Vermutlich habt ihr's schon gesehen:
Oder zumindest eines der Abertausenden Memes gesichtet. Die Rede ist vom Rebranding der britischen Automarke Jaguar. Beziehungsweise vom 30-sekündigen Teaser, der dieses Rebranding ankündigte.
So. Und wer von mir nun einen Rant über Wokeismus und Traditionsverlust bei dieser doch so geschichtsträchtigen Automarke erwartet, wird enttäuscht werden (und die, die diesen Artikel nicht zu Ende lesen, werden sich in den Kommentaren selbst entlarven). Denn: Die Sachlage ist viel spannender, als es meine subjektive Meinung über jene bunten Teletubbies im Teaser-Video je sein könnte.
In der Tat wurde Jaguars Teaser-Video rundum verteufelt. Klar, die üblichen Rechtsaussen-Verdächtigen wittern wieder mal eine woke Verschwörung. Vor allem wegen der genderfluiden Models des Videos (uuuuh, scary!). Aber auch gemässigtere Kommentatoren bemängeln vor allem, dass das Filmchen null und nichts mit dem Brand Jaguar zu tun hat. Schlussendlich steht Jaguar für etwas, verdammt noch mal! Eine stolze Heritage. Seriöses Rennsport-Erbe. Sieben Le-Mans-Siege in drei verschiedenen Jahrzehnten. 80 Jahre herausragendes Styling. Eine britische Ikone.
Von dem allem ist im neuen Rebranding-Teaser genau nichts zu sehen. Und hey: Überhaupt fehlt ein Auto.
Fakt ist, dass Jaguar zur Zeit keine Autos produziert. Der Grund: Jaguar will sich neu positionieren als reiner Elektroauto-Hersteller im Luxus-Segment. Gewiss, Jaguar stellte bereits den EV i-Pace her, der allen Besitzerberichten zufolge offenbar ein vorzügliches Fahrzeug sein muss und designmässig ausserdem ein elegantes Ding ist. Aber offenbar ist die Architektur die falsche, um mittel- bis langfristig darauf eine Modellreihe aufzubauen. Und eben: Ein Rebranding ist angesagt. Alles neu. Alles.
Ebenfalls ein Fakt ist, dass 300 Millionen Menschen weltweit das Filmchen gesehen haben. Das ist eine gehörige Reichweite für einen 30-sekündigen Social-Media-Teaser. Und geschätzt wird, dass Jaguar bloss rund 50'000 Fahrzeuge pro Jahr verkaufen muss, wenn die Produktion des neuen Fahrzeugs im Jahr 2026 beginnt. So gesehen funktioniert die Promo – frei nach Oscar Wilde: «There is only one thing in the world worse than being talked about, and that is not being talked about.»
Es ist zu erwähnen, dass «copy nothing» das ursprüngliche Mantra des Jaguar-Gründers William Lyons ist. Und in der Tat: Während ihres bald 90-jährigen Bestehens hat die Marke Jaguar immer wieder mit Revolutionärem und Unerwartetem auf sich aufmerksam gemacht.
Garantiert kam der aktuelle Backlash nicht unerwartet für Jaguar. Geschäftsführer Rawdon Glover sprach davon, wie man «eine Debatte anstossen» wolle. Das ist zweifelsohne gelungen. Gleichzeitig zeigte er sich enttäuscht «über den abscheulichen Hass, der den Leuten entgegenschlägt, die im Video erschienen». Aber letztendlich: «Wenn Farage unsere Marke hasst, ist das in Ordnung.»
Ha. Clever. Zur Erläuterung: Nigel «Mr. Brexit» Farage ist einer dieser Rechtsaussen-Polterer, die – analog etwa wie gewisse SVP-Politiker in der Schweiz – eine ausschliessende und vergangenheitsgerichtete Definition von Nationalität haben. Solche Menschen lamentieren über den Verlust der vermeintlichen besseren Welt ihrer verklärten Vergangenheit. Nun, die Marke Jaguar hat gewiss eine durch und durch britische Identität. Bloss, welche? Tweedjacken und Spitfires und Gummistiefel und hübsche Country Pubs? The Beatles und Swinging London und Mini-Jupes? Punk Rock und Vivienne Westwood? Bergarbeiter-Streiks? Chicken Tikka Masala? Rave-Kultur und Alkoholkonsum? Banksy? Bridgerton?
Seit der Gründung von Jaguar hat sich britische Identität stetig entwickelt und verändert und zuweilen radikal umgekrempelt. Das Grossbritannien, das heute Millionen junger Besucher aus aller Welt nach London zieht, ist vielleicht ein bunter Mix aus Grime-Musik, Hollywood-Kinohits, exzentrischer Mode und der nicht totzukriegenden Fähigkeit, über sich selbst zu lachen. Farages Britishness, hingegen, steht für alternde Rentner, die in muffigen Teehäusern Kuchen essen gehen.
Hinter dieser Positionierung Jaguars steckt aber keine politische Ausrichtung, sondern gewiss eiskaltes unternehmerisches Kalkül. Eine Marke kann nicht ausschliesslich von den Menschen leben, welche die Marke zwar lieben, die Autos aber nicht kaufen. Jene alternden Rentner kaufen eh keine Jaguars. Die zukünftige Käuferschaft, so hofft Jaguar wohl, ist so jung, dass sie vielleicht noch gar nicht weiss, dass sie in fünf Jahren ein Auto kaufen wird. Ausserdem hockt diese Kundschaft in Abu Dhabi, in Asien und anderswo. Und ihr bedeuten Schwarzweiss-Fotos von Le-Mans-D-Types ziemlich genau nichts.
Am 2. Dezember wird das Konzeptauto von Jaguar enthüllt. Lanciert wird es nicht auf einer Automesse, sondern auf der Miami Art Basel – wohlweislich. Automessen sind so gut wie tot (siehe Genf), aber Geld und Power werden auf der Miami Art Week in Hülle und Fülle anwesend sein. Auto-Fans wird es auf der Miami Art Week wenige haben. Aber Menschen, die sich demnächst mal einen stylishen fahrbaren Untersatz gönnen mögen, stehen dort Spalier.
Just sayin': Ein Jaguar E-Type steht als Ausstellungsstück im New Yorker Museum of Modern Art. Jaguars Connection zur Kunstwelt besteht schon seit jeher.
Der wohl wichtigste Grund für diese seismischen Veränderungen, die aktuell in der Autobranche stattfinden, ist die Elektrifizierung. Diese hat die gesamte traditionelle Hierarchie der Automarken ins Wanken gebracht – wie etwa die Deutschen zu ihrem Entsetzen feststellen mussten. Ziemlich jeder Elektroauto-Hersteller – ob Auto-Multi oder Start-up – ist fähig, gehörig schnelle, zuverlässige und komfortable Autos zu bauen. «Grace, space and pace», wie es im Jaguar-Werbeclaim von anno dazumal hiess, können alle gehörig gut. Somit stellt sich für eine Automarke die Frage, in welchem Bereich man überhaupt konkurrieren kann. Wired Magazine etwa fragt, ob es fortan nur um das Interieur eines Autos gehen wird. Nur um das Design. Alles dreht sich um die Ästhetik.
Was an sich keine schlechte Sache sein muss. Damals, als sich die Autohersteller via Ästhetik konkurrierten, bekamen wir den E-Type.
Jaguar pokert ordentlich hoch mit seinem aktuellen Imagewandel. Doch klappt es mit dem Autoverkauf nicht, wären schon mal die Weichen gestellt für die Wandlung in eine Mode- oder Lifestyle-Marke. Jene Branche, nämlich, boomt.
Auto-Puristen werden natürlich eine solche Haltung verabscheuen. Aber als Autohersteller tut man gut daran, nicht zu sehr auf Auto-Fans zu hören. Denn diese beschäftigen sich gerne mit Dingen, die normalen Autokäufern völlig gleichgültig sind. Gerry McGovern, der Creative Director von Jaguar (der Mann also, der für das Konzeptauto verantwortlich ist, das am 2. Dezember enthüllt wird), war der Designer des neuen Land Rover Defender. Land-Rover-Fans hassten das neue Design, weil es nicht der vermeintlichen Essenz von Land Rover entsprach. Sie wünschten sich jenes alte Militär-/Landwirtschaftswerkzeug, bekamen aber einen Luxus-SUV vorgesetzt. Doch siehe da: Der neue Defender ist unglaublich erfolgreich.
Nein, mir gefällt das Jaguar-Teaser-Video nicht.
Es ist ... schlicht zu wenig interessant.
Der Kontext, aus dem es entstanden ist, ist aber faszinierend. Gewiss mag es traurig sein, zuzusehen, wie eine so geliebte, altehrwürdige Industrie derart radikal umgekrempelt wird. So ähnlich muss es Pferde-Fans ergangen sein, als sich Autos durchsetzten. Interessant ist dennoch, dass ich ob dem ganzen Gerede über Neupositionierungen trotzdem immer wieder auf Parallelen zur Lancierung des Jaguar E-Types im Jahr 1961 gestossen bin. Vielleicht entspricht das aktuelle Rebranding viel mehr einer Jaguar-Tradition, als uns bewusst wäre.
Letztendlich aber steht und fällt alles mit dem Auto, das nächste Woche am 2. Dezember enthüllt wird. Gespannt sind wir nun alle. Das zumindest hat Jaguar richtig gemacht.
Ich lass mich überraschen, entweder ist das Design ein „Gamechanger“, wenn nicht gilt auch hier unterdessen: go woke, go broke..