Stundenlanges Üben, Talent und Leidenschaft. All dies nützte Maria Anna Mozart nichts. Denn sie war eine Frau im 18. Jahrhundert.
Dies schrieb Wolfgang Amadeus Mozart seiner Schwester Maria Anna in einem Brief im Jahr 1777. Maria Anna Mozart, von allen nur Nannerl genannt, hatte das Talent für eine grosse Karriere als Pianistin. Doch ihr Leben lang stand sie im Schatten ihres berühmten Bruders.
Maria Anna Walburga Ignatia Mozart wurde 1751 als viertes Kind des Hofviolinisten Leopold Mozart und seiner Frau Anna Maria Walburga in Salzburg geboren. Da von den insgesamt sieben Kindern fünf das erste Lebensjahr nicht überlebten, blieben sie und ihr 1756 geborener Bruder Wolfgang Amadeus die einzigen Kinder.
Wie ihr Bruder profitierte Maria Anna von einer guten Allgemeinbildung sowie umfassendem Klavierunterricht. Ihr Vater war auf beide «Wunderkinder» sehr stolz und nahm sie mit an die europäischen Höfe, um deren Talent allen zu präsentieren. Er war aber auch sehr ehrgeizig, weswegen er seine Kinder auf Erfolg drillte.
Weil die Kinder gut beim Publikum ankamen, ging die gesamte Familie Mozart auf eine dreijährige Konzertreise, welche von 1763 bis 1766 stattfand. Die Familie bereiste Länder wie Deutschland, Frankreich, England, Holland und die Schweiz.
Der Vater war scheinbar ein Marketing-Genie. Er wusste es, wie er seine Kinder am besten den Menschen präsentierte und wie er die Presse für sich einspannte. Leopold Mozart machte sich vor Ort über den Geschmack des Publikums schlau und liess dann seine Kinder die Stücke einstudieren. Er arrangierte Treffen mit Adeligen und vereinbarte die Gagen.
Maria Anna war zu dieser Zeit eine der ersten Pianistinnen, welche in ganz Europa Konzerte gaben. In einer Zeitung im Jahr 1763 stand über Maria Anna:
Trotz des grossen Talents: Maria Anna war ein Mädchen, weshalb sich die Aufmerksamkeit ihres Vaters mehrheitlich auf den Sohn richtete. Anders als ihr Bruder erhielt sie auch keinen Kompositions-, Geigen- oder Orgelunterricht, obwohl dieser zu der Zeit für Musiker als unerlässlich galt.
Da es dazumal unüblich war, eine Karriere als Pianistin einzugehen, ging die 17-jährige Maria Anna 1768 auf eine letzte Konzertreise nach Wien. Danach zeigte ihr ihre Mutter die Arbeiten einer Hausfrau, während ihr Bruder mit ihrem Vater auf weitere Reisen gingen.
Beim Dasein als Hausfrau blieb es aber nicht. Die Musik liess sie nicht los: Sie spielte für durchreisende Bekannte oder begleitete Sänger auf dem Klavier. Ausserdem arbeitete sie zwischen 1772 und 1784 als Musiklehrerin für vorrangig höhere Töchter. Mit ihrer Tätigkeit besserte sie auch das Einkommen der Familie beträchtlich auf.
Ihr Schüler Joseph Wölfl, der die Mozartbriefe verwaltete, wurde später als Pianist und Komponist in ganz Europa bekannt. Auch Maria Anna konnte scheinbar komponieren, wie in einem Brief von ihrem Bruder 1770 herauszulesen ist:
Mozart bedauerte wohl ebenfalls das verschwendete Talent von seiner Schwester.
Zu dieser Zeit gab es schon einige wenige Frauen, welche als Erwachsene eine musikalische Karriere einschlugen.
Maria Annas Repertoire ist schwer zu rekonstruieren, da aus der Korrespondenz der Familie die Klavierstücke meist nicht namentlich genannt wurden. Leopold Mozart schrieb 1974 seiner Frau die Anweisung:
Die Rede war aber viel von den «schwersten Stücke[n]» und den «grösten Meistern».
Nach dem Tod ihrer Mutter 1778 musste Maria Anna den Haushalt ihres Vaters führen. Wenige Jahre später verliebte sie sich in Franz Armand d’Ippold, Hauptmann und Hofmeister der Edelknaben. Da sie mit 30 für diese Zeit schon spät dran war, wünschte auch ihr Bruder Maria Anna einen Ehemann. Er schreibt ihr:
Maria Anna war zu dieser Zeit von einer Krankheit geplagt. Auch sie würde gerne heiraten. Doch ihr Vater war dagegen. Nach seinem Geschmack waren die Finanzen des Auserwählten zu mager.
Maria Anna heiratete – jedoch einen anderen, der diesmal vom Vater ausgewählt wurde. 1784 ehelichte sie den Freiherrn Johann Baptist von Berchtold zu Sonnenburg und zog nach St. Gilgen, weg von der geliebten Kulturstadt Salzburg. Der frisch Angetraute und zweifache Witwer brachte fünf unmündigen Kinder in die Ehe. Maria Anna gebar drei weitere.
Die Ehe war laut Maria Annas Briefen an ihren Vater eine grosse Enttäuschung. Aber auch ihr Vater machte ihr das Leben schwer. Dieser holte ihren ältesten Sohn gegen ihren Willen zu sich nach Salzburg. Da ihr Mann an dem Kind keinerlei Interesse hatte, liess dieser das Ganze geschehen. Von ihren leiblichen Kindern erreichte nur der älteste Sohn das Erwachsenenalter.
Dank der Hilfe der Bediensteten konnte Maria Anna weiterhin drei Stunden pro Tag Klavier spielen. Auch für ihren Bruder stand sie mit Rat und Tat immer zur Seite, wenn dieser bei musikalischen Fragen Hilfe benötigte. Von Eifersucht oder Neid war aus den Briefen des Geschwisterpaars nichts herauszulesen. Nur nach seiner Eheschliessung mit Konstanze distanzierte sich ihre Beziehung ein wenig. Nach Mozarts Tod kümmerte sich Maria Anna um sein Andenken. Sie gilt als eine der wichtigsten Quellen für Verleger, Musikhistoriker und Mozart-Enthusiasten.
Auch Maria Annas Ehemann starb. 1801 kehrt sie nach Salzburg zurück. Bis sie 74 Jahre alt ist, arbeitet sie als Klavierlehrerin. Aufgrund einer Erblindung musste sie damit aufhören. 1829 starb sie im Alter von 78 Jahren. Von der Mozart-Familie hatte sie das längste Leben.