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Sisi und kein Ende: Die schöne Kaiserin boomt auf Netflix und im Kino

Corsage
Kaiserin Elisabeth trägt Trauer: Verstorben ist ihre Schönheit. Vicky Krieps in «Corsage».Bild: ascot elite
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Wie oft hatte Sisi ausserehelichen Sex? Die Kaiserin boomt im Kino und auf Netflix

Die Wiener Regisseurin Marie Kreutzer liefert mit dem Film «Corsage» die bisher aufregendste Annäherung an die Kaiserin. Und redet mit uns am Zurich Film Festival per Zoom über deren Mythos.
01.10.2022, 18:3603.10.2022, 12:37
Simone Meier
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40 Zentimeter Taillenumfang. Damit verblüffte Kaiserin Elisabeth (1837–1898) alias Sisi, und das tat sich im Sisi-Film «Corsage» auch die Schauspielerin Vicky Krieps an. Um sich einmal so richtig wie Sisi zu fühlen, die schöne Kaiserin, die so lang wie möglich jung bleiben wollte. Sisi war sportsüchtig und essgestört und beschloss mit 40, ihr Gesicht nie mehr in der Öffentlichkeit zu zeigen. «Corsage» setzt in Sisis 40. Jahr ein.

Marie Kreutzer (Regie und Drehbuch) liefert eine wunderschön gefilmte, intensive und zuweilen an Horror grenzende Fantasie über eine komplizierte Frau, die fliehen will. Die ihr Gefängnis einer Popikone des 19. Jahrhunderts zu sprengen versucht. Sie hat Verbündete, wie den exzentrischen Bayernkönig Ludwig, und andere, die sie nach Belieben unterwerfen kann. Spurenelemente von Masochismus und Sadismus sind allgegenwärtig, und bizarrere Szenen einer Ehe als die zwischen Sisi und Franzl hat man selten gesehen. Der schöne Gespenstersoundtrack von Soap & Skin u.a. macht aus dem Ganzen einen traurigen Traum.

Die Schweiz hat einem Mädchen als Vorbildfigur Heidi zu bieten. Österreich Kaiserin Elisabeth. Wie war es für Sie als Österreicherin, mit Sisi aufzuwachsen?
Sisi war für mich reiner Touristenkitsch, die war nie prägend. Ich bin mit Heidi aufgewachsen, ich durfte ganz wenig fernsehen, aber ich durfte immer die Heidi-Zeichentrickfilme schauen.

Das klingt nicht gerade, als hätten Sie sich zur Sisi-Regisseurin berufen gefühlt.
2016 war ich mit Vicky Krieps auf Promotour für einen anderen Film und sie fragt mich: «Wollen wir nicht einen Film über Kaiserin Elisabeth machen?» Ich fragte nur: «Warum?» Das hat mich überhaupt nicht interessiert. Aber irgendwie ist die Idee in meinem Kopf hängen geblieben.

Marie Kreutzer
Die Wiener Regisseurin und Drehbuchautorin Marie Kreutzer.Bild: Pamela Russmann

Sie haben sich für die Jahre 1877 und 1878 entschieden. Das sind nicht unbedingt die Jahre, die wir aus der Sisi-Mythologie kennen. 1877 wurde Sisi 40.
Mir war klar, wenn ich einen Film mit Vicky mache, kann es weder um die 20- noch um die 60-jährige Sisi gehen. Und als ich begann, über sie zu recherchieren, merkte ich, dass ich über die 40-Jährige und ihre Zeit am wenigsten Ahnung habe. Was mich faszinierte, war, dass zu jener Zeit viele kleine Akte der Rebellion in ihr aufflammten, das hat mich schliesslich überzeugt. Mein Thema wurde: der Widerstand einer Frau gegen die Erwartungen. Das ist zeitlos. Das kennen wir alle.

Mit ihrem 40. Geburtstag wurde Sisis Widerstand gegen das Altern radikal. Sie zeigte ihr Gesicht nicht mehr in der Öffentlichkeit und liess sich nicht mehr porträtieren. Fotografien hatte sie damals schon länger verboten.
Sie hatte sich dem Schönheitsdiktat lange unterworfen, sie hatte ihre Rolle als die schöne Kaiserin geradezu übererfüllt. Nach ihrem 40. ging sie nur noch verschleiert vor die Tür, man hat ihr Gesicht bis zu ihrem Tod zwanzig Jahre später nicht mehr gesehen.

Trailer zu «Corsage»

Sie haben auch das Drehbuch geschrieben. Wie sind Sie da mit Facts und Fiction umgegangen?
Vieles im Film ist frei erfunden, vieles verdichtet, einiges ganz nah an der Historie dran. Sie hat tatsächlich einen Reitausflug nach England gemacht, sie war tatsächlich kurz an der Militärakademie, ihr vierzigstes Jahr muss ein spannendes Jahr gewesen sein. Und der Satz «ein Mensch von vierzig Jahren löst sich auf» ist ein Originalzitat. Vieles musste ich erfinden, weil man es nicht weiss: Wie die alle miteinander gesprochen haben, wie sie sich verhalten haben. Manchmal weiss ich nicht mehr, was historisch stimmt und was ich erfunden habe.

Ihre Sisi verstösst einen möglichen Liebhaber und hat höchst eigenwilligen Sex mit ihrem Ehemann. Wie akurat ist die Darstellung von Sexualität in «Corsage»?
Ich habe mit einer Historikerin über Sisis angebliche Affären gesprochen und sie sagte etwas, was mich sehr prägte und was Sisis ganze Einstellung zur Sexualität in meinem Film formte. Sie sagte, sie glaube nicht, dass Sisi wirklich Affären hatte. Es gab damals keine Verhütungsmittel, auf die man sich verlassen konnte, und jede Frau, die eine aussereheliche Beziehung hatte, musste mit der Möglichkeit einer Schwangerschaft rechnen. Für eine Kaiserin von einem anderen Mann schwanger zu werden, war undenkbar. Eine Abtreibung wäre in ihrer Position ebenfalls sehr schwierig gewesen. Und eine Schwangerschaft innerhalb der Ehe wollte sie sich in ihrem Alter nicht mehr zumuten.

Empress Elisabeth of Austria. Emil Ronging 1823-1886, photographer Copyright: xpiemagsx pievienna24052022-33687 ACHTUNG AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT
Fotografie der 30-jährigen Kaiserin Elisabeth am Tag ihrer Krönung zur Königin von Ungarn am 8. Juni 1867.Bild: www.imago-images.de

Haben Sie die Frau, für die Sie sich früher nicht interessierten, im Lauf Ihrer Arbeit lieben gelernt?
Was sich durchzieht durch alle Biografien, ihre Tagebücher, Gedichte, Briefe, ist diese Melancholie, dass sie sehr viel gegrübelt hat, sehr schlau war und unbedingt ganz viel wissen wollte, sich ganz viel angelesen hat. Ich habe sie insofern lieben gelernt, weil sie durch die Beschäftigung für mich zum komplexen und widerständigen Menschen wurde, das hat mich sehr angesprochen. Wenn man nur die Klischees wiederholt, hat man das Gefühl, dass sie eine wahnsinnig eitle Person war. Das war sie ganz sicher, aber sie hatte auch ihre Gründe dafür.

Es gab im 19. Jahrhundert die Gleichzeitigkeit von Queen Victoria und Kaiserin Elisabeth. Die eine definierte sich über die Macht, die andere über die Schönheit. Victorias Körper wurde auf eine ganz normale Art alt, zum Schluss war sie diese füllige Matrone, was allerdings völlig egal war, denn je älter sie wurde, desto mehr Respekt hat sie genossen. Sisi hingegen war zur Schönheit verdammt.
Ja, genau. Politische Macht hat man ihr nie zugestanden. Im Film zeige ich, wie es der Kaiser ein Leben lang bereut, dass er ihre Einmischung in die Beziehung zu Ungarn zugelassen hatte, weil ihm dies danach ewig vorgehalten wird. Das war ihm eine Lehre. Das Einzige, was sie durfte, war, zu repräsentieren.

1887: Queen Victoria of Great Britain (1819 - 1901). (Photo by Alexander Bassano/Spencer Arnold/Getty Images)
Queen Victoria, 1887.Bild: Hulton Royals Collection

Während Sie also an «Corsage» arbeiteten, ploppten im deutschsprachigen Raum all diese anderen Sisi-Projekte auf. 2021 eine Sisi-Serie auf RTL, 2022 eine Sisi-Serie auf Netflix, 2022 der Roman «Sisi» von Karen Duve und bald auch noch der Kinofilm «Sisi & ich» von Frauke Finsterwalder. Wurde Ihnen da nicht kurz schlecht? Und wie erklären Sie sich den Sisi-Boom?
Ich kann's bis jetzt nicht beantworten, es gibt ja kein Sisi-Jubiläum. Leichte Panik kriegte ich einzig beim Projekt von Frauke Finsterwalder, weil ich dachte, zwei deutsch-österreichische Koproduktionen über die gleiche historische Persönlichkeit werden niemals beide gefördert. Es ging aber gut und ich freue mich drauf.

«Die Kaiserin» heisst die neue Sisi-Serie auf Netflix. Sie konzentriert sich auf die medialen Lieblings-Sisi-Jahre, also auf die junge Kaiserin und ihre junge Liebe. Im Gegensatz zu «Corsage» bringt «Die Kaiserin» keine neue oder inspirierende Perspektive auf Sisi, dazu ist der Sechsteiler zu konventionell erzählt, auch die scharfzüngige Qualität von «The Crown» fehlt gänzlich. Die alten «Sissi»-Filme waren dagegen bei allem Kitsch interessanter.

Damit die Seelennöte eines Spät-Teenagers ohne Hobby am Hof zu Wien nicht allzu fad sind, wird mit einer kräftig dazuerfundenen Portion «Les Misérables» und «Babylon Berlin» abgeschmeckt. Ausstattung und Kostüme tun, was sie tun müssen, und überblenden einige Schwächen des Drehbuchs opulent, natürlich kann man sich das anschauen. Devrin Lignau ist eine formidable Sisi, aber bei sehr, sehr ernsthaft geäusserten Sätzen wie «Ich will einen Mann, der meine Seele satt macht» jault das Abspielgerät leise auf.

Es ist ja nicht nur Sisi, es ist ja auch «The Crown», der Tod der Queen, alle Klatschgeschichten zu Meghan und Harry, welche die Welt über Gebühr faszinieren. Wonach genau suchen wir da?
Die Faszination für eine alte Monarchie, deren schlimmen Seiten wir höchstens aus Geschichtsbüchern kennen, hat damit zu tun, dass es etwas relativ Klares und Einfaches ist, was jeder versteht. Das System ist streng hierarchisch und durchschaubar. Während wir uns in der Klima- oder Energiekrise oder unter Corona ständig fragen müssen: Wo liegt eigentlich die Macht, wer entscheidet was und wieso? Wie kommt es überhaupt noch zu gewissen Entscheidungen, weshalb geschieht nicht schon längst etwas?

Hinzu kommt der Schlüssellocheffekt.
Ja. Die Leute lieben es, vermeintlich hinter die Kulissen zu schauen und sich zu sagen: Das sind ja auch nur Menschen! Während er Arbeit an «Corsage» habe ich mir oft Klatschzeitschriften gekauft, um zu sehen, was sie über Meghan Markle schreiben, weil die ja meist auf jedem Cover war, immer mit einer anderen Schlagzeile, völlig egal, Hauptsache, sie kommt vor. Da wurde jeder Schritt, jedes Wort verfolgt, und auch das bedient diese Sehnsucht nach dem allzu Menschlichen.

Karlheinz Bhm & Romy Schneider Characters: Kaiser Franz Joseph, Princess Elisabeth in Bavaria Film: Sissi AT 1955 Director: Ernst Marischka 21 December 1955 Sissi A 1955, Regie: Ernst Marischka Ka ...
Sissi! Franzl! In den 50er-Jahren prägte Romy Schneider das Bild der Kaiserin in den drei «Sissi»-Filmen von Ernst Marischka wie keine Zweite.Bild: www.imago-images.de

Das verbindet Meghan sehr direkt mit der Sisi, wie Sie sie zeigen.
Vicky Krieps sagt immer gerne: Sisi war das erste Opfer der Celebrity-Kultur. Weil sie halt auch lange dieses Bild genährt hat. Sie war eine ungewöhnliche Frau, sehr gross und schlank, sie ist sehr aufgefallen mit ihrer Taille und ihrer Frisur. Ein Look, den sie kultiviert hat. Sie galt als Stilikone. Was gleichzeitig ihr Gefängnis war.

Sie ist ja auch einen Celebrity-Tod gestorben. Vergleichbar mit John Lennon. Beide gingen aus dem Haus und wurden von einem Mann ermordet, der sich genau das zum Ziel gesetzt hatte.
Ja, genau.

Wenn ich mir Ihren Film, die alten «Sissi»-Filme oder die Netflix-Serie anschaue, sind Frauen, die auf Kosten von anderen Frauen agieren, ein zentrales Motiv. Bei Ihnen ist es Sisi, die eine Zofe regelrecht zu ihrer Leibeigenen macht. Bei Netflix und «Sissi» ist es die ewig böse Schwiegermutter, die Erzherzogin Sophie, die Sisi drangsaliert. Wie kommt es zu diesem Motiv?
Das ist das, was im Patriarchat passiert. Man kann sich als Frau nicht über einen Mann stellen, man kann sich nur über eine Frau stellen. Wie ja auch gerade wieder die Debatte um den Begriff Frau zeigt. Ob man überhaupt noch Frau sagen darf, ob eine Transfrau eine Frau ist und so weiter. Ich finde die Diskussion, die besonders von einer jungen Generation angetrieben wird, gut, ich finde, alle Geschlechter sollten gleichberechtigt leben können. Aber es ist noch nicht einmal in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt leben können sollten. Und jetzt wird das Problem schon wieder aufgesplittet: Man soll plötzlich «Frauen» mit Sternchen schreiben, aber niemand muss «Männer» mit Sternchen schreiben. Die Diskussion muss wieder einmal unter den Benachteiligten ausgetragen werden. Genau das wird auch in den Filmen gezeigt.

«Die Kaiserin» läuft jetzt auf Netflix.
«Corsage» ist ab dem 6. Oktober im Kino zu sehen.

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