Arbeitszeugnisse strotzen nur so von Floskeln. Immer wieder tauchen dieselben Sätze auf, die einen positiven Eindruck erwecken – auf den ersten Blick. «Sie arbeitete zu unserer vollen Zufriedenheit» mag zwar gut klingen, entspricht aber keinem dicken Lob. Erst die «vollste» Zufriedenheit ist wirklich gut und wird mit einem vorangehenden «stets» noch abgerundet.
In den Arbeitszeugnissen wimmle es von Spitzfindigkeiten und versteckten Botschaften, schreibt die NZZ am Sonntag. Statt aufzuklären, stiften sie mehr Verwirrung. Ein veraltetes System, dass eigentlich abgeschafft werden sollte, findet Jörg Buckmann. Er weiss, wovon er spricht: Jahrelang war er als Personalchef der Zürcher Verkehrsbetriebe tätig und führt nun seine eigene Beratungsfirma.
Er ist nicht der Einzige, der so denkt: 46 Prozent der Personalverantwortlichen messen dem Arbeitszeugnis keine grosse Bedeutung mehr zu. Zu diesem Schluss kam eine Umfrage von Rundstedt, die auf der Einschätzung von 950 HR-Spezialisten und Führungskräften beruht.
«Das System hat sich zu Tode geritten», sagt Buckmann gegenüber der NZZ am Sonntag. Die Aussagen seien oft geschönt und wenig verlässlich. Ein Grund dafür seien die Softwares, die dafür benutzt würden. Mit vorgefertigten Bausteinen lassen sich Formulierungen erstellen, die austauschbar sind und damit an Aussagekraft verlieren.
Weshalb ist das überhaupt so? Der Arbeitgeber darf den beruflichen Erfolg des Arbeitnehmers nicht beeinträchtigen – so schreibt es das Gesetz vor. Aus diesem Grund darf der Arbeitgeber gar kein schlechtes Arbeitszeugnis ausstellen. Dieses Problem kann allerdings umgangen werden, indem Codes und Formulierungen verwendet werden, welche die Unzufriedenheit subtil zum Ausdruck bringen.
Oftmals sind es die fehlenden Wörter, die am aussagekräftigsten sind. Heisst es im letzten Abschnitt beispielsweise, «wir wünschen ihm für die Zukunft viel Erfolg», so könnte das fehlende Wort «weiterhin» auf einen mangelnden Erfolg in der letzten Stelle hinweisen.
Ebenso verhält es sich bei Aufzählungen. «Das persönliche Verhalten gegenüber Kollegen und Geschäftspartnern war einwandfrei.» Fehlen in der Aufzählung die Vorgesetzten, so war das Verhältnis wohl eher weniger gut.
Der Gebrauch von solchen verklausulierten Formulierungen sei unschön, sagt Pascal Scheiwiller, Geschäftsführer von Rundstedt gegenüber der NZZ am Sonntag. Aber den Firmen bliebe keine andere Wahl, sollte das Arbeitszeugnis einigermassen wahrheitsgetreu ausfallen.
Der Kampf um Formulierungen im Arbeitszeugnis wird erbittert geführt: Von allen arbeitsrechtlichen Konflikten dreht sich rund die Hälfte um das Zeugnis. Die Hürde, für Arbeitnehmende eine Klage einzureichen, sei tief, sagt Anwältin Chantal Lutz von der Kanzlei Domenig & Partner. In der Regel sei ein solches Verfahren kostenlos und viele griffen auf ihre Rechtsschutzversicherung zurück.
Hinzu kommt, dass die Gerichte laut Insidern eher Partei für die Kläger ergreife, so die NZZ am Sonntag. Aus diesem Grund reiche oft schon ein angedrohtes Verfahren, um die Firmen dazu zu bewegen, ein positiveres Zeugnis zu verfassen. Doch auch das kann problematisch werden, denn wichtige Tatsachen dürfen dem neuen Arbeitgeber nicht verschwiegen werden, schreibt Lutz in einem Blogeintrag.
Das heute System stelle Firmen vor unlösbare Interessenskonflikte, sagt Pascal Scheiwiller, weshalb es am ehrlichsten wäre, würde die Zeugnispflicht ganz abgeschafft werden.
Ein solcher Wandel findet aber bereits statt. Das Einreichen eines Arbeitszeugnisses ist nicht mehr überall Pflicht. Stattdessen werden Netzwerke wie Linkedin und Xing immer wichtiger. (saw)
Gerade dann können solche Spitzfindigkeiten falsch ausgelegt werden, aufgrund der wenigen Erfahrung des Verfassers kommt das Zeugnis dann anders rüber als es vorgesehen war.