Neulich, im Internet:
Vermutlich ist sie euch auch schon begegnet. Sie ging ja ziemlich viral. Ach, waren das crazy Zeiten anno dazumal! Wein, Weib und Ge...kochte Eier.
Ich will aber der Sache auf den Grund gehen. Als erste Frage gilt zu klären: Stimmt das auch? (Denn, – Schock! Horror! – nicht alles, was im Netz ist, ist wahr!)
In der Tat: Diese Diät existierte und wurde mitunter auch in der «Vogue» publiziert. Entwickelt wurde sie von der Autorin Helen Gurley Brown und sie wurde erstmals in ihrem 1962 herausgegebenen Buch «Sex and the Single Girl: The Unmarried Woman’s Guide to Men» erwähnt. Dieser wegweisende Lebensratgeber wurde zum internationalen Bestseller, der in 35 Ländern herausgegeben wurde, und er erwies sich als richtungsweisend für die sich verändernden Geschlechterrollen. Für Kontroversen sorgte das Buch vor allem wegen der damals immer noch höchst umstrittenen Prämisse, dass unverheiratete Frauen sehr wohl ein Sexleben haben und zudem – fast noch skandalöser – auf ihre gesellschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit bedacht sein sollten. Helen Gurley Brown wurde übrigens 1965 Chefredaktorin der Zeitschrift «Cosmopolitan» – ein Posten, den sie bis 1997 innehatte.
Der historische Kontext ist schon mal höchst interessant. Nun zurück zur Egg and Wine Diet: Eier, Steak, Weisswein – hält man sowas durch? Okay, es dauert bloss drei Tage ... Aber ist man nicht permanent hungrig? Oder betrunken? Oder beides? Und, ach ja: «2,5 Kilogramm Gewichtsverlust»? Really?
Ein Selbsttest ist angesagt.
Vor ein paar Jahren versuchte ich einen Tag lang, so viel zu trinken wie Winston Churchill. Das klappte damals eigentlich besser als erwartet. Aber es war ja nur ein Tag.
Ich gehe erst mal einkaufen:
Zum Glück ist «black coffee» Teil des Regimes. Somit ist mein übliches Frühstück (doppelter Espresso, schwarz, ohne Zucker) quasi angereichert durch das hartgekochte Ei und das Glas Weisswein. So far, so good.
Hilfreich ist auch, dass es sich bei Tag 1 um den Pfingstmontag handelt, weil ich damit die Sache etwas sachte angehen darf. Während eines normalen Bürotags kommt meistens mehr Hunger zustande, als wenn ich zuhause rumhocke.
Zu Mittag gibt's die Variante «2 eggs [...] poached if necessary», einfach der Abwechslung zuliebe. Ich erlaube mir dabei, die pochierten Eier mit je einem Sardellenfilet, etwas feingehacktem Peterli und etwas Tabasco zu garnieren. Davon steht in der Diät-Anleitung zwar nichts, doch kalorientechnisch macht dies ziemlich genau gar nichts aus und ausserdem will ich mir etwas Geschmack gönnen.
Ach ja: Und dazu die zwei Gläser Weisswein.
Uff – ein Glas hätte es auch getan.
Aber eben: Dies ist ein Experiment.
Und es ist ein Ferientag. Zum Glück kann ich deshalb eine Siesta machen.
Bis zum Abendessen habe ich bereits einen Wahnsinnshunger beieinander und ich freue mich aufs Steak wie ein Kind auf Weihnachten. Der Weisswein ... Ach, normalerweise würde ich entweder gar keinen Wein trinken (Wein trinke ich in Gesellschaft; alleine so gut wie nie), oder sonst ein Glas Rotwein. Ein Glas. Es heisst aber, ich soll «den Rest des Weissweins» trinken. Netflix and chill(ed Wine) ist angesagt. Nach ein paar Stunden hab' ich's dann geschafft und lege mich gleich schlafen.
Früh aufstehen! Es geht heute ins Büro. Während ich mir meinen ersten Kaffee des Tages rauslasse, koche ich drei Eier. Zwei davon kommen ins Tupperware und mit ins Büro, das andere esse ich gleich zum Frühstück. Mit dem ersten Glas Wein des Tages. Letzteres fährt mir nicht allzu sehr ein, denn ich bin zu sehr im Schuss, aus dem Haus zu rennen und mich auf den Weg zu machen.
Zum Zmittag schenke ich mir die zwei Weingläser in ein grösseres Wasserglas ein. So könnte es optisch auch als Flauder oder sowas durchgehen und ich muss keine Fragen von den Kollegen über mich ergehen lassen. Und die beiden hartgekochten Eier esse ich wieder mit etwas Hot Sauce. Jawohl, wieder mit Hot Sauce: Tabasco, Sriracha, Tapatio und Konsorten. Einerseits, weil ich den Geschmack liebe, andererseits, weil ich mir erhoffe, dass die Schärfe den verdauungstechnischen Implikationen einer sonst sehr einseitig eiweisslastigen Ernährungsweise entgegenwirkt.
Ob ich den Alkohol spüre, kann ich nicht sagen, denn das Hungergefühl übertönt alles. Sorry, aber mit zwei hartgekochten Eiern zum Zmittag werde ich nun mal nicht satt. Ich kämpfe mich aber bis zum Abend durch, wo ich dann etwas schummle, indem ich mir eine Handvoll Cherrytomaten als Beilage zum Steak gönne. Ich stelle fest: Bereits am Tag 2 fehlt mir das Gemüse.
Ja, und dann wieder der Wein, verdammt. Hey, ich mag ja Weisswein. Sehr sogar. Aber die Flasche fertig machen, das schaffe ich heute nicht. Es bleibt zirka 1 Dezi in der Flasche zurück.
Morgenessen wie gehabt: Kaffee, Ei, Wein. Übrigens: Einen Kater verspüre ich (noch) keinen. Vielleicht, weil ich ausschliesslich Weisswein getrunken habe und nicht mit anderen Alkoholika gemischt habe; vielleicht, weil ich genügend geschlafen habe (an beiden Vorabenden war ich ziemlich früh im Bett).
Mittagessen ebenfalls wie gehabt. Weiterhin ist der Alkohol nicht das Problem, sondern der Hunger. Und hier werde ich daran erinnert, weshalb ich mir nie und nimmer freiwillig eine Diät antun würde: Denn plötzlich dreht sich alles nur noch ums Essen. Bereits morgens bin ich in Gedanken beim Steak am Abend. Essen. Einfach etwas essen – und schon wäre die Welt viel schöner. So stelle ich mir Sucht vor.
Aber ich bin vor allem eines: hundemüde. Auch meine übliche Tagesdosis von 6-7 Espressi kann nichts daran ändern: Kalorien sind Energie. Und davon bekomme ich weniger als gewohnt.
Beim dritten Steak-Znacht in Folge mache ich mir Gedanken zur Logik hinter diesem Diätregime: Auf Kohlenhydrate verzichten und Eiweisse überbewerten, wäre ja nachvollziehbar. Aber welche Rolle spielt dabei der Weisswein? Während ich am dritten Abend in Folge versuche, den «remainder of white wine» zu tilgen, schiesst es mir durch den Kopf: Der Alkohol dient zur Ruhigstellung des Opfers. Bekanntlich sind Drogen effiziente Appetitunterdrücker. Bei ordentlicher abendlicher Beduselung ist der Hunger erträglicher – zumal man bald einmal vor Erschöpfung aufs Bett fällt und ehe man's sich versieht, ist bereits wieder Morgen.
Ach ja – wieder bleibt etwa 1 Dezi in der Flasche zurück. Bin wohl ein Weichei, allen hartgekochten Eier zum Trotz.
Aber: Es ist geschafft! Ich habe jene wahnwitzige Sechzigerjahre-Crash-Diät versucht und einigermassen rigide durchgezogen. Zeit für ein Fazit!
Spannend war's! Und ich mach's nie wieder. Am Tag danach gab's bereits um 10 Uhr morgens Pak Choi mit Austernsauce und Chili Garlic Ramen Stir-Fry, was euch einen ziemlich eindeutigen Eindruck meiner über drei Tage entwickelten Cravings gibt.
Ohne Wein.