Dass die wenigsten Patienten mit Long Covid von den Krankenkassen Unterstützung erhalten und auch nicht von allen Ärztinnen und Ärzten ernst genommen werden, hat vor allem damit zu tun, dass es für die Krankheit noch keinen eindeutigen Marker im Blut gibt. Es existiert also kein sicherer Beweis, um die Krankheit zweifelsfrei zu diagnostizieren. Das ändert sich gerade.
Eine US-Studie um die Studienleiterin Akiko Iwasaki ergab schon im August, dass die Betroffenen nur ein rund halb so hohes Level an Cortisol im Blut haben, wie dies bei Gesunden der Fall ist. Das Hormon wird von den Nebennieren gebildet und hemmt im Körper Entzündungen. Ausgeschüttet wird es stärker morgens und am geringsten in den frühen Nachtstunden.
Vor allem aber wird Cortisol bei Stress produziert. Griechische Forschende skizzieren nun in der neusten Ausgabe von «Clinical Immunology», wie Stress und Long Covid zusammenhängen könnten. Sie halten es für unwahrscheinlich, dass das Zusammenspiel von Nebennieren und Gehirn, die sogenannte Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA), infolge der Coronainfektion aus der Balance gerät. Sie stützen sich dabei aber nur auf eine Studie mit 40 Personen, die an Corona starben und keine Zellschäden an den Nebennieren aufwiesen.
Die Autoren vermuten viel mehr, dass diese Achse schon vor der Infektion gestört war: Anhaltender Stress und somit eine ständige Ausschüttung des Hormons könnte dazu führen, dass Cortisol seinen entzündungshemmenden Effekt aufs Immunsystem verliert und im Blut schliesslich in geringerer Menge nachweisbar ist. Dabei ist das Hormon zumindest in der akuten Phase von Sars-CoV-2 normalerweise erhöht.
Bei einer Infektion wie mit Sars-CoV-2, die überall im Körper zu Entzündungen führen kann, wäre zu wenige Cortisol verheerend. Dazu passt eine Studie der amerikanischen Harvard T.H. Chan School of Public Health, die zeigte, dass psychologischer Stress vor der Infektion das Risiko für Long Covid deutlich erhöht.
Ebenfalls passt zu dieser These, dass die Ärztinnen und Ärzte in den Long-Covid-Sprechstunden wie die deutsche Medizinerin Jördis Frommhold schon seit langem berichten, ihre Patientinnen und Patienten seien auffallend häufig Personen, welche privat wie auch beruflich viel von sich verlangen würden und einen ausgefüllten Terminkalender hätten. Auffallend viele Berichte gibt es von betroffenen Leistungssportlern, aber auch von Müttern.
Eine eher überraschende These für ein erhöhtes Risiko für Langzeitsymptome zeigte eine US-Studie über Rheumapatienten. Long-Covid-Betroffene hatten demnach weniger Antikörper gegen das Spike-Protein von Sars-CoV-2 im Blut – dafür aber mehr Antikörper gegen einen der harmlosen Coronavirus-Stämme, die als Erkältungsviren schon lange kursieren.
Die Forschenden mutmassen, dass eine starke Erinnerung des Immunsystems an ein altes Coronavirus verhindern kann, dass das Immunsystem spezifisch auf das neue Coronavirus reagiert. Dies ist die sogenannte «Antigen-Erbsünde», eine Prägung, durch die das Immunsystem zuerst auf schon bestehende ähnliche Antikörper zurückgreift.
So kann es zwar schneller reagieren, aber weder sehr spezifisch noch gelingt es ihm, viele neue, spezifische Antikörper herzustellen. Dieser Effekt könnte auch Schuld dafür sein, dass neue Coronaimpfstoffe nicht besser wirken: Das Immunsystem wurde durch drei vorangehende Impfungen stark auf das Wuhan-Ursprungsvirus geprägt. (aargauerzeitung.ch)