Vor drei Jahren passierte es. Ich sprang über meinen eigenen Schatten und probierte endlich diesen einen Drink, der gefühlt auf jeder – aber wirklich jeder – Bar- und Restaurantkarte Londons aufgeführt war: The Pornstar Martini.
Ich, Grumpy Old Man, hatte mich zeitlebens gegen jegliche Form süsser Cocktails gewehrt. Doch hier musste ich feststellen: Okay ... wow! Diese feine Balance, diese erstaunlich subtile Note von Vanille, die – wenn der Drink gut zubereitet ist – nicht allzu dominante Süsse und dann noch das Portiönchen Champagner ... doch, doch. Daran könnte ich mich gerne gewöhnen.
Quick Facts:
Der Pornstar Martini gilt als Modern Classic, als Neoklassiker – ergo als einer der Drinks, die in den Achtzigerjahren oder später entstanden sind und heute zum Stammrepertoire jeder guten Barperson gehören. In den Achtzigern entstand auch der Trend, jegliche Drinks, die in einem Cocktailglas serviert wurden, pauschal mit «Martini» zu betiteln (was streng genommen falsch ist, denn ein Martini ist die Kombination von Gin oder Vodka mit Vermouth – und Variationen). Solche neuzeitlichen Quasi-Martinis waren mehrheitlich auf Vodka-Basis und geschmacklich eindeutig auf der süssen, fruchtigen Seite. Aus dieser Ära stammen solche Klassiker wie der French Martini (Vodka mit Chambord), Appletini (Vodka mit Apfel-Likör) oder Espresso Martini (Vodka mit Kaffee und Kahlua – und, nebenbei, nebst dem Pornstar Martini der andere Grosserfolg des seit ein paar Jahren anhaltenden aktuellen Cocktail-Revivals).
Erfinder des Pornstar Martini ist die Bartender-Legende Douglas Ankrah, der anno 1999 während eines Besuchs im Mavericks Revue Bar Gentlemen's Club, einem Stripclub in Kapstadt, Südafrika, erstmals auf die Idee kam, Vanille-Vodka, Passionsfrucht und Prosecco zu kombinieren. Wieder zu Hause in London taufte er seine Kreation zunächst Maverick Martini und servierte diesen in seiner damals sehr angesagten LAB Bar (= London Academy of Bartending). Zum Verkaufsrenner wurde der Drink aber nicht. Dies änderte sich schlagartig, als Ankrah 2002 seine neue Bar eröffnete – The Townhouse in Knightsbridge – und den Cocktail umtaufte. Der Pornstar Martini war geboren.
Ja, die ursprüngliche Idee kam Ankrah in einem Stripclub. Aber darüber hinaus gibt es keine spannende origin story, keine hübsche Anekdote zur Namensgebung. Kein 90s-Pornostar stand Pate. Stattdessen wurde hier eiskalt Marketingpsychologie angewandt. Nach eigener Aussage wollte Ankrah «etwas Eingängiges. Etwas Aufregendes. Etwas, das die drei Dinge veranschaulicht, die eine ideale Barszene sein sollte. Mutig. Sexy. Verspielt».
Ankrah lag richtig. Der Cocktail war ein sofortiger Erfolg. Heute, mehr als 20 Jahre danach, ist der Pornstar Martini in Grossbritannien allgegenwärtig. Er ist mehr als nur ein Drink. Er ist ein regelrechtes gesellschaftliches Phänomen. Anno 2018 war er der am häufigsten bestellte Cocktail in britischen Bars, Restaurants und Pubs. Absolut Vanilla ist der bestverkaufte flavoured vodka. In jedem Supermarkt gibt es eine Auswahl an trinkfertigen Pornstar-Martini-Cocktails in Dosen oder Flaschen. Und immer mehr sieht man in Bars und Pubs auf der Insel, dass es Pornstar Martinis und Espresso Martinis ab Zapfhahnen gibt.
Auch in den USA und in Australien legt der Drink aktuell eine Erfolgsserie hin.
Derart alltäglich ist der Cocktail, dass inzwischen die Namensgebung – ursprünglich ein wichtiger Teil des Erfolgsrezepts – selbst zum Problem wird. 2019 änderte der Grosshändler Marks and Spencer den Namen seines Dosencocktails in «Passion Star Martini». Und in Restaurants werden immer mehr «Passion Fruit Martinis» angeboten.
Nebenbei bemerkt: Kreativer waren da die Betreiber des indischen Streetfood-Restaurants Dhamaka in Bristol, die ihre indisch gewürzte Variante des Cocktails kurzum Sunny Leone tauften – nach dem gleichnamigen Bollywood- und ehemaligen Porno-Star.
Hierzulande hat der Pornstar Martini noch einiges an Boden gut zu machen. Aber da jeder und jede, die ihn probiert, sofort Gefallen daran findet, dürfte seinem Erfolg nichts im Wege stehen. Hey, ein wenig Dekadenz darf man sich gönnen. Besonders wenn sie derart gut schmeckt. Cheers to that.