte die Regierung Angehörige des Militärs in Myanmar mit Sanktionen.
Nun setzen sie zwei Ministerien sowie zwei grosse Firmen, die dem Militär gehören, auf eine schwarze Liste.
Auch der UNO-Menschenrechtsbeauftragte für Myanmar, Thomas Andrews, hat den Sicherheitsrat aufgerufen, einen weltweiten Stopp für Waffenlieferungen an Myanmar und gezielte Sanktionen zu verhängen. Ausserdem fordert er den Rat auf, sich die schockierenden Bilder der Proteste anzusehen.
The systematic brutality of the military junta is once again on horrific display throughout Myanmar. I urge members of the UN Security Council to view the photos/videos of the shocking violence being unleashed on peaceful protesters before meeting in Friday's close-door session. pic.twitter.com/6owx7ybhcN
— UN Special Rapporteur Tom Andrews (@RapporteurUn) March 4, 2021
Ob das wirkt, ist fraglich. Als die UNO-Beauftragte Christine Schraner Burgener den Vizechef der Militär-Junta, Soe Win, telefonisch davor warnte, dass das Militär nun in die Isolation drifte, bekam sie eine ernüchternde Antwort: «Wir sind uns Sanktionen gewohnt, und wir haben Sanktionen in der Vergangenheit überlebt.» So zitiert die Schweizer Diplomatin den Vizechef Soe Win.
Auch die junge Generation kämpft in Myanmar für Demokratie, mithilfe von TikTok, Instagram und Signal. So kommen immer neue, verstörende Szenen ans Licht.
Citizen journalists are playing a huge role in the way the world is watching the atrocities unfold in Myanmar. Millions of videos and photographs are being shared on social media despite the high risk. My piece is now airing on BBC World News and BBC Burmese. pic.twitter.com/b65qZSOSR2
— Freya Cole (@freya_cole) March 5, 2021
Die UNO-Sonderbeauftragte Christine Schraner Burgener erhalte zurzeit täglich um die 2000 Nachrichten und unzählige Videobotschaften aus dem Land.
Doch auch Soldaten sollen TikTok benutzt haben, um Demonstranten mit dem Tod zu drohen. Das haben Forscher der Gruppe für digitale Rechte Myanmar am Donnerstag bekannt gemacht, wie die NZZ berichtet. Die chinesische Video-Sharing-App verkündete darauf, Inhalte, die zur Gewalt aufrufen, zu löschen. Facebook hatte bereits sämtliche Inhalte der Armee blockiert.
Das Militär will die Kontrolle im Land für ein Jahr übernehmen, wie die NZZ schreibt. Dann wollen sie Neuwahlen abhalten und der Sieger der Wahl soll die Macht übernehmen.
Ob sie das Regime bis dahin aufrechterhalten können, wird sich zeigen. Neben dem Widerstand der Bevölkerung nimmt nun der aussenpolitische Druck zu. Ausserdem soll es auch innerhalb der Polizei Widerstand gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte geben. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.
Polizeibeamte haben sich demnach nach Indien abgesetzt. Inzwischen sollen es 19 Polizisten sein. Das schreibt Kenneth Roth, der Geschäftsführer von Human Rights Watch auf Twitter. «Sie haben gesagt, dass sie Anweisungen von der Militärherrschaft bekommen haben, die sie nicht befolgen können. Also sind sie weggelaufen», sagte Polizeiinspektor Stephen Lalrinawma aus dem indischen Bundesstaat Mizoram, wie die Zeit berichtet.
The numbers keep mounting: now a total of 19 Myanmar police officers have cross into India to avoid carrying out the junta's brutality against anti-coup protesters. https://t.co/MVeA6SMznz pic.twitter.com/OOa9dJPlHS
— Kenneth Roth (@KenRoth) March 5, 2021
Mit Material der SDA.
Schrecklich, was in Myanmar passiert.