Das Timing hätte besser sein können. Es war Freitagnacht, als mir meine Ex, nennen wir sie Frau X*, weil mir jedes Pseudonym so seltsam vorkommt, irgendwie ist jeder Name besetzt oder negativ konnotiert, einfach falsch, und sie «die Ex» zu nennen, auch wenn sie «die Ex» ist, ist irgendwie auch bescheuert, jedenfalls, als Frau X* schrieb, war ich gerade in Davos. Mit fünf Freunden aus dem Studium. Wir sehen uns eigentlich nie zu sechst. Was gut ist. Wir wären alle längst an einer Leberzirrhose gestorben. Diese Wochenenden geraten jedes Mal massiv ausser Kontrolle. Es wurde mit den Jahren nicht besser, im Gegenteil, seit drei von der Gruppe Väter sind, ist es eigentlich noch schlimmer.
Wenn Hanna Fotos oder Videos dieser Wochenenden sieht, was sie immer sehen will, weil sie einmal was mit einem meiner Freunde hatte, der hat jetzt aber Zwillinge, was Hanna nicht in den Kopf will, nicht, weil sie ihn noch will, sie wollte ihn nie, er wollte sie, sie hingegen fand, er sei zu kindisch, womit sie völlig recht hatte, und was auch der Grund ist, dass sie nicht verstehen kann, dass er jetzt selber Kinder hat, worauf ich ihr immer erkläre, dass es zum Kindermachen kein Fähigkeitszeugnis braucht, was sie nie lustig findet, item. Wenn ich ihr Aufnahmen von diesen Wochenenden zeige, kann Hanna nie glauben, dass wir alle Mitte dreissig und nicht 17 sind. Es sind tatsächlich erbärmliche Bilder. Im Moment selber aber finden wir uns, die Welt und das Leben das Grösste überhaupt. Jedenfalls waren wir, schon einige Liter Bier intus, in einer Bar in Davos, als Frau X* schrieb, sie sei nun zurück aus Paris und fragte, ob wir uns sehen wollten.
Mein Hirn arbeitete nicht mehr auf Hochtouren, also entschied ich, nicht zurückzuschreiben. Nach all den Jahren wieder Kontakt und ich, eigentlich sattelfest in Grammatik, mache Tippfehler en masse? Sicher nicht. Ausserdem wusste ich nicht, was schreiben. Einerseits wollte ich sie sehen. Aus vielerlei, aber vor allem einem Grund: diesem. Andererseits nervte mich, dass sie mich behandelte, als wäre ich ein Dressurpferd. Jetzt habe ich Lust, jetzt keine Zeit, jetzt aber schnell, jetzt langsam, mühsam.
Am Samstag schrieb ich den ganzen Tag nicht zurück. Da war zuerst ein Kater. Dann ein wenig Skifahren. Sehr früh sehr viel Bier. Und Schnaps. Der verdammte Schnaps!
Ich antwortete am späten Abend, kurz vor zehn, wir mussten eine Pause einlegen. Eigentlich waren alle schon total erledigt, todmüde, massiv verkatert und schon wieder sehr blau, aber aufhören ist nie eine Option. (Memo für Hanna und vermutlich alle weiblichen Leserinnen dieser Zeilen: Nein, das muss man nicht verstehen.) Ich schrieb: «Wir können uns gerne sehen. Bis wann bist du hier?» Ihre Antwort: «Bis Dienstag. Hast du morgen Zeit?» Hatte ich nicht. Wir waren ja in Davos. Kamen erst gegen Abend zurück. Ich schlug Montagabend vor. Aber da konnte sie nicht, ein Abschiedsessen mit Freundinnen. «Wir versuchen es beim nächsten Mal», schrieb sie und schickte ein zwinkerndes Smiley. A***loch, dachte ich. Schreibt mir last minute und hat dann eigentlich null Zeit. Am meisten nervte mich, dass ich mich nervte, was ich mit viel Schnaps zu lösen versuchte. Verdammter Schnaps!
Am Sonntagabend schrieb ich ihr nochmals. Es war schon acht und eigentlich keine gute Idee. Ich musste am nächsten Tag arbeiten und es ging mir, wie es mir immer nach solchen Wochenenden geht, hundsmiserabel. Das Letzte, was ich wollte, war in eine Bar zu gehen und etwas zu trinken. Und noch weniger erschien es mir möglich, jetzt eine gute Falle zu machen. Aber was hätte ich tun sollen? Ging ja nicht anders.
Ich war im Vorhinein nicht wirklich nervös, dafür war ich zu müde. Aber als sie vor mir stand, wusste ich nicht, was sagen. Ich habe sie extra lange umarmt, weil ich hoffte, dass mir dabei die richtigen Worte einfallen würden. Ist nicht passiert. Ich stammelte rum, als wäre Deutsch nicht meine Muttersprache. Sie war das Gegenteil von mir. Sie war aufgestellt, sarkastisch, souverän, lustig, locker, freundlich, cool. Es wirkte, als fühlte sie sich pudelwohl. Aber das war schon immer so. Sie ist einer dieser Menschen, die in jeder, wirklich jeder Situation entspannt bleiben.
Ich habe nun mehrmals versucht zu beschreiben, wie sie aussah und was mir so gefiel, aber alles klingt schwülstig und bescheuert, darum muss ich es so erklären: Ich wusste sehr schnell wieder, warum Frau X* die grosse Ausnahme, also, einmal meine Freundin war.
Sie hat mir die letzten Jahre im Schnelldurchlauf erzählt. Die relevanten Dinge: Sie ist Single, trifft aber seit ein paar Monaten einen Anwalt, sie lebt, wie sie es nennt, «bicoastal», wohnt halb in New York und halb in Los Angeles, und sie hat mich nicht vergessen. Nach drei Stunden und je drei Drinks sind wir bei mir gelandet. Und bevor wir weiterfahren, müssen wir kurz etwas klären: Ihr seid euch Emmas Texte gewohnt, die alles Erlebte in Sekundenschnelle in die richtigen Worte fassen und gleichzeitig analysieren und aus verschiedenen Blickwinkeln sehen kann. Und hier ist der klitzekleine Unterschied, den ich nicht ändern kann. Emma ist eine Frau. Emma kann das. Ich muss das alles zuerst ordnen. Ich muss die Worte finden, dann meine Gefühle dazu suchen, bis zur Analyse deren kann es eine kleine Ewigkeit dauern. Warum denkt ihr, reden Frauen und Männer immer aneinander vorbei? Weil sie psychisch komplett in anderen Zeitzonen leben! Gebt mir zwei Wochen und ich versuche, Empfindungen zu Erlebnissen zu liefern.
Was ich bis jetzt berichten kann: Ich habe in dieser Nacht nicht geschlafen und Sex* hätte fast noch ein paar Sterne mehr verdient. Am Morgen stellten wir einen Wecker, damit ich nicht zu spät zur Arbeit komme: Wir waren rechtzeitig fertig. Am Montag habe ich versucht, zwei Stunden zu schlafen, als sie ihr Abschiedsdinner hatte. Hat nicht geklappt. Nach dem Abendessen kam sie erneut zu mir. Am Dienstag flog sie ab.
Das war vor zwei Tagen. Seit zwei Tagen ist sie wieder weg. Und seit zwei Tagen versuche ich zu verstehen, was da gerade passiert ist.
Update, hoffentlich mit Erkenntnissen meinerseits, folgt.
So long,
Ben
Das hat nichts mit M/W zu tun… Und auch nicht mit allen anderen Geschlechtsidentitäten.
Entweder Mensch kann Sexgeschichten schreiben, oder Mensch kann nicht.
Ist nicht wertend gemeint. Aber solche „Ausreden“ sind kontraproduktiv. Man bedenke noch die Kombi mit den Schachtelsätzen, die PLÖTZLICH zugenommen haben.
🤯🤯