Nie hätte ich's gedacht, damals, in den Nullerjahren, dass der Dry Martini einmal ein Comeback hinlegen würde. Denn anno dazumal liefen Drinks-Bestellungen – zumindest in der Schweiz – meistens wie folgt ab:
Da konnte man in die angesagteste Schickimicki-Bar gehen, das Barpersonal kannte den Most Basic Cocktail In The World nicht.
Seither ist viel Wasser den Bach runter und viel Eis in Mixbechern gerührt und geschüttelt worden.
Klassische Cocktails feiern seit mehr als einem Jahrzehnt weltweit eine Renaissance. Gewiss, dieses Comeback lief in Phasen ab – um die Kundschaft anzugewöhnen, gewissermassen: Zuerst waren es die spritzigen Drinks – die Hugos, Basil Smashes und Co. –, sogenannte «Citrus forward»-Cocktails, bei denen der Spirituosengehalt geschmacklich kaschiert wird.
Danach kamen die Craft Cocktails: Bartender hatten sich längst zu «Mixologists» umgetauft, hantierten mit Thymianzweigen und Bunsenbrennern herum und servierten rauchende Cocktail-Kreationen in Gefässen, die mal Blechbüchsen, mal Blumenvasen, fast aber nie Trinkgläser waren.
Und dann: Nach der Pandemie machte sich erstmals ein Trend bemerkbar: weg von leichteren Cocktails mit viel Spritz und Sprutz hin zu den Big Classics mit starkem Alkoholgehalt. Drinks, die man gerne langsam trinkt und in Ruhe geniesst: Negroni. Old Fashioned. Und vor allem: Dry Martini. Gin, ein wenig Vermouth, vielleicht ein Tröpfchen Bitters ... Manchmal ist weniger mehr.
Womit keineswegs gemeint ist, dass nicht alle Variationen und Spielereien des Martinis ebenfalls zum Zug kamen und kommen. Allen voran hat etwa der Dirty Martini in letzten Jahren derart an Beliebtheit gewonnen, dass er vermutlich häufiger bestellt wird als die Grundvariante. Dazu unten mehr.
Aber erst mal:
So also meine Version – die übrigens ziemlich genau den Vorgaben der International Bartenders Association entspricht.
Aber:
Etwas Schlichtes, Reines, something crisp. Einen London Dry eben. Zur Blütezeit des Cocktails in den 50er- und 60er-Jahren, als sich Geschäftsleute noch «Three Martini Lunches» gönnten, gab es nicht annähernd so viele Gin-Marken wie heute. Meistens gab's nur Gordon's und Beefeater – was aber für den Martini durchaus Sinn macht, denn allzu blumige Gins, bei denen man verschiedene Botanicals stark herausschmeckt, sind weniger passend.
Mit der «Trockenheit» eines Martinis ist der Anteil Vermouth im Verhältnis zum Gin gemeint. Je weniger Vermouth, umso «trockener» der Cocktail. Interessanterweise ist der Martini während des 20. Jahrhunderts zunehmend trockener geworden. Eines der ersten publizierten Martini-Rezepte aus dem Jahr 1920 sieht ein 50/50-Verhältnis vor. Beabsichtigt man einen Martini zuzubereiten, wie man ihn zu «Mad Men»-Zeiten serviert bekam, liegt man bei einem Verhältnis von Gin zu Vermouth von 2:1 richtig.
In den Neunzigerjahren wurde es dann üblich, den Vermouth nach dem Rühren wieder abzuleeren, und den Gin lediglich mit dem Vermouth-benetzten Eis zu mixen. In jüngster Zeit findet aber wieder eine Renaissance zu den älteren Mischverhältnissen statt – dies als Reaktion auf die zahlreichen neuen Craft Vermouths aus lokaler Produktion. Nebst dem klassischen, ordentlich trockenen Martini, also, gäbe es noch die folgenden Trockenheits-Varianten:
Letzterer wurde nach dem britischen Premier getauft, weil dieser den seiner Ansicht nach perfekten Vermouth-Anteil als «am liebsten in einer geschlossenen Flasche am anderen Ende des Zimmers stehend» beschrieb.
Der Konsens lautet: Niemals einen Martini schütteln! Und ja, der Grund, weshalb James Bond explizit seinen Martini «shaken, not stirred» wollte, war das literarische Kalkül seines Schöpfers Ian Fleming, um seinen Charakter als Aussenseiter, als Rabauken, der sich gegen den Status quo wehrt, zu zeichnen.
Schaut man allerdings in der Cocktail-Historie etwas genauer nach, merkt man, dass die Rezeptur keineswegs so uniform war. Bereits in der Krimi-Komödie «The Thin Man» (1934) verlangt Protagonist Nick Charles nach einem geschüttelten Martini:
Fakt ist, dass Schütteln und Rühren zwei unterschiedliche Resultate ergeben. Durch sanftes Rühren erhält man eine kristallklare, leicht sirupige Konsistenz. Schütteln aerifiziert den Drink, was zu einem leicht milchigen, geschmacklich aufgelockerten Drink führt. Je nach Cocktail ist das eine oder das andere wünschenswert.
Womit wir zu einigen wichtigen Variationen kämen ...
Vor dem klassischen Dry Martini gab es den Martinez, der Mitte des 19. Jahrhunderts in San Francisco erfunden worden sein soll. Als Abwandlung des Manhattan ersetzte man den Whiskey mit Old Tom Gin und gab noch etwas Maraschino-Liqueur dazu.
Wie ein klassischer Dry Martini, aber mit einer Cocktail-Zwiebel als Garnitur. Das älteste Rezept dazu ist in «The World's Drinks And How To Mix Them» aus dem Jahr 1908 von Mixer-Legende William «Cocktail» Boothby.
Mit sowohl trockenem als auch süssem Vermouth im Verhältnis 1:1 – ergo:
Obwohl man dies anhand der rosaroten Farbe vermuten könnte, ist dieser Ur-Cocktail alles andere als süss. Wenige Tropfen Angostura Aromatic Bitters, das neben Enzianwurzel auch Bitterorange, Gewürznelken, Kardamom, Zimt und Chinarinde enthält, reichen für die aparte Färbung aus.
Der aktuelle Star (obwohl es ihn seit den Sechzigerjahre gibt): wie ein Dry Martini, nur mit einem Schuss Essigwasser aus dem Olivenglas dazu. Verrucht.
Will man einen Filthy Martini, bedient man sich jener dekadenten Oliven, die mit Blauschimmelkäse gefüllt sind.
Ironischerweise war es ausgerechnet während des Kalten Kriegs, als Wodka aus dem vermeintlich feindlichen Russland seinen Siegeszug durch die westliche Welt antrat und dabei so viel Territorium einnahm, dass ab Mitte Sechzigerjahre Martinis mit Wodka die Regel wurden und solche mit Gin die Ausnahme. Erst der Craft-Gin-Trend um die Jahrtausendwende beendete diese Vormachtstellung.
Beim Vodka Martini, auch Vodkatini genannt, ist die Zubereitung wie beim klassischen Dry Martini, bloss mit Wodka statt Gin. So wie James Bond ihn trinkt. Und deswegen darf man ihn auch schütteln, falls gewünscht.
Wenn wir schon beim Vodka Martini sind, lassen wir doch dessen Hauptwerbeträger zu Wort kommen:
So die präzise Anweisung James Bonds im Roman «Casino Royale» aus dem Jahr 1953. «Gosh, that's certainly a drink», so sein Kollege Felix Leiter von der CIA. Im darauffolgenden Kapitel benennt 007 dann seine Kreation: Vesper, nach seiner ersten Begegnung mit der schönen Vesper Lynd (im 2006er-Film von Eva Green dargestellt).
Leider, leider wird Kina Lillet, das Chinin enthielt und dem Liqueur einen leicht bitteren Geschmack verlieh, seit 1985 nicht mehr hergestellt. Das heute erhältliche Lillet Blanc ist einiges süsslicher.
Es gibt aber andere, vorzügliche Likörweine mit Chinin, weshalb die Erlangung der Lizenz zum Töten nichts mehr im Wege stehen muss: Cap Corse Quinquina, etwa, oder, aus der Schweiz, Kina L'Aero d'Or.
Ab den Achtzigerjahren tauchten zunehmend «Martini» getaufte Drinks auf, die nichts mit ihrem Namensgeber gemein hatten, ausser, dass sie in einem Martiniglas serviert wurden.
Inzwischen gelten diese aber ebenfalls als Cocktail-Klassiker. Allen voran:
Ganz simpel: Bereite dir und deinem/deiner Liebsten heute Abend einen Dry Martini zu! Oder wenn ihr in den Ausgang geht, zieht den schicken Anzug und das kleine Schwarze an und nehmt den Aperitif in einer guten Cocktailbar, wo der Barkeeper einen feinen Martini draufhat. Und wenn du dich gerade etwas extravagant (und trinkfest) fühlst, dann gönn dir ein Three Martini Dinner!