Im Hintergrund zogen die Generäle immer die Fäden, nun haben sie die Macht in Myanmar wieder offen übernommen und die zivile Führung unter De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi entmachtet. Das verheisst wenig Gutes, denn das rohstoffreiche südostasiatische Land, das früher Burma hiess und einst der grösste Reisexporteur der Welt war, verelendete in den langen Jahren der Militärherrschaft seit dem ersten Putsch 1962 in erschreckendem Ausmass.
Wie konnte es dazu kommen, dass Myanmar zur Beute einer Militärjunta wurde, die diesen Vielvölkerstaat jahrzehntelang im eisernen Griff hielt und hinter dem sogenannten Teak-Vorhang von der Welt abschottete? Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen zum Teil tief in der Geschichte des Landes. Jahrhundertealte ethnische und religiöse Gegensätze prägen immer noch die Gegenwart – nicht zuletzt auch, weil sie von der britischen Kolonialmacht zur Festigung der Herrschaft benutzt wurden.
Mehr als 130 Ethnien leben heute in Myanmar. Viele kleinere Volksgruppen bewohnen die höhergelegenen Regionen im Norden, Osten und Westen des Landes. Bis zu 70 Prozent der Bevölkerung sind Birmanen, auch Bamar genannt, auf die beide Namen des Landes zurückgehen – Burma wie Myanmar. Sie sprechen eine tibetobirmanische Sprache und hängen überwiegend dem Buddhismus an, wobei die Theravada-Schule dominiert. Die Birmanen stammen ursprünglich aus China und Tibet und wanderten wohl ab dem 6. Jahrhundert ins Tal des Irrawaddy ein. Dort und daneben vornehmlich im Westen und Süden sind sie heute noch ansässig.
Im Irrawaddy-Tal stiessen die Birmanen auf das Volk der Pyu, das sie im Lauf der Zeit vollständig assimilierten, und auf die Mon, von denen sie kulturell stark beeinflusst wurden. Diese austroasiatische Volksgruppe war bereits bedeutend früher aus China nach Südostasien gewandert und hatte dort eine der frühesten bekannten Kulturen begründet, die stark von indischen Einflüssen geprägt war. So übernahmen die Mon den Hinduismus und danach schon früh den Theravada-Buddhismus von Missionaren aus Sri Lanka. Heute sind die Mon eine Minderheit von gut zwei Prozent der Bevölkerung, die nur noch kleinere Gebiete – vorwiegend im Südosten – bewohnen.
Die Shan, die heute mit knapp neun Prozent die zweitgrösste Minderheit ausmachen, sind vermutlich bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. aus dem südchinesischen Yünnan nach Burma eingewandert. Sie sind überwiegend Buddhisten und sprechen eine Tai-Sprache. Ihre Bevölkerungszentren liegen im Osten und Norden.
Auch die mit gut sechs Prozent drittgrösste ethnische Gruppe, die Karen, stammen aus Yünnan; sie wanderten seit etwa dem 10. Jahrhundert in Burma ein. Sie sprechen eine tibetobirmanische Sprache und sind seit der Missionierung durch amerikanische Baptisten im 19. Jahrhundert mehrheitlich Christen. Dies führte dazu, dass sie während der Kolonialzeit von den Briten bevorzugt wurden. Bereits während der japanischen Besetzung Burmas im Zweiten Weltkrieg und dann nach der Unabhängigkeit kam es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen an dieser Volksgruppe.
Dieses Schicksal traf allerdings auch andere ethnische Gruppen, in denen es zum Teil separatistische Bestrebungen gab und immer noch gibt, in unterschiedlichem Ausmass. Bekanntestes Beispiel sind die Rohingya, die im Westen des Landes leben und von denen seit dem Ende der britischen Kolonialzeit insgesamt mehr als anderthalb Millionen ins Exil gezwungen wurden.
Die Herkunft dieser überwiegend muslimischen Minderheit, die eine bengalische Sprache spricht, ist aus politischen Gründen umstritten: Während Rohingya-Aktivisten den autochthonen Charakter der Volksgruppe betonen, gelten sie offiziell nicht als einheimische Bevölkerungsgruppe, sondern als erst vor kurzer Zeit zugewanderte Bengalen. Sicher ist, dass bereits im Königreich Arakan, das etwa dem heutigen Rakhaing-Staat in Myanmar entspricht, eine muslimische Minderheit existierte. Sicher ist aber auch, dass es besonders während der Kolonialzeit eine Zuwanderung aus Bengalen gab.
Nicht nur für die Rohingya ist der buddhistisch gefärbte birmanische Nationalismus, der sich während der britischen Kolonialzeit formierte, nach der Unabhängigkeit zu einer Bedrohung geworden. Fortschritte bei der Demokratisierung nach Jahrzehnten der Militärdiktatur und der Isolation haben die Lage paradoxerweise noch verschärft.
Nach den ersten Stadtstaaten der Pyu, die bereits im 1. Jahrhundert v. Chr. entstanden, dominierten verschiedene Staatsgebilde das Land zwischen Indien und China. Die Birmanen, die in den Jahrhunderten nach Beginn ihrer Einwanderung zur dominierenden Volksgruppe wurden, gründeten das Reich von Pagan, dessen König Anawrahta 1057 erstmals die Gebiete vereinigte, die man später unter dem Namen Burma kennen würde. Im Zuge dieser Expansion wurden auch die schon länger bestehenden Stadtstaaten der Mon im Süden unterworfen.
Nachdem die Mongolen das Pagan-Reich 1287 zerschlagen hatten, erlangten die Mon ihre Unabhängigkeit zurück. Ihr Königreich Hanthawaddy (oder Pegu), das bis 1390 ganz Unterburma erobern konnte, stand in stetiger Konkurrenz mit dem Königreich Ava, das in Oberburma das Pagan-Reich beerbte, aber von ethnischen Shan dominiert wurde. Keines der beiden Reiche konnte die Herrschaft über ganz Burma erlangen. Dies gelang erst wieder der birmanischen Dynastie des Königreichs Taungu, die darüber hinaus grosse Gebiete in Südostasien tributpflichtig machen konnte. Um 1580 war das Königreich Taungu das grösste Reich, das jemals in Südostasien bestand; es zerfiel jedoch schnell wieder.
Nach langen Jahren der Wirren konnte König Alaungpaya aus der Kobaung-Dynastie das Land Mitte des 18. Jahrhunderts erneut einen. 1757 eroberte er das wiedererstandene Mon-Königreich Hanthawaddy, wobei es zu einem Massaker an den Mon kam. Deren Kultur wurde danach weitgehend zerstört, viele Mon flohen nach Süden oder nach Thailand. Der birmanisch dominierte und stark zentralistisch organisierte Staat der Konbaung-Dynastie hatte bis zur vollständigen Eroberung Burmas durch die Briten 1885 Bestand.
Neben diesen Reichen spielten auch kleinere politische Einheiten eine Rolle, etwa das buddhistische Königreich Arakan am Golf von Bengalen. Seine Könige übten religiöse Toleranz, nahmen zum Teil islamische Titel an und stellten auch Muslime als Beamte ein. Das Königreich widerstand, zeitweise dank dem Einsatz von portugiesischen Söldnern, den birmanischen Angriffen und wurde erst 1784 erobert. Dieser Widerstand findet heute ein spätes Echo in den Attacken der sogenannten Arakan Army auf Posten des myanmarischen Militärs.
Ende des 18. Jahrhunderts versuchte das Königreich der Konbaung-Dynastie, in den westlichen Gebieten Arakan, Manipur und Assam seine Macht zu konsolidieren. Von Westen her drang jedoch die britische Ostindien-Kompanie (British East India Company) in diese Region vor, was zu einem Konflikt über die jeweiligen Einflusssphären führte. 1822 eroberte Burma Assam, was zum Ersten Anglo-Burmesischen Krieg (1824-1826) führte. Er endete mit einer Niederlage Burmas, das neben den genannten Gebieten auch das südliche Tenasserim an die Briten abtreten musste.
Damit war die britische Expansion noch nicht gestoppt: Bereits 1852 kam es zum nächsten bewaffneten Konflikt, dem Zweiten Anglo-Burmesischen Krieg, der 1853 ebenfalls mit einer Niederlage Burmas endete und zur Abtretung der Provinz Pegu führte. Der Rest des Landes kam nach dem Dritten Anglo-Burmesischen Krieg 1885 unter britische Kontrolle, auch weil die Briten französischen Einfluss von Indochina her fürchteten. Burma wurde im Jahr darauf Teil von Britisch-Indien. Der letzte König, Thibaw Min, wurde nach Indien ins Exil geschickt.
Die britische Kolonialmacht wälzte das traditionelle birmanische Herrschaftssystem um und entfernte den Adel aus seinen Ämtern. Nach dem Anschluss an Britisch-Indien siedelten die Briten zahlreiche Inder in den urbanen Zentren Burmas an, wo sie in der kolonialen Hierarchie über den Einheimischen standen. Zwischen diesen und den Kolonialherren stand auch die dünne Schicht der eurasischen Nachkommen aus gemischten Ehen zwischen Einheimischen und Europäern.
Die Kolonialverwaltung teilte die Bevölkerung bei den Volkszählungen in ethnische Gruppen ein, wodurch das westliche Konzept von Rasse und Ethnie in Burma importiert wurde. Die ethnischen Kategorien, die von der Kolonialverwaltung gehandhabt wurden, waren strenger definiert als die traditionelle ethnische Selbst-Identifikation in Südostasien, wo Individuen sich zum Teil je nach Kontext einer jeweils anderen Volksgruppe zugehörig fühlen konnten.
Die britische Herrschaft war in «Burma Proper», also dem zentralen Ober- und Unterburma, direkter und umfassender als in den Grenzgebieten, dem «Outer Burma», wo zahlreiche Minderheiten lebten. Aus diesen Minderheiten rekrutierten die Briten Soldaten für die Kolonialarmee, mit der sie Burma Proper unter Kontrolle hielten. Birmanen, denen die Briten wenig trauten, wurden kaum rekrutiert. Der birmanische Nationalismus, der sich ab der Jahrhundertwende gegen die Kolonialherren zu formieren begann, richtete sich daher auch zunehmend gegen die Minderheiten und Einwanderer aus Indien.
Die nationalistische Bewegung war von Beginn an buddhistisch gefärbt; organisatorisch trat sie erstmals in Form der Young Men's Buddhist Association (YMBA) auf, die sich 1906 nach dem Vorbild der christlichen Jugendorganisation YMCA (CVJM) formierte. Buddhistische Mönche und Studenten spielten eine zentrale Rolle im Kampf für die Unabhängigkeit. Zudem wuchs eine neue Generation der birmanischen Elite heran, die zum Teil in Grossbritannien studieren konnte und nach Reformen strebte.
In den Zwanzigerjahren kam es zu ersten Studentenprotesten und 1930 eskalierte ein lokaler Protest gegen Steuern zu einem nationalen Aufstand, den die Briten erst nach zwei Jahren vollständig niederschlagen konnten. 1937 trennte die Kolonialverwaltung Burma von Britisch-Indien ab und verlieh den Einheimischen mehr politische Rechte.
Im Zweiten Weltkrieg besetzte das Japanische Kaiserreich die französische Kolonie Indochina und eroberte Thailand und die britische Kolonie Malaysia. Von Thailand aus griff die japanische Armee 1942 Burma an und besetzte grosse Teile des Landes unter Mithilfe der aus birmanischen Nationalisten formierten Burma Independence Army (BIA). Im folgenden Jahr erklärten die Japaner Burma zum unabhängigen Staat, doch den birmanischen Nationalisten wurde schnell klar, dass es sich lediglich um einen Marionettenstaat handelte. Während der japanischen Besetzung kamen 170'000 bis 250'000 Zivilisten ums Leben.
Aufgrund der leeren japanischen Versprechungen und angesichts der militärischen Erfolge der Alliierten, die Burma bis zum Kriegsende 1945 weitgehend zurückerobern konnten, griff die birmanische Nationalarmee die zuvor verbündeten Japaner im März 1945 an. Das Land kehrte zunächst unter britische Herrschaft zurück, aber wie in Indien waren deren Tage nach dem Krieg gezählt. Anfang 1947 wurden in London die Bedingungen für die Unabhängigkeit ausgehandelt. Die birmanische Delegation wurde vom Kommandanten der BIA, Aung San, angeführt, dem Vater der späteren Oppositionspolitikerin und De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi. Die Unabhängigkeit Burmas am 4. Januar 1948 erlebte Aung San nicht mehr; er wurde 1947 ermordet. Das antibritische Sentiment in Burma war derart stark, dass der neue Staat sich dem British Commonwealth nicht anschloss.
Zu den in London ausgehandelten Bedingungen gehörte unter anderem, dass die überwiegend nicht von Birmanen besiedelten Gebiete von Outer Burma, die von den Briten separat verwaltet worden waren, der Unabhängigkeit zustimmten. Dies geschah kurz darauf an der Panglong-Konferenz, bei der die Shan und andere Volksgruppen ihren Beitritt zu einer künftigen Union of Burma erklärten, sich dabei jedoch das Recht vorbehielten, die Union nach zehn Jahren zu verlassen. In der Realität zeigte sich später, dass diese Option nicht bestand – der Zentralstaat bekämpfte jede Sezession entschlossen und brutal.
Die Regierung des unabhängigen Burma unter Regierungschef U Nu, einem buddhistischen Nationalisten, war daher bald mit bewaffneten Aufständen in Teilen des Landes konfrontiert, dazu kam der Vormarsch der nach Burma geflohenen nationalchinesischen Truppen, die den Bürgerkrieg in China gegen die Kommunisten verloren hatten. Sie besetzten grosse Teile des Shan-Staats und wurden vom amerikanischen Geheimdienst CIA unterstützt.
Die Armee Burmas konnte den Vormarsch dieser Truppen stoppen, aber sie und ihre Nachkommen blieben im Land, wo sie zu grossen Teilen die Opiumproduktion im Goldenen Dreieck kontrollierten. Auch aufgrund der amerikanischen Unterstützung der nationalchinesischen Truppen schlug Burma einen neutralen aussenpolitischen Kurs ein und trat der SEATO nicht bei. Es gehörte zu den ersten Staaten, die die Volksrepublik China anerkannten.
Die Entscheidung des langjährigen Regierungschefs U Nu, den Buddhismus zur Staatsreligion zu erklären, verstärkte die Konflikte mit den Minderheiten, besonders mit den christlichen Karen. Die Wirren gefährdeten die Einheit des Staates, so dass 1962 das Militär unter General Ne Win erstmals putschte. Unter Ne Wins Führung schottete sich Burma nahezu vollständig vom Rest der Welt ab.
Im Rahmen des «burmesischen Wegs zum Sozialismus», der Elemente von extremem Nationalismus, Buddhismus und Marxismus vereinte, wurden bedeutende Teile der Wirtschaft verstaatlicht. Dies führte zu Misswirtschaft und zur Verelendung des Landes. Schwarzmarkt und Schmuggel befriedigten die Bedürfnisse der Bevölkerung mehr schlecht als recht. Gegen politische Oppositionelle und aufständische Minderheiten ging das Militär mit massiver Gewalt vor.
Die wachsende Unzufriedenheit entlud sich im sogenannten 8888 Uprising am 8. August 1988, als Hunderttausende für Demokratie demonstrierten. Bereits vorher war Ne Win aufgrund der zunehmenden Unruhen zurückgetreten; auf ihn folgte eine zivile Regierung. Private Unternehmen wurden nun wieder zugelassen. Doch bereits im September putschte das Militär erneut. General Saw Maung rief das Kriegsrecht aus und die Demokratiebewegung wurde mit blutiger Gewalt zerschlagen. Tausende wurden getötet oder verschleppt.
Die Reste der Demokratiebewegung sammelten sich in der Folge um Aung San Suu Kyi, die kurz nach dem Putsch die National League for Democracy (NLD) gründete, deren Vorsitz sie bald übernahm. Sie erhielt 1991 den Friedensnobelpreis, wurde vom Regime aber unter einen immer wieder verlängerten Hausarrest gestellt. Die NLD errang bei den Wahlen von 1990 einen Erdrutschsieg, doch die Militärjunta weigerte sich, die Macht zu übergeben, bevor eine neue Verfassung ausgearbeitet war.
Mit dem seit 1992 regierenden General Than Shwe an der Spitze blieb die Junta fest im Sattel und machte nur Schein-Zugeständnisse an die Demokratiebewegung, etwa 2003 mit dem «Fahrplan zu einer disziplinierten Demokratie». Auch eine erneute Demonstrationswelle 2007, die von buddhistischen Mönchen und Nonnen angeführt wurde, konnte das Regime nicht von der Macht vertreiben. Zwei Jahre zuvor hatten die Generäle den Regierungssitz von Rangun in die neue Hauptstadt Naypyidaw verlegt – mit derselben autokratischen Selbstherrlichkeit, mit der sie 1989 Burma in «Myanmar» und Rangun in «Yangon» umbenannt hatten.
Gemäss der Vorstellung einer «disziplinierten Demokratie» verabschiedete das Militärregime 2008 eine neue Verfassung, in der bestimmt wurde, dass ein Viertel aller Mandate in allen Parlamenten direkt vom Militär benannt werden. Dies verunmöglicht eine Änderung der Verfassung ohne Zustimmung des Militärs. So konnte die Junta den Übergang zu einer Zivilregierung nach ihren Bedingungen orchestrieren. 2011 trat Than Shwe zurück, die Militärregierung wurde aufgelöst und der ehemalige General Thein Sein wurde als Zivilist erster Präsident Myanmars seit 1988.
Die NLD, die 2010 die Wahlen unter solchen Bedingungen noch boykottiert hatte, machte 2015 mit und errang die absolute Mehrheit. Aung San Suu Kyi wurde Aussenministerin und De-Facto-Regierungschefin, da sie aufgrund der Verfassung nicht Präsidentin werden konnte, weil ihre Kinder britische Staatsangehörige sind. Präsident wurde Htin Kyaw – das erste Staatsoberhaupt, das nicht aus den Reihen des Militärs stammte. Damit war die Militärherrschaft beendet, auch wenn das Militär im Hintergrund weiterhin bedeutenden Einfluss ausübte.
Aung San Suu Kyi erfüllte die hochfliegenden internationalen Erwartungen nicht; besonders ihre apologetische Haltung zum Konflikt mit den Rohingya sorgte für Ernüchterung und beschädigte ihr Ansehen im Ausland enorm. Dieser seit langem schwelende Konflikt verschärfte sich 2017 massiv – es kam zu blutigen Gefechten und brutalen Ausschreitungen vornehmlich von Seiten der Armee. Die Vertreibungen der Rohingya wurden von der UNO als «ethnische Säuberung» bezeichnet.
Im Inland erfreute sich Aung San Suu Kyi jedoch weiterhin grosser Beliebtheit. Ihre NLD gewann auch die Wahlen im November 2020, wiederum mit absoluter Mehrheit. Die Militärs sprachen jedoch von Wahlbetrug – und putschten mit dieser Begründung schliesslich am 1. Februar erneut.
Es wäre verfehlt, die heutigen Konflikte in Myanmar einfach der britischen Kolonialmacht anzulasten. Animositäten zwischen den verschiedenen Ethnien gab es auch vorher – so manifestierte sich etwa die Dominanz der Birmanen auch in Eroberungskriegen gegen Staatsgebilde anderer Volksgruppen. Die präkoloniale Geschichte des Landes kennt genug blutige Konflikte. Die Briten akzentuierten allerdings die Spannungen zwischen den Ethnien und nutzten sie, um ihre Herrschaft zu festigen. Es ist der Kolonialmacht indes anzurechnen, dass sie die Verfolgung von Minderheiten vielfach unterband. Die Mon beispielsweise hatten während der Kolonialzeit wenig unter birmanischen Repressalien zu leiden, was sich nach der Unabhängigkeit änderte.
Die Briten hinterliessen dem unabhängigen Burma vor allem eine verwaltungstechnische Hypothek: Sie verwalteten Burma Proper, das vornehmlich von Birmanen besiedelte Kerngebiet, selbst. Outer Burma, in dem die Minderheiten dominierten, überliessen sie dagegen weitgehend sich selbst und den lokalen Machthabern. Sie rekrutierten ihre Kolonialtruppen überwiegend aus den Reihen der Minderheiten und kontrollierten mit deren Hilfe die Birmanen, deren Nobilität sie zudem entmachtet hatten. Diese Kränkung förderte ein birmanisches Ressentiment, das sich gegen Briten und Minderheiten zugleich richtete.
Der birmanisch dominierte Zentralstaat misstraut den ethnischen Minderheiten nach wie vor und betrachtet Föderalismus als sicheres Rezept für staatlichen Zerfall. Die Minderheiten hingegen streben grössere Autonomie oder gar Unabhängigkeit an, weil sie den birmanischen Nationalismus fürchten. Zu Recht, denn dieser hat stets auf die militärische Karte gesetzt und beispielsweise den Shan übel mitgespielt, deren Führer abgesetzt und ermordet, deren Dörfer abgebrannt und deren Felder zerstört wurden.
Das Militär, das sich zunächst als ordnende Macht verstand, hat sich längst zu einem sich selbst erhaltenden Machtapparat entwickelt, der neben der Politik auch ganze Wirtschaftszweige kontrolliert. Parallel dazu haben sich bewaffnete ethnische Gruppen in den Randgebieten eine ähnliche Machtbasis geschaffen: Politisch kontrollieren sie diese Regionen mithilfe parastaatlicher Strukturen, wirtschaftlich profitieren sie von der Ausbeutung von Bodenschätzen oder vom Handel mit Drogen. Angesichts dieser Verhältnisse fällt es nicht leicht, auf eine grundlegende Änderung in Myanmar zu hoffen.
An der Situation langfristig etwas zu ändern wird schwierig sein. Dazu bräuchte es wohl einen (blutig endenden) Aufstand der Bevölkerung. Die Macht des Militärs könnte wohl nur gebrochen werden, wenn das Militär der demokratisch gewählten Regierung unterstellt wird und jeglicher Putsch dagegen als Verrat gewertet wird.