Die Schwedin Ninja Thyberg ist 37 Jahre alt und dreht seit 12 Jahren Filme. 2021 lief ihr erster Spielfilm «Pleasure», ein böses Märchen aus der Pornobranche von Los Angeles, nicht nur am Zurich Film Festival, sondern auch in Sundance, wo sie vom Fleck weg von einem grossen Hollywood-Studio für das Remake von «The Witches of Eastwick» (1981 mit Cher, Jack Nicholson, Susan Sarandon und Michelle Pfeiffer verfilmt) engagiert wurde. Ich habe Thyberg am ZFF in einem Zürcher Hotel getroffen.
Wenn ich nicht Journalistin bin, schreibe ich Romane. Bei einer Lesung fragte mich neulich ein Mann: «Erregt es Sie, wenn Sie Sexszenen schreiben?» Ihr Film «Pleasure» behandelt Alltag, Aufstieg und Desillusionierung einer jungen Schwedin in der amerikanischen Pornobranche. Sie haben dafür mit Pornoprofis gearbeitet. Müssen Sie sich derartige Fragen oft anhören?
Haben Sie die beiden Typen gesehen, die mich vor Ihnen interviewt haben? Ihre erste Frage war: «Erzählen Sie uns alles über Ihre Besessenheit mit Pornografie.» Und dann fragten sie mich, ob ich beim Dreh nicht oft am liebsten mitgemacht hätte. Ob es hart war, dieser Versuchung zu widerstehen.
Da haben sie aber stark ihre eigenen Fantasien auf Sie projiziert.
Ja. Und ich dachte mir: Okay, ich muss den beiden jetzt eine halbe Stunde lang gegenübersitzen und alles geben, damit sie am Ende etwas Sinnvolles schreiben. Es war seltsam. Auch, dass sie zu zweit waren. Ich habe mich gefragt, ob einer allein auch gewagt hätte, mir solche Fragen zu stellen. So war ich jünger, kleiner und allein. Eine ideale Zielscheibe. Die Fragen zeugen auch von einem sehr traditionellen Kunstverständnis: Wenn Frauen etwas machen, wird es immer als persönlich wahrgenommen, als eine Art hochemotionales Tagebuch.
«Pleasure» ist ganz klar nicht Ihr Tagebuch. Sondern das Ergebnis von langen, gründlichen Recherchen in der Pornobranche. Waren Sie in sehr jungen Jahren nicht Anti-Porn-Aktivistin?
Als ich 16 war, wollte ich alle Pornografie zerstören, abschaffen, ich ging demonstrieren und wurde verhaftet, Pornografie war der Erzfeind, den ich ausrotten wollte. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wie.
Und was führte zu Ihrem Meinungsumschwung?
Es war ein langer Weg. Als ich mich damit auseinanderzusetzen begann, wollte ich auch darüber reden. Ständig. Aber alle wichen mir aus. Das war frustrierend. Nach ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass ich viel zu viel Zeit damit verbracht hatte, die Frauen im Pornobusiness als Opfer zu betrachten. Entmenschlicht. Zum Objekt gemacht. Und das beeinflusste auch meine Selbstwahrnehmung: Alle Männer waren Raubtiere, ich war ihre potentielle Beute.
Wie haben Sie den Ausweg aus dieser Geschlechterdepression gefunden?
Ich merkte, dass ich dringend positive Bilder von weiblichem Begehren brauchte. Ich fragte mich, ob Unterwerfung in einem sexuellen Zusammenhang notwendigerweise schlecht sein musste. Ich begann, mich mit feministischer Pornografie zu beschäftigen. Zuerst hielt ich das für einen Widerspruch: War Pornografie nicht automatisch eine Herabwürdigung der Frau? Doch je länger ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass ich mich weniger auf die Probleme als auf deren Lösung fokussieren musste. Ich wollte dazu beitragen, dass Pornografie neue Bilder findet, mit denen Frauen sich wohl fühlen können. Und so kam ich zum Film. Ich war Teil einer feministischen Pornofilm-Community. Wir machten also unsere kleinen Projekte – und hatten dabei weiterhin Mitleid mit den Frauen im Mainstream-Porno-Business.
Das ja bekanntlich ungeheuer gross ist. Wenn ich mich auf eine Mainstream-Plattform wie Pornhub begebe, sehe ich dort Abertausende von Videos mit den immergleichen Geschlechterbildern. In 99 Prozent der Fälle ist die Frau die Unterworfene. Und da ich nicht hinter die Fabrikation dieser Bilder sehe, weiss ich nicht, wie gut dieser Teil der Branche mit Frauen umgeht.
Ja, genau! Ich dachte mir, okay, dieses Feld ist riesig und ich will es verstehen. Und ich will die Leute dahinter verstehen lernen. Ich war damals seit zwei Jahren an der Filmschule, absolvierte zusätzlich Gender Studies an der Universität und arbeitete über Pornografie. Ich las radikale Feministinnen wie Andrea Dworkin, queere Feministinnen wie Judith Butler und die grosse schwedische Feministin Petra Östergren. Und so kam es 2013 zum Kurzfilm «Pleasure», einer kleinen, frühen Vorstudie meines gleichnamigen Spielfilms.
Sie beleuchten darin die Hintergründe eines Pornodrehs. Sie kannten viele Filme, viel Theorie, aber was war mit den Menschen dahinter?
Ich war sehr an ihnen interessiert! Aber meine Recherche beschränkte sich auf Dokfilme und Bücher über sie. Dann war mein Kurzfilm da und erhielt irrsinnig viel Aufmerksamkeit, ich reiste nach Sundance und Cannes und sagte allen, dass ich die wahren Menschen hinter den Pornoklischees zeigen wollte. Die ich nie getroffen hatte und über die ich nichts wusste.
Das klingt nach Hochstapelei.
Ich fühlte mich auch so. Aber das Interesse war so riesig, dass ich wusste, mein Thema trifft einen Nerv und ich muss damit weitermachen.
Hat sich denn aus der Branche jemand bei Ihnen gemeldet?
Nein. Auch, weil der Film total unrealistisch war. Ich stellte darin die schwedische Pornobranche dar – die es so aber gar nicht gibt. Ich projizierte auf Schweden, was ich über Amerika wusste. Das wurde mir aber erst klar, als ich in der Hälfte der Arbeit war. Danach schwor ich mir, es jetzt noch einmal und richtig zu machen. Ich reiste nach Los Angeles und schaffte es, nach und nach das Vertrauen der Leute aus der Pornoindustrie zu gewinnen.
Und was lernten Sie? War es ganz anders als das, was Sie sich für Ihren Kurzfilm ausgedacht hatten?
Ganz anders. Ein Kulturschock. Zuerst musste ich mich mit der amerikanischen Geschlechter-Ideologie auseinandersetzen, die so ganz anders ist als die europäische. In Schweden sind wir sehr idealistisch: Rollenbilder sind per se patriarchal strukturiert und ein Problem, weshalb wir uns die perfekte Gesellschaft am liebsten genderneutral vorstellen. Im amerikanischen Mainstream-Porno gilt es nicht als Makel, das traditionelle Modell von männlicher Überlegenheit und weiblicher Unterwerfung zu umarmen, auch weil man darin Vorteile sieht: Männer müssen dominant sein, das ist Teil ihrer Rolle als Ernährer und Verteidiger der Familie. Zeichen ihrer Stärke, ihrer Kompetenz. Ein nicht dominanter Mann vermag seine Frau nicht zu befriedigen. Weder sexuell noch finanziell.
Das sollen wir also sehen. Aber wie übersetzt sich diese Ideologie auf die Arbeit selbst?
Hinter den Kulissen geschah erstaunlich oft das Gegenteil. Die Frauen kamen zum Dreh und wollten Hengste. Und die Männer wollten alles ganz weich, zart, warm und kuschlig. Die weiblichen Pornstars sind wahnsinnig stark. Ich hatte gedacht, dass ich mehr über das Patriarchat wüsste als sie. Dabei wissen sie mehr, als ich jemals davon verstehen werde. Sie machen sich keine Illusionen und haben gelernt, damit umzugehen.
Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein.
Es gab Drehs, da waren alle superfreundlich und sehr nett und ich fühlte mich geehrt, dass sie den Sex, den sie hatten – leidenschaftlicher, heftiger, sexy Sex, den sie total genossen – mit der Welt und mit mir teilen wollten. Es war eine Feier der Chemie zwischen zwei Menschen, ihrer Körper und ihrer Anziehungskraft. Sowas kann ungeheuer schön sein. Andere Drehs waren schrecklich. Da sah ich junge, verängstigte Frauen, die ausgebeutet wurden.
Das klingt nach einem schmalen Grat zwischen Genuss und Missbrauch.
Es gibt beides und alles dazwischen. Wenn wir über Pornografie sprechen, dürfen wir nicht den Fehler machen, sie zu vereinheitlichen. Da geschieht viel Gutes. Und viel Schlechtes. Rassismus und Kapitalismus sind leider auch sehr bestimmende Grössen. Alles Schlechte, was in meinem Film zu sehen ist, hat seine Wurzeln in der Profitgier der Pornoproduzenten. Geld regiert. Und wenn man mit einem männlichen Publikum und seinen Fantasien über die Unterwerfung junger, verletzlicher Frauen Geschäfte machen will, ist es logisch, dass dabei Frauen ausgebeutet werden. Gerade, wenn man derart ausschliesslich und intim mit dem eigenen Körper arbeiten muss, wird es gefährlich, wenn Profit die ganze Motivation hinter der Arbeit ist und nicht etwas Konstruktiveres.
Ich habe einen riesigen Respekt vor dieser Art von Arbeit. Braucht es nicht sehr viel Mut, sich derart auszusetzen?
Ja, aber nur, wenn man wieder diesen Opferblick aufsetzt. Für mich sind die Frauen in der Pornoindustrie Soldatinnen. Sie müssen sich mit unendlich viel Scheisse herumschlagen und werden stärker und stärker und stärker. Mental sind sie viel stärker als jeder andere Mensch, dem ich schon begegnet bin.
Wieso haben Sie eigentlich nicht mit einem Intimitätscoach zusammengearbeitet, wie das aktuell jede Netflix-Produktion tut, in der nackte Haut vorkommt?
Weil es das noch gar nicht gab! Ich versuchte, diesen Job selbst zu übernehmen und eine Freundin, die inzwischen ein Intimitätscoach geworden ist, hat mir dabei geholfen.
Gibt es sowas heute eigentlich bei einem Pornodreh?
Nein. Das wäre seltsam. Das sind ja alles Intimitätsprofis. Der Job der Coaches besteht darin, normalen Schauspielerinnen und Schauspielern die Angst vor möglichst echt aussehenden Sexszenen zu nehmen. Beim Pornodreh haben die Leute echten Sex. Und Nacktheit ist normal. Meine Hauptdarstellerin, Sofia, hat mich zum Eingewöhnen zu einigen Pornodrehs begleitet. Irgendwann vergisst man, dass so viele Leute auf dem Set nackt sind, man sieht ihre Nacktheit nicht mehr.
Sofia Kappel ist ja keine Pornodarstellerin, sondern eine normale Schauspielerin. Wie hat sie das erlebt?
Sofia selbst war beim Dreh jeweils von der Hüfte abwärts angezogen und nur oben ohne. Als wir zu drehen begannen, kam immer, wenn eine Szene fertig war, jemand vom Kostüm-Department gerannt und hat sie in einen Bademantel gepackt oder ihr ein Shirt über den Kopf gezogen, um ihre Brüste zu verstecken. Sie sagte: «Lasst das, so komm ich mir erst recht exponiert vor!» Im Versuch, ihr alles so angenehm wie möglich zu machen, wurde überhaupt erst ein Problem geschaffen.
«Pleasure» läuft ab dem 13. Januar im Kino.
Kleiner Denkanstoss für Death to the patriarchy hier: Sie soll doch mal die Lohndiskrepanz zwischen weiblichen und männlichen Pornodarstellern recherchieren dann sieht sie mal einen realen "wage gap" und nicht so wie sie sich vorstellt.
Herzlichen Glückwunsch Feminismus. Ich dachte immer, ihr wollt auch Männer die weich sind und weinen können?
Hach, woke Feministinnen und ihr Gerede...
Das Interview ist sehr einseitig. Männer verdienen in diesem Business viel weniger Geld, und müssen auch einiges leisten - z.B auf Kommando kommen.