Mit dem knappen Sieg des PiS-Kandidaten Karol Nawrocki hat Polen einen neuen Präsidenten. Doch an der politischen Lage im Land ändert das wenig. Im Gegenteil: Der Wahlausgang verschärft einen Konflikt, der die proeuropäische Regierung von Premierminister Donald Tusk schon seit ihrem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren begleitet. Wie sein Vorgänger stammt auch der neu gewählte Präsident Karol Nawrocki aus dem Lager der nationalkonservativen PiS-Partei. Nawrocki dürfte nahtlos an seine Linie anknüpfen – und Gesetze, die seiner Partei nicht passen, stets blockieren.
Was also könnte Chaos, Zerwürfnisse und Stillstand in der polnischen Exekutive verhindern? Tusks Regierungskoalition steht vor einem Dilemma: Hält sie an der Konfrontation mit dem Präsidenten fest und bleibt weitgehend handlungsunfähig – oder sucht sie den Ausgleich mit der PiS, ihrem politischen Gegner? Die PiS jedenfalls hat ihren Entschluss schon gefasst: Sie versucht, die ohnehin fragile Regierung weiter zu schwächen.
Am Montagabend, keine 24 Stunden nach der Wahl, tritt PiS-Chef Jarosław Kaczyński vor die Presse. Kaczyński hält sich nicht damit auf, den Wahlsieg seines Kandidaten zu feiern. Stattdessen setzt der Politiker zum Angriff an: Die Regierung unter Tusk sei unfähig, lasse die Preise steigen, scheitere an illegaler Einwanderung. Die Niederlage von Tusks Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl sei eine «rote Karte». «In einer Demokratie gehört eine solche Regierung weg», sagt er.
Dann macht Kaczyński einen Vorschlag, der in Warschau für Aufsehen sorgt: Statt Tusk solle eine sogenannte «technische Regierung» Polen führen. Mit einem überparteilichen Ministerpräsidenten an der Spitze, «Fachleuten» in den Ministerien. De facto würde diese Regierung mit Zustimmung der PiS-Partei arbeiten. Es ist der Versuch der PiS, schon vor der nächsten Parlamentswahl in zwei Jahren die Politik Polens mitzulenken. Und Tusk aus dem Regierungsamt zu entfernen.
Nur kurz darauf stellt sich auch Ministerpräsident Donald Tusk vor die Öffentlichkeit und reagiert auf Kaczyńskis Rücktrittsforderung. Tusk kündigt an, dem Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. Er fordert das Parlament dazu auf, offiziell zu bestätigen, dass es weiterhin hinter seiner Regierung steht.
Selbst in der eigenen Koalition zweifeln einige Tusks Vorgehen an. «Politisches Theater» nennt es Szymon Hołownia, einer seiner wichtigsten Koalitionspartner. Man wisse doch: Tusk dürfte die Abstimmung mit einer knappen Mehrheit seiner Koalition gewinnen.
Wenn es so kommt, bleibt ein Grundproblem bestehen: Seine Koalition – ein Bündnis aus Liberalen, Linken und konservativen Regionalparteien – ist in vielen Fragen uneinig, besonders bei gesellschaftspolitischen Themen. Eine geplante Lockerung des Abtreibungsrechts scheiterte vergangenes Jahr am Widerstand des konservativen Koalitionspartners – noch bevor der PiS-nahe Präsident überhaupt ein Veto hätte einlegen können.
Der Wahlsieg Nawrockis verschärft die politische Not für die Regierung Tusk: Er dürfte zentrale Reformen blockieren – wie schon sein Vorgänger, der etwa eine Justizreform und ein Antikorruptionsgesetz nicht unterzeichnete. Diese Gesetze sollten Polens Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen. Genau das würde jedoch eine Machtsäule der PiS gefährden: Während ihrer achtjährigen Regierungszeit hatte sie den Staatsapparat umgebaut, die Justiz mit loyalen Richtern besetzt. Eine Rückabwicklung dieser Strukturen dürfte unter Präsident Nawrocki kaum vorankommen.
Gleichzeitig liess die PiS aber auch einige Vorhaben der Regierung Tusk passieren, sofern sie zur eigenen Agenda passen: etwa eine Verschärfung der Migrationspolitik. Ende März setzte die Regierung das Asylrecht an der belarussischen Grenze aus – der bisherige PiS-nahe Präsident Andrzej Duda legte kein Veto ein.
Was also kann Tusk tun? Ambitionierte Vorhaben wird das liberale Regierungsbündnis weiter zurückschrauben müssen. Um das politische Tagesgeschäft zu navigieren, wird Tusk sich mit der PiS auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigen müssen. Doch dieser Kurs wird weder die Anhänger noch die Gegner der Regierung überzeugen.
Die Polen sind mit der politischen Blockade zunehmend frustriert: Laut einer aktuellen Umfrage des Instituts CBOS sind nur noch 32 Prozent der Befragten mit der Regierung zufrieden, deutlich mehr äussern sich kritisch. Auch Regierungschef Tusk verliert an Rückhalt.
Die Unzufriedenheit mit den zerstrittenen Lagern dürfte die Polarisierung der Gesellschaft verstärken. Schon im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl hatten rechtsradikale Kandidaten mehr als 20 Prozent der Stimmen erhalten. Die Blockadepolitik könnte die politische Mitte weiter schwächen und extremen Kräften weiteren Aufwind verleihen.
Ob Tusks Regierung bis zur nächsten Parlamentswahl 2027 durchhält, ist ungewiss. Zwar kündigte Tusk einen «Notfallplan» an, um dem Widerstand aus dem Präsidentenpalast entgegenzutreten. Wie dieser aussehen soll, liess er aber bislang offen. Davor wird er ohnehin dem Parlament die Vertrauensfrage stellen.
Die PiS unter Kaczyński hat jedenfalls ihren eigenen Plan: Sie will die Regierung unter Tusk demontieren. Je weniger der Regierungschef liefern kann, desto stärker der Eindruck einer zerrissenen, kraftlosen Koalition. Nach dem Wahlsieg ihres Kandidaten scheint der Weg vorgezeichnet. Die PiS will nicht nur den Präsidenten stellen – sie bereitet auch ihre Rückkehr in die Regierung vor. (nib)