Einen «Konflikt der Generationen» diagnostiziert der Generationenforscher Rüdiger Maas. Die Boomer und die Generation Z scheinen zunehmend in zwei unterschiedlichen Lebenswelten daheim zu sein. Ein Riss gehe durch unsere Gesellschaft.
Doch ist es wirklich so schlimm? Ich habe meinen Vater, 83, und meine Nichte, 20, für ein Generationengespräch an den (Familien-)Tisch gebeten. Handy und Haushalt, Fleiss und Freizeit – wie denken sie darüber? In vielem anders. Doch in einer Sache finden sie auch: «Hier sind sich die Generation Z und die Boomer tatsächlich plötzlich sehr nahe.» Näher als zur Generation dazwischen, die ich mit meinen 41 Jahren verkörpere.
Wir treffen uns an diesem Montagmorgen um 9 Uhr hier im Bahnhofbuffet in Olten. Einen Termin zu finden, war nicht einfach, ihr seid, so scheints, beide viel beschäftigt. Beginnen wir beim Handy, das uns alle ständig begleitet. Wie lange habt ihr es heute schon genutzt?
Saskia: Eigentlich die ganze Zugfahrt von Thun, um Musik zu hören, währenddessen habe ich auf dem iPad eine Weihnachtskarte gezeichnet. Zu Hause war ich noch auf Instagram. Und mit dir habe ich auch kurz auf Whatsapp geschrieben. Fürs Zugbillett habe ich es auch gebraucht.
Louis: Nur kurz. Ich war auf Whatsapp, hab geschaut, ob mir jemand geschrieben hat, ob es allenfalls was zu tun gibt – Grosskinder hüten beispielsweise. Für das Zugticket brauche ich das Handy natürlich auch. Mit Fairtiq geht das einfach und schnell. Und ich war auf LinkedIn. Da habe ich gesehen, dass Saskia ihr 1-Jahr-Jubiläum am neuen Arbeitsort hat, also habe ich ihr gratuliert.
Saskia, hast du die Gratulation schon gesehen?
Saskia: Nein, auf LinkedIn bin ich kaum. Mehr auf Instagram. Und auf BeReal, da geht es weniger um die Inszenierung, und die Fotos werden nach 24 Stunden gelöscht.
Hast du das Gefühl, dass du zu viel am Handy bist?
Saskia: Ja, definitiv. Vor allem auf Instagram. Der Algorithmus ist ja so gemacht, dass man sich endlos durch den Feed wischt. Seit kurzem greife ich über den Browser auf das soziale Netzwerk zu und habe ein Plug-in installiert. Damit werden mir nur noch Beiträge angezeigt von Leuten, denen ich wirklich folge. So wird das Ganze wieder überschaubarer und gibt mir ein besseres Gefühl. Ich habe die Kontrolle zurückerhalten.
Louis: Das machst aber auch nur du.
Saskia: So bewusst wie ich machen das in meinem Freundeskreis tatsächlich nicht alle. Einige haben Instagram aber auch ganz gelöscht. Ich glaube, dass meine Generation immer besser lernt, sinnvoll mit dem Handy umzugehen und sich selbst Grenzen zu setzen. Müssen wir ja auch. Vor Alkohol und Drogen haben uns unsere Eltern tausend Mal gewarnt – beim Smartphone waren wir auf uns allein gestellt. Wir sind die erste Generation, auf die die Algorithmen losgelassen wurden.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die älteren Leute mindestens so vom Handy absorbiert werden. Als wir kürzlich bei euch, Louis, zum Abendessen waren, hat dein Handy geklingelt und du bist sofort rangegangen.
Louis: Ja, das ist schon so. Sobald es läutet, schaut man drauf. Wer hat geschrieben? Und dann antwortet man. Oder man erhält eine Push-Mitteilung der Zeitung. Es ist definitiv so, das Handy unterbricht die Konzentration und reisst einen aus dem Moment heraus.
Saskia: Ich habe mein Handy immer auf stumm geschaltet. Und alle Push-Mitteilungen ausser Whatsapp und Mails ausgeschaltet. So wird man viel weniger gestört.
Immer mehr Menschen konsumieren keine News mehr. Wie informiert ihr euch?
Louis: Ich höre jeden Morgen die Nachrichten am Radio. Dann lese ich die Zeitung, wenn Zeit dafür ist. Abends schaue ich «Tagesschau» – manchmal schlafe ich aber kurz ein dabei (lacht). Übers Handy informiere ich mich nur wenig.
Saskia: Ich folge SRF-News auf Instagram. News-Apps habe ich keine installiert. Nachrichten deprimieren mich eher: So viel Leid und Krieg – und man kann doch nichts dagegen machen. Vor Abstimmungen und Wahlen informiere ich mich aber über das VoteInfo-App und manchmal google ich auch einfach, wenn ich was nicht verstehe. Seit ich 18 bin, habe ich noch keine Abstimmung oder Wahl verpasst.
Louis, als du 20 Jahre alt warst, gab es noch keine Handys. Was sind weitere grosse Unterschiede zu deinem Leben von damals und jenem von Saskia heute?
Louis: Ich war mit 20 bereits Oberstufenlehrer. In gewissem Sinne eine Autoritätsperson im Dorf. Ich hatte was zu sagen. Es war sehr spannend, aber anstrengend. Ich war unerfahren und musste mich gut auf die Lektionen vorbereiten. Damals habe ich sicher 120 Prozent gearbeitet. Doch ich fühlte mich meiner Aufgabe als Lehrer verpflichtet und wollte sie möglichst gut machen. Heute, so habe ich das Gefühl, fühlen sich viele Menschen bloss noch angestellt für eine bestimmte Stundenzahl.
Saskia: Also ich will meinen Job auch so gut erfüllen, wie ich kann. Und mir ist es wichtig, dass ich meine Arbeit als sinnvoll empfinde. Aber ich finde es mega wichtig, dass man abschalten und nach Feierabend einen Cut machen kann. Ich arbeite 80 Prozent, weil mir die Freizeit auch wichtig ist. So kann ich mal ein verlängertes Wochenende eine Städtereise machen oder an einem Montag Ski fahren.
Louis: Teilzeit arbeiten ging bei mir nicht. Aber das hätte ich mir auch nicht vorstellen können. Ich bin der Meinung, dass man sich nicht voll auf seine Arbeit konzentriert, wenn man Teilzeit arbeitet. Mit dem Aufkommen von Teilzeitarbeit setzte ein Wandel im Erwerbsleben ein: Menschen fingen an, für eine bestimmte Zeit zu arbeiten, statt mit Hingabe eine Aufgabe zu erfüllen.
Saskia: Aber Raffael arbeitet ja auch nicht hundert Prozent, weil er auch auf seine Kinder aufpassen will. Ist das auch falsch?
Louis: Falsch würde ich nicht sagen. Aber etwas kommt immer zu kurz. Oft sogar alles.
Zurück zu euch. Saskia, warum ist dir das Abschalten so wichtig?
Saskia: Mein Vater hat immer sehr viel gearbeitet. War deshalb am Abend oft nicht zu Hause oder hat am Wochenende den Laptop im Wohnzimmer aufgeklappt. Das fand ich sehr schade und ich habe mir gesagt, so soll das bei mir nicht werden. Deshalb habe ich beispielsweise das Geschäftsmail oder die Teams-App nicht auf meinem Handy installiert.
Was macht deine Arbeit sinnvoll?
Saskia: Ich arbeite in einem Geschäft für Werbegeschenke und Teambekleidung, das mein Vater aufgebaut hat. Sinnstiftend finde ich, wenn ich sehe, dass unsere Kunden mit unserer Arbeit zufrieden sind und wiederkommen, weil sie unsere Dienstleistung schätzen. Der Preiskampf ist nicht einfach – gerade übers Internet. Deshalb sind gute Beziehungen das A und O. Kürzlich durften wir für ein Restaurant Glühweintassen produzieren und gingen dann als Team dort Glühwein trinken und Fondue essen, um die Tassen auszuprobieren. Es ist ein Geben und Nehmen, das wir leben.
Louis: Das kann ich gut nachvollziehen. Ich habe ja nur kurz als Lehrer gearbeitet. Die meiste Zeit meines Berufslebens war ich als Kadermann auf der Bank tätig. Da habe ich nicht nur den Gewinn der Bank ins Zentrum gestellt, sondern immer auch den Mehrwert für die Kunden. Daraus haben sich viele gute Beziehungen ergeben. Seit der Pensionierung vor über 20 Jahren bin ich in Teilzeit auf einem Treuhandbüro für ältere Leute tätig. Da liegt der Fokus eindeutig auf dem Dienen und nicht auf dem Verdienen.
Ist Freizeit über die letzten Jahrzehnte wichtiger und Geld weniger wichtig geworden?
Saskia: Ich denke schon. Das liegt aber auch daran, dass es uns gut geht, dass wir im Wohlstand leben. Und wohl auch daran, dass für meine Generation grosse Investitionen schwieriger geworden sind. Ein eigenes Haus wäre nice, wird aber nicht einfach sein.
Louis: Das war bei uns noch eher möglich, aber nicht ohne Verzicht. Wir haben alles diesem Traum untergeordnet. Auf Ferien verzichtet beispielsweise. Wir waren nie im Ausland, als die Kinder noch klein waren.
Saskia, in welchen Ländern bist du mit 20 schon gewesen?
Saskia: Ungefähr in 20. Ich habe beispielsweise auch eine Kollegin, die in Holland wohnt, die ich ab und zu besuche.
Louis: Schön. Was ich aber noch sagen möchte: Meine Generation hat in der besten Zeit der Geschichte gelebt. Es ging immer nur aufwärts. Fast jedes Jahr gab es eine Lohnerhöhung. Wir mussten uns um unseren Job keine Sorgen machen. Und nach dem Ende des Kalten Krieges sah es so aus, als ob sich nicht nur der Wohlstand, sondern auch die Freiheit auf der ganzen Welt verbreiten würden. Wir waren optimistisch – und haben uns getäuscht.
Die Kehrseite des wirtschaftlichen Wachstums ist der Klimawandel. Es gibt von der jungen Generation den Vorwurf, dass ihr die Welt zugrunde gewirtschaftet habt und nun einen kaputten Planeten hinterlasst.
Louis: Wenn man das mit dem Wissen von heute tut, ist das unfair und pauschal. Unsere Generation war sich gar noch nicht bewusst, dass der CO₂-Ausstoss zur Erderwärmung führt und das zum Problem werden wird.
Saskia: Und jetzt wissen wir es und tun alle zu wenig dagegen. Ich beispielsweise versuche zwar, wenn immer es möglich ist, mit dem Zug zu reisen, will aber nicht ganz auf das Flugzeug verzichten. In meiner Generation gibt es zwar einen Trend zu mehr Secondhand-Mode (zeigt auf ihre Kleidung): Pulli, T-Shirt und Hosen habe ich alles aus der Brocki. Das finde ich cool. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele, die bei Temu oder Zalando günstig bestellen. Vielleicht passt's ja, sonst schicke ich es zurück. Das schätze ich überhaupt nicht an meiner Generation.
Der Trend zur Wiederverwertbarkeit und zum Flicken ist interessant. Das war doch in deiner Generation, Louis, auch noch mehr so, ging dann aber verloren.
Louis: Ja, das ist so. Du, Raffael, hättest deine Kleider mit 20 nie im Brocki gekauft – und tust es heute auch nicht.
Saskia: Meine Eltern auch nicht. Hier sind sich die Generation Z und die Generation unserer Grosseltern tatsächlich plötzlich sehr nahe. Früher tat man es vielleicht auch, weil man ökonomisch keine andere Wahl hatte, heute aus Nachhaltigkeit.
Saskia, du wohnst mit 20 noch zu Hause. Wie gut verstehst du dich mit deinen Eltern?
Saskia: Sehr gut. Familie ist generell wichtig für mich. Auch wenn wir manchmal unterschiedlicher Meinung sind, ist Toleranz und Verständnis für den anderen da.
Louis: Hier hat bestimmt ein Wandel stattgefunden. Eltern und Lehrer – die früheren Autoritätspersonen – sind zu den besten Freunden der Kinder geworden. Man versucht, weniger mit Vorschriften und mehr mit Motivation zu führen. Ausserdem führt die Versiertheit der Generation Z im Umgang mit den digitalen Medien dazu, dass sie hier ihren Eltern etwas weitergeben können. Der Wissensaustausch findet nun plötzlich in beide Richtungen statt. Das ist neu und trägt meines Erachtens zum freundschaftlichen Verhältnis der beiden Generationen bei.
Saskia, gibt es auch Themen, wo du dich an deinen Eltern reibst?
Saskia: Ja, bei der Ernährung. Meine Schwester lebt vegan, ich vegetarisch. Mein Vater isst sehr gerne Fleisch. Das kann schon einmal zu Meinungsverschiedenheiten führen. Auch bei der mentalen Gesundheit haben wir andere Einstellungen. Vielleicht sind meine Eltern mal erkältet, aber psychische Probleme sind bei ihnen kein Thema. Meine Generation hingegen hat gelernt, über unsere Ängste und Gefühle zu sprechen.
Man könnte auch sagen, die Generation Z ist verweichlicht.
Louis: Das ist definitiv so. Und das hat viel mit dem Lebenswandel, der Hinwendung zu Computer und Smartphone zu tun und auch mit der Entfremdung zur Natur. Man ist nicht mehr draussen, kennt nicht mehr Hitze und Kälte, arbeitet nicht mehr mit dem Körper.
Saskia: Durch den Wohlstand, der unsere Grundbedürfnisse deckt, haben wir wohl erst Zeit, uns über Tierleid und psychische Probleme Gedanken zu machen. Ausserdem gibt es weniger Tabus und die Vernetzung führt dazu, dass man immer jemanden findet, der Ähnliches erlebt hat. Früher hat man sich wohl mehr alleine durchgebissen.
Louis: Und trotzdem fühlen sich viele einsam. Es ist wie in einem Hochhaus. Man lebt Tür an Tür, kennt sich aber doch nicht wirklich.
Die psychischen Probleme haben in der Generation Z tatsächlich auch statistisch zugenommen. Andersherum wird ganz viel Geld ausgegeben für die Pflege der alten Leute – eine finanzielle Last, die letztlich auf die junge Generation zurückfällt.
Louis: Viel zu viel Geld wird da ausgegeben – oft Monat für Monat mehr, als die Betroffenen zu ihren besten Zeiten verdient haben. Ich bin jetzt 83 und es geht mir gut. Das ist schön. Aber wenn ich krank wäre und es mir plötzlich schlecht ginge, könnte ich schon morgen diese Welt verlassen. Was erwarten die Leute denn in diesem Alter? Dass es noch einmal besser wird?
Saskia: Ich glaube, hier ist auch der Kitt der Generationen verloren gegangen. Früher haben die Älteren den Jungen geholfen und die Jungen die Älteren gepflegt. Das konnte man machen, wenn man in einem Haus wohnte – heute hat man sich von einander entfernt.
Was würdest du anders machen, Louis, wenn du noch einmal 20 wärst wie Saskia?
Louis: Wahrscheinlich würde ich das meiste wieder gleich machen. Sicher würde ich mir wieder periodisch die Frage stellen: Wie sieht deine Lebenssituation in fünf und in zehn Jahren aus? Deshalb haben wir vor vier Jahren unser Haus verkauft und sind in eine altersgerechte 3,5-Zimmer-Wohnung umgezogen.
Saskia, wie möchtest du sein, wenn du 83 bist?
Saskia: Ich möchte glücklich auf mein Leben zurückblicken und mich an viele schöne Beziehungen mit Menschen erinnern können. Und ich möchte so gesund sein wie Louis. Ich denke (blickt zu ihrem Grossvater), es kann eine sehr schöne Phase des Lebens sein, wenn man nicht mehr arbeiten muss, um Geld zu verdienen, aber arbeiten kann – vielleicht auch ehrenamtlich, weil man will und darin einen Sinn sieht, ohne dass es rentieren muss.
1928-1945*
Generation (Baby) Boomer sind die Jahrgänge
1945-1964*
Ich bin ü50, was bin ich? Gen X? Manchmal Gen Strange…
Finde mich in vielen Aussagen wieder wie ich absolut dagegen bin.
Z.b. CO2 und Klima. Man wusste es und es wurde darüber berichtet, man hat’s nicht ernst genommen.
Oh und Hinweis:
Ich finde der Titel ist irreführend. Louis hat die „verweichlicht“ Aussage nicht gemacht sondern pflichtet ihr bei. Just in solchen Interviews ist es wichtig keine Aussagen zu machen sondern fragen zu stellen.
Auch keine suggestiven wie „findsch nid au Gen Z blablabla…“