«Schatz, die Migros hat dieses Kindershampoo gar nicht», sagt der Mann, der inmitten von Deos und Seifen im Laden steht. Er hat seine Frau am Telefon und starrt auf einen Einkaufszettel. Innerhalb der letzten zwanzig Minuten hat er sie schon drei Mal angerufen. Jedes Mal hat sie ihm eine genaue Wegbeschreibung zu einem bestimmten Regal gegeben. Auch dieses Mal. Und Überraschung: Das besagte Kindershampoo gibt’s in der Migros sehr wohl.
Kaum ist der Mann zu Hause, sagt sie mit einem tiefen Seufzen: «Das nächste Mal erledige ich den Einkauf besser gleich selbst.» Worauf er erwidert: «Tut mir leid, du kannst das eben einfach besser als ich.» Der Satz klingt nach einem Kompliment. Oder will der Mann einfach sichergehen, dass er in Zukunft nicht mehr den Wocheneinkauf erledigen muss?
Das Beispiel ist frei erfunden, könnte sich aber genau so zugetragen haben, glaubt man den in letzter Zeit zahlreich geteilten Erfahrungsberichten von Frauen auf Social Media. Für sie ist der Fall klar: Männer drücken sich vor unliebsamen Aufgaben, indem sie sich dabei absichtlich dumm anstellen. «Strategische Inkompetenz» lautet der Begriff, der sich online für dieses Verhalten etabliert hat.
Als Beweis für ihre These teilen Frauen haarsträubende Videos. Ein Beispiel: Eine Frau öffnet den Geschirrspüler, den zuvor ein Mann befüllt haben soll. Zu sehen sind Teller und Schüsseln, die sich übereinanderstapeln, sodass sich nach dem Spülgang das dreckige Wasser in ihnen sammelt. Das Besteck wurde sorglos in ein Fach geworfen. Auch hier tropft Dreckwasser von Löffeln.
@abbiezemaitis Last time I let a man do the dishes #fyp #foryoupage #pleaseexplain #lordhelpme #dishes #cleaning #why ♬ original sound - abbiezemaitis
«Das ist das letzte Mal, dass ich einen Mann das Geschirr machen lasse», schreibt die Urheberin unter das Video, das daraufhin über 160’000 Mal auf Tiktok geteilt wird. Ob es real oder gestellt ist, lässt sich nicht sagen. Klar ist: Solche Videos sagen viel über die Wahrnehmung von Beziehungen aus.
Johanna Degen ist Paartherapeutin und Professorin für Sozialpsychologie an der Europa-Universität Flensburg und beobachtet die Diskussionen rund um «strategische Inkompetenz» mit Interesse, aber auch Sorge. Natürlich gebe es Männer, die ihre Hilflosigkeit missbrauchen, um sich Aufgaben entledigen zu können.
Aus ihrer Erfahrung als Paartherapeutin weiss sie jedoch, dass dies überhaupt nicht der Standardfall ist. «In der Realität ist die männliche Hilflosigkeit oftmals das Produkt einer komplexen Beziehungsdynamik», sagt Degen.
Aufschluss gibt der Ursprung des Begriffs «strategische Inkompetenz». «Interessanterweise kommt er in der Psychologie vom Konzept der ‹erlernten Hilflosigkeit›», sagt Degen. Erlernte Hilflosigkeit bedeutet, dass man verlernt hat, seinem eigenen Handlungsvermögen zu vertrauen. Das passiert beispielsweise dann, wenn man nach einer Aufgabe völlig willkürlich eine Belohnung oder eine Bestrafung erhält – oder sogar immer bestraft wird. Diese Dynamik endet in Passivität.
Man nehme das Anfangsbeispiel des Mannes, der das Shampoo im Laden nicht findet. Er könnte Angestellte danach fragen oder selbst entscheiden. Aber vielleicht hat er das in der Vergangenheit bereits gemacht und trotzdem das falsche Produkt nach Hause gebracht. «Etwas, das jedem passieren könnte, bei der schieren Menge an Produkten, die es inzwischen gibt», wirft Degen ein.
Die Partnerin aber wirft ihm an den Kopf: «Nicht einmal den Einkauf kriegst du hin!» Diese Abwertung ist ebenfalls ein bekanntes Muster unter Frauen, die sich Anerkennung für Ihre Arbeit wünschen und gleichzeitig ihre Domäne verteidigen möchten. Sie kritisieren mitunter alles, was anders oder schlicht vom anderen gemacht wird. Um das Shampoo geht es dabei im Grunde gar nicht.
Der Mann lernt aus diesem Verhalten jedoch: Egal was ich tue, ich werde mit Abwertung bestraft. Wieso also noch weiter versuchen? Gleichzeitig ist er vielleicht aber auch froh darüber, den Einkauf zukünftig nicht mehr erledigen zu müssen. So mischt sich erlernte Hilflosigkeit mit strategischer Inkompetenz. Für Degen ist klar: Zu dieser negativen Beziehungsdynamik haben beide beigetragen.
Auch Frauen bedienen sich der strategischen Inkompetenz. Gemäss Degen tun sie das oft bei traditionell «männlichen» Aufgaben, etwa beim Autoreifenwechseln, Velopumpen oder Reparieren des Internetanschlusses. Die Geschlechterrollen lassen diese Dynamik also nicht unberührt.
Es ist jedoch nur vermeintlich eine bequeme Position für jemanden, wenn die eigene To-do-Liste immer kürzer wird, weil der Partner oder die Partnerin Aufgaben übernimmt. Schlussendlich schadet es dem eigenen Ansehen, wenn das Gegenüber einen als inkompetent wahrnimmt. Degen sagt:
Was also tun, um diese Dynamik zu durchbrechen? «Man muss sich hinsetzen und auf Augenhöhe darüber sprechen, was das eigentliche Problem ist», sagt Degen. Aus Erfahrung weiss sie, dass es nämlich nie um ein Shampoo geht, sondern um Anerkennung und Wertschätzung, die sich beide wünschen, aber nicht geben. «Am besten wäre es, wenn wir uns alle gegenseitig mehr loben und im Alltag wahrnehmen würden.»
Es braucht jedoch auch gegenseitige Zugeständnisse. «Er verspricht beispielsweise, wirklich nur noch dann nach Hilfe zu fragen, wenn es wirklich sein muss.» Und sie solle versuchen, ihm Aufgaben ganzheitlich und eigenständig zu überlassen.
Denn: «Alleinerziehende Väter können Kindershampoo kaufen. Sie sind nicht hilflos», sagt Degen. Strategische Inkompetenz und erlernte Hilflosigkeit seien also keine Frage des Geschlechts. Könne man die darunterliegenden Probleme lösen, könne man dann auch wieder über ein falsches Shampoo lachen, statt in einen Streit zu verfallen. (aargauerzeitung.ch)
Lasst uns doch besser nochmal Liebe machen statt einander Geschlechterstereotypen an den Kopf zu werfen. JedeR hat Stärken und Schwächen. Eine Paarbeziehung auf Augenhöhe und schon werden die Ämtli dementsprechend und dennoch gleichmässig verteilt.