Der X-Feed sah vergangene Woche aus wie ein Rückblick auf das gesellschaftliche und popkulturelle Zeitgeschehen der vergangenen 25 Jahre – aber im Anime-Stil. Dem Internet wurde ein neues KI-Spielzeug geschenkt.
Und das Internet hatte Spass. Die Beschenkten erzeugten erstaunliche Ergebnisse. Wobei: Wer ist hier eigentlich der Erzeugende? Wer leistet die kreative Arbeit bei der Erschaffung der Anime-Version des Distracted-Boyfriend-Memes? Hat die KI-Evolution gerade das nächste Plateau überschritten?
Vergangene Woche stellte OpenAI seinen, eigenen Angaben zufolge, «bisher fortschrittlichsten Bildgenerator» vor. Er ist integriert in die KI-Plattform GPT-4o. Der KI-Bildgenerator verfügt, so heisst es, über ein «natives multimodales Modell, das präzise, akkurate und fotorealistische Ergebnisse liefert», zitiert «Variety».
Man kann sich mit entsprechenden Befehlen (Prompts) also fiktive Bilder produzieren lassen, die wie echt aussehen. Das war schon vorher möglich, nur eben wohl nicht in dieser Qualität.
Für das Fotorealistische interessierten sich die ersten Nutzer des Updates aber ohnehin eher weniger. Sie entdeckten stattdessen GPT-4os bemerkenswertes Talent, berühmte Zeichentrick-Stile nachzubilden und auf existierende Motive zu legen. Also eine Zeichentrick-Version der Realität zu schaffen.
Der Studio-Ghibli-Stil setzte sich in diesen Versuchsspielen schnell als beliebtestes Format durch, unter anderem gegen «South Park». Das japanische Animationsstudio steckt hinter den Klassikern «Chihiros Reise ins Zauberland» und «Mein Nachbar Totoro».
Ein paar originale Beispiele für den Ghibli-Stil:
Der Wiedererkennungswert von Studio Ghibli ist enorm und wohl nur vergleichbar mit Disneys Zeichentrick-Stil, von dem das Studio sich allerdings zugunsten moderner Animationstechniken löste.
Der Ghibli-Stil zeichnet sich durch Achtsamkeit, Reduktion und Langsamkeit aus. Er vermittelt Ruhe, japanischen Zen. Die Filme selbst transportieren vor allem humanistische Werte.
Diese zarten Aromen wurden in der vergangenen Woche vom Zynismus und der Ironie der Meme-Kultur verbittert.
Unter anderem auch Graubünden Tourismus teilte auf Instagram solche KI-generierten Bilder: «So sieht der Sommer in Graubünden im japanischen Ghibli-Style aus» schreiben sie dazu.
Unter dem Beitrag tummeln sich kritische Kommentare. «Graubünden braucht keine KI, um attraktiv zu sein», schreibt etwa ein Nutzer. Viele sind der Meinung, dass Graubünden lieber lokale Künstlerinnen und Künstler fordern soll, anstatt eines hohlen KI-Trends zu folgen.
Reichweitenstarke Accounts auf X setzten GPT-4o und den prägnanten Ghibli-Style auf ikonische Bilder an, die ihrerseits hohe Wiederkennungswerte mitbringen, also in erster Linie Memes.
It's been 24 hours since OpenAI unexpectedly shook the AI image world with 4o image generation.
— Barsee 🐶 (@heyBarsee) March 26, 2025
Here are the 14 most mindblowing examples so far (100% AI-generated):
1. Studio ghibli style memespic.twitter.com/E38mBnPnQh
Ja, es stimmt. Man musste nicht viel mehr tun, als ein berühmtes Meme wie das hier durch den GPT-Filter zu jagen, um hunderttausende Likes zu farmen.
So you’re telling me I can take a popular meme, transform it into Studio Ghibli style anime, and people will just like it? pic.twitter.com/2n3ulLOXVB
— Kaz 🎙️ (@btcKaz) March 26, 2025
Was irgendwann natürlich ausartete ...
ChatGPT when another Studio Ghibli request comes in pic.twitter.com/NF5sy24GlU
— Justine Moore (@venturetwins) March 26, 2025
... und die Spassgrenzen erst dehnte.
I don't want any real pictures anymore. Every photograph has to be turned into a ghibli style cartoon pic.twitter.com/Wqwul8cDwL
— lukas mikelionis (@LukasMikelionis) March 26, 2025
Und dann sprengte.
It’s a golden age for Ghibli posting pic.twitter.com/uXwuKnD5JN
— laurence (@functi0nZer0) March 26, 2025
Bevor schliesslich der X-Account des Weissen Hauses, Regierungssitz von US-Präsident Donald Trump, sich auf vulgäre Weise in den Ghibli-Trend schaltete und damit dessen Ende einläutete. Die Uncoolen machen den Witz jetzt auch, der Spass ist vorbei.
https://t.co/PVdINmsHXs pic.twitter.com/Bw5YUCI2xL
— The White House (@WhiteHouse) March 27, 2025
Was aber eben keineswegs bedeutet, dass KI an sich wieder weggeht. Vielmehr zeigt der neueste Hype, dass komplizierte Fragen auf den Kulturbetrieb zukommen, die schon bald beantwortet werden müssen.
Es entstanden nicht nur Bilder, sondern auch ganze Videos aus dem Filter, etwa ein «Herr der Ringe»-Trailer im Ghibli-Stil. Natürlich entsteht hier erstmal nichts substanziell Neues. Die KI ahmt Vorhandenes nach und remixed es.
Dieser X-Nutzer kritisiert den viralen Ghibli-Trend dennoch als «Werbung für ein Plagiat-Programm». «Diebstahl» durch OpenAI werde von «Idioten» bejubelt.
OpenAI has stolen Studio Ghibli's artwork & these morons are cheering and clapping for it as if this crap has actually acheived anything. They're literally advertising a plagarism program that hasn't compensated nor sought permission from Stuido Ghibli. Fuck these people. https://t.co/ogB4vjJ6CG
— AussieScreenwriter (@AusScreenwriter) March 26, 2025
Muss man also Copyright-Richtlinien und Grundsätze geistigen Eigentums auf ChatGPT-(Re)Kreationen anwenden? Sollte man ihr, also der KI, die bereits existierende Kunst derart bereitwillig für Lernmodelle überlassen? Muss man den rasant wachsenden Bewegungsradius von KI einhegen?
Von den Verantwortlichen selbst sind Beschränkungsbemühungen natürlich nicht zu erwarten. OpenAI-Gründer Sam Altman machte sich bei X lustig über den aktuellsten Trend – und hat jetzt selber einen Ghibli-Avatar im Profil.
Die Widerstandslinie radikalisiert sich aktuell vor allem unter den Kreativen selbst. Tony Gilroy ist der Autor und Showrunner der gefeierten «Star Wars»-Serie «Andor». Gilroy hatte zuletzt angekündigt, die Drehbücher der zweiten Staffel nicht zu veröffentlichen. Denn: «Warum sollte man den verdammten Robotern mehr helfen als man muss?»
Inmitten des Hypes um den Ghibli-Filter griffen viele Medien auch ein altes, vermeintliches Anti-KI-Zitat von Ghibli-Gründer Hayao Miyazaki aus dem Jahr 2016 auf. Es lässt sich nicht genau rekonstruieren, worauf sich seine Sätze beziehen: auf den Inhalt eines KI-Videos oder das Wesen von KI an sich. Oder beides.
Aber man kann das in der aktuellen Debatte ja trotzdem mal so stehen lassen: «Ich bin zutiefst angewidert. Wenn ihr wirklich gruselige Sachen machen wollt, könnt ihr das tun, aber ich würde diese Technologie niemals in meine Arbeit einbauen wollen.»
(watson.de/ cmu)
Das Thema Schutz von geistigem Eigentum im Zusammenhang mit KI hingegen ist etwas Wichtiges und nicht gerade etwas, bei dem es eine einfache Lösung gibt.