Es verlangt mir einiges ab, folgende Geschichte niederzuschreiben. Es fühlt sich nämlich noch vor dem dritten Satz so an, als wäre es erst gestern passiert. Das «es» steht an dieser Stelle für gecrashten Sex. Dabei sind mehrere Wochen vergangen, seit sich folgendes Drama abgespielt hat:
Meine Eltern haben mich beim Sex überrascht.
Es ist so, dass meine Eltern einen Hausschlüssel von mir haben. Das ist insofern clever, weil sie nahe wohnen und ich sehr dazu neige, Handtaschen, Schlüssel und/oder Portemonnaie zu verlieren.
Ich finde es sowieso grundsätzlich easy, dass die zwei einen Hausschlüssel haben. Bei mir ist es stets sauber, ich rauche schon lange nicht mehr in der Wohnung und konsumiere keine Drogen, die offen rumliegen. Ich konsumiere natürlich auch keine Drogen, die nicht offen rumliegen.
Äxgüsi. Wir schweifen ab. Ich drück mich einfach vor dem weiteren Verlauf dieser Geschichte.
Also.
Einatmen. Ausatmen.
Vor ein paar Wochen jedenfalls rief mich meine Mutter drei Tage hintereinander an. Ich war jedes Mal grad auf dem Sprung und kam nicht dazu, ranzugehen. Ich wollte immer zurückrufen, habs dann aber schlichtweg vergessen.
An Tag 4 dann, es war ein Samstagabend kurz vor 20 Uhr, hatte ich gerade Suff-SMS-Sandro zu Sex-Besuch.
Meine Wohnung ist so geschnitten, dass du mitten im grossen Wohn-Essraum stehst, wenn du reinkommst. Rechts Küche, links Wohnzimmer. Du kommst also rein und siehst sofort auf meine riesige Couch.
Auf eben dieser waren Suff-SMS-Sandro und ich grad zu Gange. Ich auf ihm reitend, er meine Brüste küssend, ich meine Hände in seinen Haaren vergraben. Ich erinnere mich so gut an jedes Detail, weil ich gerade sehr laut war.
Ich war so laut, dass ich das Klopfen nicht hörte. Die Klingel oben an der Wohnungstüre ist schon lange kaputt.
Ich bekam also erst mit, was geschah, als es schon längst geschah: Meine Eltern standen vier Meter vom Sofa entfernt, auf dem ich gerade sehr nackt auf dem sehr nackten Suff-SMS-Sandro sass.
Unsere Kleider lagen in der Küche. Da war also nix in der Nähe, das wir uns hätten rüberziehen können. Also griff ich zu zwei Kissen. Eines drückte ich mir vor die Brüste, eines vor die Bikinizone.
Sagen konnte ich nichts. Sandro auch nicht. Meine Mutter auch nicht.
«Schau Schatz, sie lebt. Es geht ihr …. nun … gut», sagte mein Vater zu meiner Mutter. «Sie hat sich grosse Sorgen gemacht, weil du dich nicht gemeldet hat», sagte er dann zu mir.
«Sorry», stammelte ich.
«Wir haben nur eine Apfelwähe gebracht», sagte mein Dad. Meine Mutter stand einfach da und starrte. Ich sass da und wollte sterben.
«Du willst uns den jungen Mann nicht zufällig vorstellen?», fragte Papa. Jetzt schritt meine Mutter ein. Sie sollen jetzt doch besser wieder gehen, stotterte sie. Sie lege nur husch die Wähe in die Küche.
«Ich rufe später an», sagte ich. Meine Mutter ist da schon draussen. «Kein Stress», sagte mein Vater. Dann drehte er sich zu Sandro: «Ich bin dä Bruno, freut mi!» «Grüezi, ich bin dä Sandro.»
Meinem Vater fiels jetzt wieder ein: «Wir kennen uns doch. Du hast doch an Emmas 30. Geburtstag Gitarre gespielt und wunderschön gesungen?»
«Ja, genau. Danke», sagte Sandro, der sich nun auch ein Kissen in den Schoss drückte. «Ja, wie geht es dir denn so?», wollte Papa wissen. «Gut, danke.» Dann sagte ich, dass Vater jetzt gehen muss. «S Mami isch scho dune!»
Bruno aber geriet nun in Plauderlaune. Es brauche uns nicht peinlich zu sein. Sex sei ja etwas sehr Normales. «Die Emma hat meine Frau und mich auch schon erwischt, als sie noch Zuhause wohnte», sagte er, lachte und weckte sehr peinliche Erinnerungen, die ich erfolgreich verdrängt hatte.
Es dauerte noch gut zwei, drei Minuten, bis das Handy meines Vaters klingelte. Es war meine Mutter, die vor dem Haus auf ihn wartete. Nun verabschiedete er sich endlich. «Wenn du magst, komm mal zu uns zum Znacht», sagte er zu Sandro. «Oder wäre das sowieso bald einmal der Plan gewesen?», fragte er mich und zwinkert.
«Mal schauen», sagte ich und warf ein «Geh jetzt, Mami wartet!» hinterher.
Dann ist er weg. So wie Sandros Latte. So wie die ganze Erotik, die hier noch vor ein paar Minuten sehr in der Luft lag.
An dieser Stelle würde ich mir jetzt noch einen runden Schluss, eine Pointe überlegen, um den Text damit abzuschliessen.
Hier aber ist das Einzige, das bleibt, die grässliche Frage: Was ist schlimmer? Dass meine Eltern nun wissen, wie ich beim Sex klinge oder wie ich beim Sex aussehe?
Ich muss nun los. Mich selber zur Adoption freigeben.
Adieu,