Sieh dir jeden heutigen Supercar an und du wirst den Einfluss eines mehr als 50 Jahre alten Autos erkennen: Kantige Linien, knappste Bodenfreiheit, Flügel- oder Scherentüren, Mittelmotor, fette Reifen – das alles lässt sich zurückverfolgen auf den erstmals 1971 am Genfer Autosalon vorgestellten Prototypen des Lamborghini Countach:
Der Designer dieses bahnbrechenden Werks: Marcello Gandini.
Der Countach und sein Vorgänger, der Lamborghini Miura von 1966, gelten weithin als die ersten modernen Supersportwagen. Sie schufen die Vorlage für eine Fahrzeugkategorie, die noch immer die Spitze der automobilen Leistung und des Designs markiert. Gandini war der Designer beider Autos. Und wenn es nur schon bei den beiden geblieben wäre, würde man sich an ihn erinnern. Doch Marcello Gandini schuf ein wahres Pantheon an radikalen Auto-Designs, die Meilensteine der Automobilgeschichte darstellen: Kleinwagen, Mittelklasse-Limousinen, Rallye-Rennwagen, zahllose Konzeptautos und auch noch Lastwagen, Autobusse und Helikopter.
Geboren 1938 in Torino als Sohn eines Dirigenten, begann Marcello Gandini seine Karriere 1963 bei der legendären Gruppo Bertone unter der Leitung von Nuccio Bertone. Dort gründete er das Design-Haus Stile Bertone und arbeitete sowohl als dessen Geschäftsführer als auch als Designer von Konzeptfahrzeugen und als Leiter des Prototypenbaus für viele Automobilhersteller, welche die Firma Bertone engagierten.
1979 verliess er Bertone und gründete zusammen mit seiner Frau Claudia die CLAMA Srl (ja, genau: CLAudia und MArcello) und etablierte sich als unabhängiger Designer.
Am 13. März 2024 verstarb Marcello Gandini im Alter von 85 Jahren in Torino, seiner Geburtstadt.
Lassen wir nun einige seiner markantesten Kreationen Revue passieren!
Der Urvater der Supercar-Klasse. Und heute noch eine Design-Ikone.
Hier handelte es sich um eine Design-Studie auf Basis des Jaguar E-Types. Es blieb beim Prototypen, doch die Designsprache und etliche Details flossen ein in den ein Jahr später vorgestellten ...
Jene Scherentüren, wie sie später beim Countach bekannt wurden (und deshalb bis heute im Volksmund «lambo doors» genannt werden)? Zum ersten Mal gab's die bei diesem Prototypen.
Eine Designstudie, auch «barchetta» genannt, da Motorboote als Inspiration dienten. Dieses futuristische Mittelmotor-Vehikel führte direkt zum Serienfahrzeug Fiat X1/9 von 1972, das auch von Gandini entworfen wurde (siehe unten).
Freilich sind da erhebliche Unterschiede zum späteren Rallyeauto gleichen Namens (siehe unten), doch diese Designstudie von 1970 bildete den Startpunkt einer der erfolgreichsten Siegesserien des Automobilsports.
Aus diesem Konzeptauto entstand 1972 die erfolgreiche erste Serie der 5er-BMW-Reihe.
Und da ist er auch schon, der kleine Fiat, der aus der oben gezeigten Bertone-Runabout-Studie entstand! Mittelmotor-Sportwagen-Feeling zu einem erschwinglichen Preis. 17 Jahre lang blieb dieses Auto in Produktion.
Die Über-Ikone, die Rally-Legende – und erst noch eines der radikalsten Designs der Autogeschichte.
Vorgestellt auf dem Pariser Autosalon 1973 und inspiriert vom Stratos war der Trapeze als Mittelmotor-Viersitzer konzipiert mit längs eingebautem NSU-Wankelmotor, um die Gewichtsverteilung zu optimieren. Um das Problem des Motorraums im Cockpit zu umgehen, wurden die Sitze in Trapezform angeordnet.
Heute noch das Designvorbild für jeden – aber auch jeden – Super-Sportwagen. 1971 erstmals als Prototyp vorgestellt, zwei Jahre später als Serienfahrzeug, war der Countach stets mehr Popstar als nur Auto. Und wie in der Promiwelt zwischen Stars und Superstars unterschieden wird, gibt es «cars» und «supercars». Es war der Lamborghini Countach, der definierte, wie ein Supercar zu sein hatte: sauschnell, geradezu unanständig glamourös und die Projektion unserer gemeinsamen Wunschträume. Und, ach ja, italienisch.
Keiner konnte derart gekonnt Science-Fiction mit Automobilität verbinden wie Marcello Gandini. Früher war die Zukunft schöner.
Der zweite Designauftrag von Jaguar – diesmal auf der Basis des XJ-S mit V12-Motor.
Gandini war keineswegs nur mit Supersportwagen oder Konzeptautos beschäftigt. Er entwarf auch etliche erfolgreiche Grossserienautos, darunter etwa die Kleinwagen Autobianchi A112 von 1969 und Audi 50/VW Polo von 1974 oder die Mittelklasselimousinen Fiat 132 von 1972 und den zukunftsweisenden Citroën BX von 1982.
1985 beauftragte Lamborghini Gandini mit dem Design seines neuen Supersportwagens, worauf er den ersten Entwurf des Lamborghini Diablo lieferte. Als Chrysler 1987 Lamborghini aufkaufte, war das amerikanische Management mit Gandinis Entwürfen unzufrieden und beauftragte sein Designteam in Detroit mit einer umfassenden Neugestaltung, die Gandinis berüchtigte scharfe Kanten glättete und ihn bekanntermassen gehörig enttäuschte. Aber Gandini bekam später Gelegenheit, sein ursprüngliches Design zu verwirklichen – beim V16-Motor-Ungetüm Cizeta-Moroder V16T.