International
Zeit Online

Der polnische Präsident ist gewählt doch der Machtkampf geht weiter

epa12145647 Head of the Institute of National Remembrance (IPN) and candidate in the 2025 presidential elections, Karol Nawrocki meets with local residents in Biala Podlaska, Poland, 30 May 2025. Karo ...
Der neugewählte polnische Präsident Karol Nawrocki.Bild: keystone

Der polnische Präsident ist gewählt, doch der Machtkampf geht weiter

Kaum stellt die PiS-Partei den neuen polnischen Präsidenten, fordert sie: Regierungschef Tusk soll abtreten. Der wehrt sich mit der Vertrauensfrage. Kann er sich halten?
03.06.2025, 11:2203.06.2025, 11:22
Alexander Kauschanski / Zeit Online
Mehr «International»
Ein Artikel von
Zeit Online

Mit dem knappen Sieg des PiS-Kandidaten Karol Nawrocki hat Polen einen neuen Präsidenten. Doch an der politischen Lage im Land ändert das wenig. Im Gegenteil: Der Wahlausgang verschärft einen Konflikt, der die proeuropäische Regierung von Premierminister Donald Tusk schon seit ihrem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren begleitet. Wie sein Vorgänger stammt auch der neu gewählte Präsident Karol Nawrocki aus dem Lager der nationalkonservativen PiS-Partei. Nawrocki dürfte nahtlos an seine Linie anknüpfen – und Gesetze, die seiner Partei nicht passen, stets blockieren.

Was also könnte Chaos, Zerwürfnisse und Stillstand in der polnischen Exekutive verhindern? Tusks Regierungskoalition steht vor einem Dilemma: Hält sie an der Konfrontation mit dem Präsidenten fest und bleibt weitgehend handlungsunfähig – oder sucht sie den Ausgleich mit der PiS, ihrem politischen Gegner? Die PiS jedenfalls hat ihren Entschluss schon gefasst: Sie versucht, die ohnehin fragile Regierung weiter zu schwächen.

Die PiS fordert einen Rücktritt Tusks

Am Montagabend, keine 24 Stunden nach der Wahl, tritt PiS-Chef Jarosław Kaczyński vor die Presse. Kaczyński hält sich nicht damit auf, den Wahlsieg seines Kandidaten zu feiern. Stattdessen setzt der Politiker zum Angriff an: Die Regierung unter Tusk sei unfähig, lasse die Preise steigen, scheitere an illegaler Einwanderung. Die Niederlage von Tusks Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl sei eine «rote Karte». «In einer Demokratie gehört eine solche Regierung weg», sagt er.

epa12124742 Polish Prime Minister Donald Tusk attends a special meeting at Maritime Operations Centre in Gdynia, northern Poland, 22 May 2025. Tusk held a special meeting with security agencies after  ...
Ministerpräsident von Polen, Donald Tusk.Bild: keystone

Dann macht Kaczyński einen Vorschlag, der in Warschau für Aufsehen sorgt: Statt Tusk solle eine sogenannte «technische Regierung» Polen führen. Mit einem überparteilichen Ministerpräsidenten an der Spitze, «Fachleuten» in den Ministerien. De facto würde diese Regierung mit Zustimmung der PiS-Partei arbeiten. Es ist der Versuch der PiS, schon vor der nächsten Parlamentswahl in zwei Jahren die Politik Polens mitzulenken. Und Tusk aus dem Regierungsamt zu entfernen.

Der Wahlsieg Nawrockis verschärft die politische Not

Nur kurz darauf stellt sich auch Ministerpräsident Donald Tusk vor die Öffentlichkeit und reagiert auf Kaczyńskis Rücktrittsforderung. Tusk kündigt an, dem Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. Er fordert das Parlament dazu auf, offiziell zu bestätigen, dass es weiterhin hinter seiner Regierung steht.

Selbst in der eigenen Koalition zweifeln einige Tusks Vorgehen an. «Politisches Theater» nennt es Szymon Hołownia, einer seiner wichtigsten Koalitionspartner. Man wisse doch: Tusk dürfte die Abstimmung mit einer knappen Mehrheit seiner Koalition gewinnen.

Wenn es so kommt, bleibt ein Grundproblem bestehen: Seine Koalition – ein Bündnis aus Liberalen, Linken und konservativen Regionalparteien – ist in vielen Fragen uneinig, besonders bei gesellschaftspolitischen Themen. Eine geplante Lockerung des Abtreibungsrechts scheiterte vergangenes Jahr am Widerstand des konservativen Koalitionspartners – noch bevor der PiS-nahe Präsident überhaupt ein Veto hätte einlegen können.

Der Wahlsieg Nawrockis verschärft die politische Not für die Regierung Tusk: Er dürfte zentrale Reformen blockieren – wie schon sein Vorgänger, der etwa eine Justizreform und ein Antikorruptionsgesetz nicht unterzeichnete. Diese Gesetze sollten Polens Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen. Genau das würde jedoch eine Machtsäule der PiS gefährden: Während ihrer achtjährigen Regierungszeit hatte sie den Staatsapparat umgebaut, die Justiz mit loyalen Richtern besetzt. Eine Rückabwicklung dieser Strukturen dürfte unter Präsident Nawrocki kaum vorankommen.

Gleichzeitig liess die PiS aber auch einige Vorhaben der Regierung Tusk passieren, sofern sie zur eigenen Agenda passen: etwa eine Verschärfung der Migrationspolitik. Ende März setzte die Regierung das Asylrecht an der belarussischen Grenze aus – der bisherige PiS-nahe Präsident Andrzej Duda legte kein Veto ein.

Die PiS hat einen Plan: Sie will Tusk demontieren

Was also kann Tusk tun? Ambitionierte Vorhaben wird das liberale Regierungsbündnis weiter zurückschrauben müssen. Um das politische Tagesgeschäft zu navigieren, wird Tusk sich mit der PiS auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigen müssen. Doch dieser Kurs wird weder die Anhänger noch die Gegner der Regierung überzeugen.

Die Polen sind mit der politischen Blockade zunehmend frustriert: Laut einer aktuellen Umfrage des Instituts CBOS sind nur noch 32 Prozent der Befragten mit der Regierung zufrieden, deutlich mehr äussern sich kritisch. Auch Regierungschef Tusk verliert an Rückhalt.

Die Unzufriedenheit mit den zerstrittenen Lagern dürfte die Polarisierung der Gesellschaft verstärken. Schon im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl hatten rechtsradikale Kandidaten mehr als 20 Prozent der Stimmen erhalten. Die Blockadepolitik könnte die politische Mitte weiter schwächen und extremen Kräften weiteren Aufwind verleihen.

Jetzt auf

Ob Tusks Regierung bis zur nächsten Parlamentswahl 2027 durchhält, ist ungewiss. Zwar kündigte Tusk einen «Notfallplan» an, um dem Widerstand aus dem Präsidentenpalast entgegenzutreten. Wie dieser aussehen soll, liess er aber bislang offen. Davor wird er ohnehin dem Parlament die Vertrauensfrage stellen.

Die PiS unter Kaczyński hat jedenfalls ihren eigenen Plan: Sie will die Regierung unter Tusk demontieren. Je weniger der Regierungschef liefern kann, desto stärker der Eindruck einer zerrissenen, kraftlosen Koalition. Nach dem Wahlsieg ihres Kandidaten scheint der Weg vorgezeichnet. Die PiS will nicht nur den Präsidenten stellen – sie bereitet auch ihre Rückkehr in die Regierung vor. (nib)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Was gerade an der belarussisch-polnischen Grenze passiert
1 / 10
Was gerade an der belarussisch-polnischen Grenze passiert
Seit mehreren Tagen sitzen Tausende von Migranten an der Grenze von Belarus zu Polen fest.
quelle: keystone / leonid shcheglov
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Land unter in Osteuropa – diese Videos zeigen die Verwüstung von Sturm «Boris»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
2 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
2
    Ryanair-Flug muss wegen Turbulenzen in Bayern zwischenlanden – 9 Verletzte
    Eine Ryanair-Maschine ist nach schweren Turbulenzen mit mehreren Verletzten ausserplanmässig am bayrischen Flughafen Memmingen im Unterallgäu gelandet.

    9 der 185 Insassen – davon acht Passagiere und ein Crewmitglied – seien verletzt worden, wie die Polizei mitteilte.

    Zur Story