Im Jahr 2016 fand in der Chiesa di San Tommaso Apostolo im kleinen Dorf Montebuglio, zwischen dem Lago Maggiore und Lago d'Orta im Piemont gelegen, eine Beerdigung statt. Mehr als 200 Menschen füllten die kleine Kirche, denn der Verstorbene war ein beliebtes und angesehenes Mitglied seiner Dorfgemeinschaft.
Auf expliziten Wunsch des Verstorbenen wurde seine Asche nicht in einer Urne beigesetzt, sondern ... in einer Espressokanne. Genauer: in einer caffettiera Bialetti Moka Express, im Volksmund abgekürzt auch Moka genannt.
Der Verstorbene hiess: Renato Bialetti.
Gewiss, im Zeitalter des Kapselkaffees dürfte es einige Gen-Z-Kids geben, die noch nie davon gehört haben. Aber deren Eltern (und garantiert deren Grosseltern!) haben mit hoher Wahrscheinlichkeit so ein Ding zuhause in der Küche stehen. Und falls in der Familie auch nur ein Quantum italienisches Blut fliesst, sowieso. Hey, eine Studie aus dem Jahr 2010 ergab, dass 90 Prozent (!) aller italienischen Haushalte eine Bialetti-Herdkanne besitzen.
Schaut sie euch an:
Sie hat nur einen einzigen Zweck: Kaffee zu brühen.
Doch die Moka Express ist mehr als eine Kochherd-Kaffeekanne. Sie ist eine Designikone. Vielleicht ist sie gar der Heilige Gral des Produktdesigns. Ein Lehrstück für Produktdesigner allüberall – auch bald 100 Jahre seit ihrer Entstehung. Radikal, minimal, funktionsorientiert. Form follows function.
Natürlich ging die Erfindung der Bialetti-Herdkanne in den 1930er-Jahren nicht ohne Versuch und Irrtum vonstatten. Einmal fertiggestellt, musste das Design aber nie mehr geändert werden. Von Anfang an hatte der Moka Express das kleine Sicherheitsventil an der unteren Kammer. Einzig der Griff erlebte durch die Jahre einige Veränderungen – dem Style zuliebe. Wirklich «verbessert» musste er seit den 1950er-Jahren nicht werden.
Das Konzept der Herdkanne, die – anders als beim bis dahin üblichen Perkolator-Prinzip – das Wasser durch Dampfdruck nach oben durch den Kaffee presst, wurde 1933 vom italienischen Ingenieur Luigi Di Ponti erfunden. Di Ponti verkaufte das Patent an den Aluminiumgiesser Alfonso Bialetti, der das Konzept zu einem funktionierenden, massenfertigungstauglichen Produkt weiterentwickelte.
Die Moka Express wird heute noch aus Aluminium gefertigt. Aluminium hält ewig und ist zudem ein hervorragender Wärmeleiter. Ja, dies bedeutet auch, dass sie nicht mit Seife (weder Handwaschmittel noch Spülmaschine) gereinigt werden darf, sondern einzig mit Wasser und allenfalls einem weichen Tuch. Und, ja, mit der Zeit werden die sich ablagernden Kaffeerückstände sichtbar, doch jede Nonna in Italien schwört, dass dies den Kaffeegeschmack nur besser mache.
Jene ikonische achteckige Form? Hier stand kein schicker Designer Pate, sondern hier liegt der Grund dafür ebenfalls in der Herstellungsmethode. Aluminium wird gegossen – wofür sich die achteckige Form bestens eignet. Edelstahlkannen werden im Gegensatz durch Press- und Drehverfahren gefertigt, was tendenziell zu runderen Formen führt (Bialetti stellt übrigens auch eine Edelstahlkanne her – und, ja, sie ist rund).
Ach ja – das ist noch das Marken-Maskottchen:
Omino coi baffi heisst er und wurde 1953 vom Cartoonist Paul Campani geschaffen.
Inspiriert wurde er von der Figur des eingangs erwähnten Renato Bialetti, dem Sohn Alfonsos, der 1946 die Firma übernommen und dem Moka Express zu internationalem Erfolg verholfen hatte.
Perfekte Funktionalität und ein weltweit bekanntes, ikonisches Design – ein perfektes Produkt also! Und trotzdem serbelt die Firma Bialetti – seit geraumer Zeit bereits. 1986 wurde das Familienunternehmen an die Faema-Gruppe verkauft, einen Hersteller von Espressomaschinen. Und 1993 an den Kochgeschirrhersteller Rondine Italia. Später, im Jahr 2018, als der Firmenkonkurs drohte, versuchte man einen Schwenk und stieg in den Kapselkaffeemarkt ein. Im November 2024 drohte trotzdem erneut der Bankrott.
Ein Grund ist offensichtlich: Hauptschuld ist der brachiale – gar unethische – Marktdruck der Kapsel-Multis. Ja, ihr wisst alle, wer gemeint ist. Setz dich wieder hin, George Clooney!
Aber ein weiterer Grund liegt aber in der Perfektion des Produkts Moka Express selbst: Gerade, weil es ein derart unkaputtbares Design ist, kauft jeder Kunde ein einziges Mal im Leben eine Moka – und gut ist. Im Gegensatz dazu gehen Kapselmaschinen gerne mal flöten und das Kapselsystem selbst basiert auf einem produktgebundenen Kaufzwang. Auch können Kapselmaschinen immer wieder mit neuen, trendy Designs aufwarten (und zudem ist alles aus Plastik gefertigt). Bialetti? Nun, es gibt ein paar Collabs – mit Dolce & Gabbana, etwa, ...
... oder seit neustem mit Netflix.
Aber das Problem bleibt inhärent: Eigentlich gibt es da nur die Moka. In hübschen Sonderausführungen, vielleicht, und mit der Auswahl zwischen Aluminium oder Edelstahl, gewiss. Aber letztendlich bleibt es bei der einen Herdkanne, die sich nie abnutzt. Legendär. Und umweltfreundlich und nachhaltig. Aber nicht wandelbar.
Ende Januar 2025 kam die Nachricht: Die Investmentfirma NUO Capital aus Hongkong kauft die italienische Traditionsmarke Bialetti. NUO, die sich offenbar darauf spezialisiert, altehrwürdige italienische KMUs zu akquirieren, will Bialetti «auf dem globalen Markt sichtbarer» machen und den E-Commerce verbessern. «Grow Italian Excellence», so der Claim.
Okay – vorsichtiger Optimismus ist angesagt. Zumindest angesichts der Tatsache, dass die Alternative das komplette Aus gewesen wäre. Gewiss werden die neuen Besitzer das ikonische Design der Moka Express nicht antasten. Die Herdkanne wird der kommenden Generation erhalten bleiben. Durchaus vorstellbar ist hingegen, dass eine ganze Produktlinie rundherum gebaut wird. Freuen wir uns auf die Bialetti-Modelinie, also ...?
Natürlich mit einer Bialetti gebraut.
Wir haben übrigens drei Stück: Klein, mittel und gross, je nach Gelegenheit.