Ich weiss nicht, wie ihr's so habt, aber so ziemlich überall auf dem World Wide Web begegne ich Werbung für jenes angebliche Wundermittel gegen den Morgen-Danach-Kater. Ich weiss jetzt nicht, was das über mein Surf-Verhalten oder Browser History aussagt, aber so ist's nun mal. Das hier:
Morning Recovery! Von einem ehemaligen Tesla-Ingenieur entwickelt! Wissenschaftlich fundiert! Und ... naja, allüberall im Netz.
Und wie das halt so ist, werde selbst ich alter abgeklärter Online-Profi durch die Hartnäckigkeit und Omnipräsenz jenes Werbedingsda korrumpiert und schon ertappe ich mich beim Gedanken, «Hmm – und was, wenn das Produkt eben doch funktioniert?»
Okay, was sagt eigentlich die Wissenschaft? Nun, beim Kater verhält es sich ähnlich wie mit der Erkältung: Obwohl allgegenwärtig, ist die Chose erstaunlich wenig erforscht. Eine der bisherigen Theorien ist, dass Alkohol als Diuretikum wirkt, wodurch die Urinproduktion erhöht und eine Dehydrierung verursacht wird. Allerdings hat neuere Forschung keinen Zusammenhang zwischen den mit der Dehydrierung verbundenen Hormonen und dem Schweregrad eines Kater gefunden. Dann gibt es die Hypothese, dass der Körper, um Alkohol zu verwerten, das Enzym NAD+ in eine Form namens NADH umwandeln muss, und dass mit einer überschüssigen Akkumulation von NADH in Kombination mit niedrigem NAD+ die Zellen nicht mehr in der Lage sind, wichtige Stoffwechselfunktionen wie Glukoseverwertung und Elektrolythaushalt effizient auszuführen. Aber hier haben Studien gezeigt, dass es auch bei Menschen mit schwerem Kater keine Ungleichgewichte von Elektrolyten oder Glukose im Blut geben muss.
Aber: Ein Kater kann auch durch eine Ansammlung von Acetaldehyd im Körper entstehen. Diese Verbindung kann 10- bis 30-fach giftiger sein als der Alkohol selbst und baut sich während des Alkoholstoffwechsels schnell auf und verursacht Symptome wie Schwitzen, Hautrötung, Übelkeit und Erbrechen (... kommt dir bekannt vor, gell?).
Genau hier soll Morning Recovery eingreifen. Und zwar mittels etwas namens Dihydromyricetin (DHM), was ein starkes Flavonoid aus dem Rosinenbaum ist, der in Ostasien seit Jahrhunderten als Leberhilfe verwendet wird.
DHM soll der Leber helfen, Giftstoffe wie Acetaldehyd schneller abzubauen sowie die Wirkung von Alkohol im Gehirn blockieren und dadurch die Symptome von Trunkenheit, dazu noch gleichzeitig die Regeneration von Alkohol beschleunigen. Sprich: Man wird weniger besoffen und hat weniger Kater.
DHM ist selbstredend nicht die alleinige Zutat:
Okay, ihr habt mich überzeugt. Ich will das mal testen. Immerhin bin ich in der genüsslichen Lage, «Recherche» als eigentlichen Zweck anzugeben und so bestelle ich also ein Probierset. 35 Dollar kostet mich das, weil ich's an eine US-Adresse senden liess und die Freundin es dann mitbrachte. Man kann es auch hierzulande bestellen – kommt inklusive Porto auf gut 10 Franken mehr.
Momoll, das Product Design ist schon mal sehr gut gelungen. So richtig freundlich.
Anwendung? «Drink while having a good time» steht da – man soll den Inhalt eines Fläschchens entweder während dem Saufen oder spätestens ein Stunde nach dem letzten Drink zu sich nehmen. Und am Morgen wird's dir viel besser gehen.
Gesagt, getan.
Tja, allzu viel über die betreffende Nacht möchte ich nicht berichten, ausser dass ich etwas vorsätzlicher als sonst etliche Biere mit a small Bourbon on the side genossen habe. Meine Begleitung verhielt sich analog, ausser dass es Tequila statt Bourbon gab. Und dann, zirka um halb drei Uhr morgens, habe ich das hübsche blaue Fläschchen gezückt.
Wie's geschmeckt hat? Ach, ganz ... okay. Glaub. Nicht unangenehm. Hat mich entfernt an Lucozade erinnert. Und mehr kann ich nicht sagen weil, ... eben: Drei Uhr morgens und so. Eigentlich wollte ich mein Morning Recovery eher gegen Ende der Trink-Nacht einnehmen – in Tat und Wahrheit was es eher Mitte der Nacht, ... ich war jedenfalls erst um 6 Uhr 30 zuhause. Aber es hiess ja, «while having a good time».
Genau hier hat Morning Recovery gegenüber anderen Anti-Kater-Mitteln die Nase vorn: Einfache Handhabung. Keine Pülverchen, die gemischt werden müssen. Keine komplizierten Einnahme-Vorgaben (kein «1x vor dem Ausgang, 1x vor dem Einschlafen und dann schliesslich 1x nach dem Aufstehen», wie bei jenem Schweizer Mittelchen, etwa). Nein, hier heisst es schlicht, «irgendwann während des Abends trinken». Basta.
Jetzt muss es nur noch irgendwas bewirken.
Ich glaube ... schon. Irgendwie. Wenn ich mich nun besinne, hätte ich normalerweise kaum bis 6 Uhr morgens durchgehalten. Und, falls doch, dann nur mit extrem brummendem Schädel und Übelkeit beim nachhause kommen.
Und ich bin dann Mittags aufgestanden. Und musste mich nicht übergeben. Klar, ich fühlte mich etwas fragil, doch nach ein paar doppelten Espressi war ich mehr oder minder einsatzfähig. Hey, Leute, ich bin dann sogar ins Fitness! Crazy shit. Gegen Abend bekam ich etwas Kopfschmerzen – ein Aspirin und gut war's.
Fazit: Yo, es scheint zu funktionieren. Vermutlich. Nein, es verhindert weder Trunkenheit noch Kater, doch es scheint beides etwas zu dämmen. Was je nachdem genau den Unterschied zwischen grossartigem Ausgang und üble Sache ausmachen kann.
Ach ja – meine Begleitung? Nun, sie kam erst gegen Acht zuhause an, fühlte sich dementsprechend elend und schlief dann bis 4 Uhr nachmittags. Aber sie trank ja auch Tequila. Doch auch sie attestierte dem Produkt eine vage positive Wirkung: «Irgendwie ist der Kater etwas gedämpfter, der Körper nicht so erhitzt wie sonst.»