Erstaunlicherweise wurde erst eines der beiden neuen Videos mit Xavier Naidoo, die um Pfingsten auf YouTube platziert wurden, von YouTube umgehend wieder gesperrt. Nämlich «Ich mach da nicht mit». Das andere mit dem Titel «Heimat» ist bis jetzt, Stand 25. Mai, noch nicht entfernt worden. Bloss ruft das eine offensiv zum Widerstand gegen den Staat auf, während das andere Coronaskepsis und ultrakonservatives Gedankengut unter dem Mantel einer Kirchentagsmelodie zersäuselt.
Was wir in den letzten Jahren von Naidoo mitbekamen war: Dass er das Klima nicht bedroht sieht; dass er nicht an Schulmedizin glaubt; dass er Homosexuelle für Pädophile hält; dass er radikal gegen Merkels Flüchtlingspolitik ist; dass er mit den sogenannten Reichsbürgern sympathisiert und auch gern an deren Veranstaltungen auftritt; dass er sein Handy ausschaltet und in Alufolie packt, wenn er zu einer Coronagegner-Demo geht; dass er sich als Botschafter Gottes begreift und weiss, dass Amerika und Japan zuoberst auf Gottes Abschussliste stehen.
2016 hätte er für Deutschland am ESC teilnehmen sollen, doch die Proteste wurden zu gross. Damals eilten ihm Prominente in einem offenen Brief in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» zu Hilfe, zu den bekanntesten gehörte «Tatort»-Schauspieler Jan Josef Liefers, der neulich zum Sprachrohr der satirisch gemeinten, aber schwer verunglückten Corona-Aktion #allesdichtmachen wurde.
RTL trennte sich von Naidoo. Seine ehemalige Band Söhne Mannheims trennte sich ebenfalls von ihm. Andere umarmten ihn. Wie weit das Spektrum reicht, in dem sich Naidoo nun bewegt, wird an «Ich mach da nicht mit» und «Heimat» offensichtlich. Es manifestiert sich da der ganz direkte Schulterschluss zwischen Querdenkern und Neonazis. Und dies nicht in irgendeiner Nische: Auf Amazon ist «Ich mach da nicht mit» die Nummer eins bei den Alben, gefolgt vom ESC-Soundtrack.
Die beiden je acht Minuten langen «Hymnen» entstanden mit zwei unterschiedlichen, aber ideologisch verwandten Kollektiven. Das hinter «Heimat» nennt sich «Die Konferenz». Das von «Ich mach da nicht mit» heisst «Rapbellions». Rechtzeitig zu Pfingsten ergiessen die Exegeten des unheiligen Geistes nun ihre Botschaft über Deutschland.
In der «Konferenz» machen unter anderen mit: Der Verschwörungstheoretiker Oliver Janich, der libertäre Mediziner und ehemalige AfD-Politiker Heinrich Fiechtner, der Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausstellt, oder die Bremer Band Kategorie C, die zur rechtsextremen Hooliganszene gehört. Sänger Hannes Ostendorf, der in «Heimat» zu sehen ist, war 1991 am Brandanschlag auf ein Bremer Flüchtlingsheim beteiligt. Im Fan-Shop von Kategorie C finden sich etwa Baseballschläger mit der Aufschrift «Gute Reise», «Deutsche Jungs» oder «Antifal halts Maul».
Im «Heimat»-Video sehen wir «Lockdown sofort beenden»-Transparente, deutsche Berge, deutsche Burgen, deutsche Helden und immer wieder Kinder, die es zu beschützen gilt. Die Frage: «Wie viel Platz ist in einem Boot?», hängt in der Luft, ein «gemeinsamer Feind» muss besiegt werden, «der letzte Widerstand mit Fackeln und Flammen» wird geleistet, die Impfproblematik klingt in «versenke jeden deiner eingeimpften Zweifel im Meer» an.
Naidoo verortet das Ganze mit dem Zitat «dieser Weg wird nicht leichter, der wird steinig und schwer» dann auch noch selbstreferentiell in seiner eigenen Vergangenheit, als die Songs halb so lang, aber richtig gut waren. «Heimat» ist eine süsslich-pathetische Mobilmachung konservativer Kräfte. Das Vorspiel quasi.
«Ich mach da nicht mit» ist dann die alles andere als indirekte Aufforderung zur Gewalt. Da wird gejagt, bewaffnet und vernichtet, alle sind «Schafe» oder «Sklaven» eines «Satans». Und 30 Jahre nachdem Hannes Ostendorf ein Bremer Flüchtlingsheim angezündet hat, wird im Video zu «Ich mach da nicht mit» ein – ins Bild montierter – Brandanschlag auf ein echtes Bremer Impfzentrum verübt. So dreist muss man erst einmal sein.
Während bei der Konferenz einige bekannte Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubige mitmachen, sind die 17 Rapper, die mit Naidoo Rapbellions bilden, eher aus der 7. oder 8. Liga, also weit weniger prominent. Nur der antisemitische Verschwörungsrapper Ukvali («Killuminati») ist in beiden Kollektiven mit dabei.
Dafür sind die Texte von «Ich mach da nicht mit» umso kruder: «Das geht mir alles gegen den Strich/ die Impfkampagne ist ein Fick/ erst der Stich, dann der Chip/ wer mitmacht, ist nicht ganz dicht», heisst es bei Twaine. Stimmt, der Chip fehlte noch. «Diese Fake-Pandemie lässt die Menschheit verdummen», singt Yannick D, und Scep verlangt: «Mach Alarm! Bewaffne dich! Vernichte den tiefen Staat!»
Naidoo fährt derweil als Prediger unter Palmen auf dem Velo durchs Bild und singt den Refrain: «Ich mach da nicht mit/ es kann gar nicht sein/ euer Gift kommt niemals in unsere Körper rein/ die Geschwister und ich, wir wagen den Schritt/ wir machen da nicht mit.»
Nachdem YouTube «Ich mach da nicht mit» nach kürzester Zeit gesperrt hatte, zog die Karawane weiter auf die Plattform Odysee.com. Dorthin also, wo sich bereits ein paar verwandte Seelen tummelten. Etwa Jordan Peterson, der Lieblingspsychologe (rechter) weisser Männer. Oder der YouTuber und MAGA-Anhänger Elijah Schaffer, der am 6. Januar beim Sturm auf das Capitol dabei war. Auf Odysee lässt sich Rapbellions nun beweihräuchern. Und auf Amazon. Und auf dem Querdenker-Kanal «Fakten Frieden Freiheit». Und unter den ganzen Influencern hinter «Heimat».
Am Ende ist es ganz einfach: Der Körper, der sich niemals impfen lassen will, und die Heimat, in deren Boot kein Platz mehr ist, verschmelzen bei Naidoo und seinen Geschwistern auf beängstigende Weise zu einem Brandbeschleuniger. In Form eines aggressiven, abwehrbereiten und in allem selbstgerechten Volkskörpers.
Würde sogar noch 10 Franken via Crowdfunding beisteuern wenn wir diese Leute dann los sind.
Klar kann man nun über manche Massnahme wettern, ja manches war/ist evtl. zu restriktive und als Impfgegner von der Stange fuchteln weil es quasi zum Zwang wird.
Aber diese Artikulation ist doch einfach nur noch „Birreweich“ und zeugt von schwerem Realitätsverlust in der eigenen Blase.
Was diese Pandemie alles nach oben spült aus der Klasse „Flacherdler“ ist etwas erschreckend.