Noch am letzten Donnerstag, nach der Veröffentlichung, stand Nemos «The Code» bei den Wettbüros (Odds ESC 2024) auf Platz 10. Seither ist der Song in der Gunst der Buchmacher kontinuierlich gestiegen und erreichte am Montagabend Platz 4 hinter Kroatien, Ukraine und Italien. Tendenz steigend. Von allen Liedern des zweiten Halbfinals, wo es auch für Nemo um die Finalteilnahme geht, wird der Schweizer Song am besten bewertet. Zuversicht ist also angesagt, zumal auch die internationalen Reaktionen durchwegs positiv ausgefallen sind.
Optimistisch darf man auch sein, weil die Wettbüros die Platzierungen der Schweizer Songs in den letzten Jahren recht exakt voraussagten. Luca Hännis «She Got Me» wurde auf Platz 3 gesetzt, erreichte Platz 4. Gjon's Tears «Tout l'univers» wurde auf Platz 6 gewettet, erreichte sogar Platz 3. Und auch Marius Bear und Remo Forrer wurden von den Wettbüros relativ genau eingeschätzt. Beide konnten sich Final im hinteren Drittel einreihen.
Dabei war die Finalqualifikation für die Schweiz lange keine Selbstverständlichkeit. Seit dem Flop von DJ BoBo 2007 erreichten die Schweizer Songs in zwölf Wettbewerben nur zwei Mal das grosse Finale. Es waren die Jahre der Schlappen und Demütigungen, als sogar ein Rückzug aus dem Wettbewerb in Erwägung gezogen wurde. Die Schuld für die anhaltende Erfolglosigkeit wurde dabei fälschlicherweise exogenen Faktoren zugeschrieben. Natürlich gibt es länderspezifische Sympathien und Antipathien sowie politisch motivierte Stimmabgaben. Das gehört inzwischen zum ESC und macht einen Teil seines Reizes aus. Doch Qualität zahlt sich unter dem Strich aus. Seien wir ehrlich: Die meisten Schweizer Songs in jenen Jahren der Erfolglosigkeit waren einfach schlecht und altbacken.
Doch das ist Vergangenheit. Die Verantwortlichen für den ESC haben längst die richtigen Schlüsse gezogen und Auswahlverfahren wie Kompositionsprozess auf Internationalität getrimmt. Entscheidend sind dabei die jährlich stattfindenden Songwriting Camps der Suisa Fondation in den Powerplay Studios in Maur, wo auf Einladung des Musikproduzenten Pele Loriano ausgewählte Künstler mit ausgewählten internationalen Komponisten und Produzenten in Teams eine Reihe von Songs erarbeiten. Es ist kein Zufall, dass die Schweiz auf die Erfolgsstrasse zurückgekehrt ist. Auch Nemos «The Code» ist in den Studios am Greifensee entstanden, zusammen mit Produzentinnen und Komponisten aus Norwegen, Holland und der Schweiz.
Inzwischen hat sich die Schweiz in Sachen ESC einen hervorragenden Ruf erarbeitet, der sich nicht nur in den Wettbüros, sondern auch im Stimmverhalten der Länder niederschlägt. Die Wetten haben einen beschleunigenden Effekt, im positiven wie im negativen und sind deshalb beim ESC von zentraler Bedeutung.
Der Anfang mit «The Code» ist gemacht, jetzt geht es um die Performance am Concours in Malmö. «Kann Nemo diese anspruchsvollen Gesangsparts Live überzeugend singen?», lautete eine der häufigsten Fragen der internationalen Beobachter. Tatsächlich stellt der Song mit seinen Koloraturparts und den Wechseln zwischen Falsett- und Bauchstimme höchste Anforderungen an den Gesang. Pele Loriano ist davon überzeugt. «Nemo ist ein unglaublich guter Sänger und hat den Song ja schon live vor der Jury performt. Nemo hat das drauf», sagt der Produzent und Songschreiber, der auf Mandatsbasis für SRF arbeitet.
Der ambitionierte Sologesang ist das eine, «The Code» lebt aber auch vom üppigen Chorgesang. Live wäre dieser extrem schwierig umzusetzen, zumal auf der ESC-Bühne maximal nur sechs Performer stehen dürfen. Hier hilft aber ein neues Reglement: Denn seit einigen Jahren können die Backing Vocals am ESC über Playback abgespielt werden. Wir können also davon ausgehen, dass der Chorgesang von «The Code» seine bombastische Wirkung auch auf der Bühne voll entfalten kann.
Es bleibt die Bühnenshow, in denen die Schweizer Beiträge auch in den letzten Jahren nicht immer überzeugt haben. Doch die Verantwortlichen sind sich ganz offensichtlich bewusst, wie wichtig dieser Teil ist und schenkt ihm in diesem Jahr besondere Beachtung. Das Songvideo von «The Code» hat gezeigt, in welche Richtung die Performance gehen könnte. Für Nemos Verwandlung vom Mundart-Rapper zur non-binären Person ist Nemos jüngere Schwester, die Fotografin Ella Mettler, 22, zuständig, die schon mit Stars wie Sänger Bill Kaulitz oder dem Model Stefanie Giesinger gearbeitet hat. Als Art Director ist sie für die Kostüme und die Ästhetik zuständig.
Das ist aber noch nicht alles. Gemäss Recherchen dieser Zeitung konnte mit dem Choreograf Fredrik «Benke» Rydman, 49, eine international renommierte Person gefunden werden. Der Schwede ist Gründungsmitglied der weltbekannten Streetdance Company Bounce und hat am ESC in den letzten Jahren für die spektakulärsten Bühnenshows gesorgt. 2016 für den Siegersong «Heroes» von Måns Zelmerlöw' und im letzten Jahr für «Cha Cha Cha» des schrägen finnischen Interpreten Käärijä. Man darf also gespannt sein.
Das Schweizer ESC-Unternehmen ist bereit für den nächsten Schritt und vielleicht für den ganz grossen Coup. «Nemos Song hat das Zeug, den Sieg nach Hause zu holen», sagt Loriano. (aargauerzeitung.ch)
Der Satz klingt irgendwie falsch. Verwandlung vom Rapper zur non-binären Person?