Auf dem Papier war sie «nur» Vizepräsidentin des Verwaltungsrates von L'Oréal. In Wahrheit hatte Françoise Bettencourt Meyers, die Enkelin des Firmengründers, aber bei dem bedeutendsten Kosmetikkonzern seit bald zwanzig Jahren das Sagen.
Die diskrete Einzeltochter, die am liebsten liest und Klavier spielt, steuerte das 42 Milliarden Euro schwere Unternehmen mit fester Hand durch den Skandal, der die Bettencourt-Dynastie ab 2007 erschütterte.
Ihre Mutter Liliane Bettencourt hatte sich von einem Fotografen namens François-Marie Banier ausnehmen lassen; ausserdem bestand der Verdacht, dass sie dem Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy – der aus dem gleichen Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine stammte – mit Bargeldumschlägen Wahlkampfhilfe geleistet hatte.
Françoise Bettencourt Meyers schaute dem bunten Treiben einige Zeit zu, verlangte dann aber die Vormundschaft über ihre zunehmend demente Mutter. Dies bedeutete den Bruch zwischen den zwei Erbinnen, die nacheinander die reichsten Frauen der Welt waren.
Tochter Françoise wurde seither von der amerikanischen Walmart-Erbin Alice Walton überholt; ihr Vermögen wird aber weiterhin auf über 80 Milliarden Dollar geschätzt. Im Unterschied zu ihrer Mutter gilt sie nicht als Prasserin – viel Zeit verwendete sie, um ein fünfbändiges Werk über die Bibel zu schreiben.
Mit ihrer Distanz zum Medienrummel überstand Bettencourt Meyers den Prozess gegen die Profiteure der labilen Mutter – und 2023 eine Netflix-Serie über Liliane Bettencourt mit dem bezeichnenden Untertitel: «Die Milliardärin, der Butler und der Boyfriend». Entschlossen ordnete sie die Besitzverhältnisse in der Familienholding Thétys und die Konzernleitung neu.
Ohne sich ins Tagesgeschäft einzumischen, befand sie aus dem Hintergrund über die Strategie des Konzerns, den ihr Grossvater Eugène Schueller 1909 mit einem neuartigen Haarfärbemittel gegründet hatte.
Unter anderem lockerte Françoise Bettencourt Meyers auch die engen Bande, die L'Oréal an Nestlé banden. Die Franzosen hatten den mehr als doppelt so grossen Schweizer Nahrungsmittelkonzern in den Siebzigerjahren zu Hilfe geholt, um einer Verstaatlichung durch die Pariser Regierung zu entgehen. Die beiden Unternehmen gingen einen Aktionärspakt ein, der den Bettencourts und Nestlé je 30 Prozent an L'Oréal sicherte.
Bettencourt Meyers löste den Pakt 2018 auf; der Anteil der Schweizer sank auf 20 Prozent. Nestlé stellt bei L'Oréal aber weiterhin zwei Verwaltungsräte, darunter Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke.
Bettencourt Meyers, heute 71, hinterlässt einen soliden Beauty-Konzern. L'Oréal und seine 94'000 Angestellten performen besser als der globale Schönheitssektor. Die Aktie hat die Trump-Baisse weggesteckt und seit Jahresbeginn über 10 Prozent zugelegt. Den Abgang der Erbin in dritter Generation quittierte sie mit einem leichten Aufschlag.
Anders als viele männliche Pendants hat Bettencourt Meyers ihre Nachfolge seit Jahren aufgebaut. Und zwar familienintern: Ihr älterer Sohn Jean-Victor wurde am Dienstag – rechtzeitig zu seinem 39. Geburtstag – von der Aktionärsversammlung in Paris zum neuen Verwaltungsratsvize bestimmt.
Ebenso zurückhaltend wie seine Mutter hat der elegante 1,95-Meter-Mann seit seinem 14. Altersjahr an den VR-Sitzungen teilgenommen. Mit 24 wurde er jüngster Verwaltungsrat einer im Pariser Börsenindex CAC 40 kotierten Firma.
Neben Jean-Victor Meyers – der den Namen «Bettencourt» fallen liess – interessiert sich auch sein jüngerer Bruder Nicolas für L'Oréals Beauty-Sparten wie Giorgio Armani, Yves Saint Laurent oder Lancôme. Die vierte Generation der L'Oréal-Eigner steht bereit – auch wenn ab sofort ohne den heute verpönten Namen Bettencourt. (aargauerzeitung.ch)