Es ist so gut wie sicher: 2023 wird als wärmstes Jahr seit Messbeginn eingehen. Und der Ausstoss klimaschädlicher Treibhausgase erreicht einen neuen Höchststand. Allerdings – und das ist ein Hoffnungsschimmer – könnten die Emissionen bereits ab 2024 zurückgehen. Das hat ein Bericht der Berliner NGO Climate Analytics soeben festgestellt.
Die Chancen dafür liegen demnach bei 70 Prozent – ein Selbstläufer wird es also nicht. Zumal die Welt mit den bis anhin gemachten Klimaschutz-Zusagen auf eine Erwärmung von fast 3 Grad bis Ende des Jahrhunderts zusteuert. Das ist deutlich über dem Ziel des Pariser Klimaabkommens, wonach die Erderwärmung auf unter 2 Grad, besser 1,5 Grad begrenzt werden soll.
Unter diesen Vorzeichen startet am Donnerstag die zweiwöchige Klimakonferenz COP28 mit rund 200 Ländern. Ausgerechnet in einem Ölstaat, wo der Gastgeber, Sultan Ahmed al-Dschaber, Chef des staatlichen Ölkonzerns Adnoc, ist, der zahlreiche neue fossile Projekte plant. Das ändert aber nichts daran, dass sich in Dubai nun letztmals die Chance bietet, das Ruder noch herumzureissen. Der Schweizer Delegationsleiter Felix Wertli vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) erzählt, wie das gelingen kann – und wieso die Aussichten gar nicht so trüb sind.
Man hört praktisch nur schlechte Nachrichten zum Klima. Wie deprimierend ist das für Sie als Klimadiplomat?
FELIX WERTLI: Wir müssen der Realität ins Auge blicken: Zwar hat die Klimakonferenz in Paris eine enorme Dynamik ausgelöst. Aber wir sind nicht schnell und nicht weit genug, um die Klimaziele auch nur annähernd zu erreichen. Gleichzeitig bin ich aber überzeugt, dass es der diplomatische Weg ist, der uns weiterbringt. Alarmistische Botschaften nützen sich mit der Zeit ab. Wenn es immer nur heisst, alles sei eine Katastrophe, alles laufe schief. Das klingt nach Kapitulation.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Mir gefallen die Empfehlungen von Jim Skea, dem Chef des Weltklimarats. Er hat letzthin in einem Interview erzählt, dass sie in den IPCC-Klimaberichten darauf geachtet hätten, konstruktive Aussagen und Handlungsoptionen zu formulieren. Der Druck ist da, jetzt schnell zu handeln, keine Frage. Aber wir können es noch schaffen und haben in Dubai noch eine Chance. Aber nur, wenn die Erkenntnisse der Wissenschaft in den Verhandlungen gehört werden und sich alle Länder ihrer Verantwortung stellen, vor allem die mit hohem Ausstoss. Zudem sind klare Signale an die Wirtschaft wichtig.
Woran denken Sie?
In den erneuerbaren Energien liegt grosses Potenzial. Der Zuwachs ist schon heute enorm und die Preise sinken stark. Bis 2030 müssten die Länder den Einsatz von Erneuerbaren verdreifachen und die Energieeffizienz verdoppeln. Deshalb unterstützt die Schweiz in den Verhandlungen den Ausstieg von Gas und Öl bis 2050, von Kohle bis 2040. Wenn wir dies durchbringen, ist das ein starkes Signal an die Märkte. Das wiederum hilft, Investitionen in die richtige Richtung zu lenken. Das gute ist nämlich, dass genug Geld vorhanden ist. Noch fliesst davon einfach zu viel in die fossile Industrie, anstatt in klimafreundliche Energien. Hier besitzt die Schweiz einen wichtigen Hebel, weil sie zu den wichtigen Finanzplätzen gehört.
An der letzten Klimakonferenz wurde ein Loss-and-Damage-Fonds beschlossen, um ärmere Länder finanziell für Klimaschäden zu entschädigen. Wie kommen die Bestrebungen für eine solche Unterstützung voran?
Die gute Nachricht ist, dass die Industrieländer dieses Jahr das 100-Milliarden-Dollar-Ziel für globalen Klimaschutz wohl erstmals erreichen. Damit sollen Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel und beim Aufbau einer klimafreundlichen Wirtschaft unterstützt werden. Auch sind wir auf gutem Weg, eine Einigung beim Loss-and-Damage-Fonds zu erzielen; wo er angesiedelt sein wird, wer davon profitieren wird und auf Basis von welchem Mechanismus die Gelder verteilt werden sollen.
Wer wird wie viel in den Topf einzahlen?
Das ist eine der ungeklärten Fragen. Momentan sind die Industrieländer in der Geber-Rolle. Das Problem ist, dass Länder mit sehr grossem Treibhausgas-Ausstoss nicht verpflichtet sind, sich finanziell an den Ausgleichszahlungen zu beteiligen. Das sind zum Beispiel China, Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Denn unter dem Abkommen gehören sie trotz der inzwischen starken Wirtschaftskraft noch zu den Entwicklungsländern. Es ist klar, dass das keine faire Lösung ist – und Anpassungen erforderlich sind.
Ohne diese Länder wird es auch nicht gelingen, die Treibhausgasemissionen genügend stark einzudämmen.
Genau. Allein die USA, China und Indien sind für knapp 45 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. Die G20, also die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, für 80 Prozent. Die Schweiz wird ein unbequemer Gesprächspartner an der Klimakonferenz sein und klar dafür einstehen, dass die grössten Verursacher ihren Teil zum Klimaschutz beitragen müssen.
Die Schweiz ist selbst keine Musterschülerin im Klimaschutz. Wieso sollte ihre Forderung die anderen beeindrucken?
Die Schweiz ist ein verlässlicher und angesehener Partner in den Klimaverhandlungen. Wir befinden uns global im Mittelfeld. Das macht uns nicht zur Musterschülerin. Aber das trifft leider auf kaum ein Land zu in den Verhandlungen. Unser Vorteil an der Klimakonferenz ist, dass wir die Environmental Integrity Group leiten. Das ist die einzige Verhandlungsgruppe an der COP, in der Industrie- und Entwicklungsländer vertreten sind. Das hilft, die Spannungen zwischen diesen zwei Lagern zu entschärfen. Die Vorschläge aus der Gruppe geniessen eine hohe Glaubwürdigkeit.
Grosse Spannungen zwischen dem Westen und dem Rest der Welt haben sich mit dem Überfall Russlands und dem Nahostkonflikt akzentuiert. Ist Klimadiplomatie in einer so polarisierten Welt überhaupt möglich?
Natürlich findet die COP nicht in einem Vakuum statt, sondern mittendrin in einer komplizierten Gemengelage. Gleichzeitig gibt es kaum ein Land, das den Klimawandel nicht als Problem anerkennt. Ich bin fest der Meinung, dass die gemeinsamen Klimaziele verbindend wirken können.
US-Präsident Joe Biden wird laut der «New York Times» aber beispielsweise nicht an der Weltkonferenz teilnehmen.
Natürlich ist die Anwesenheit von Staatschefs der Länder mit grossem Ausstoss an den COP immer wünschenswert. Von den USA und China gingen zuletzt aber sehr positive Signale aus, die mir grosse Hoffnungen machen. Gerade eben haben sich oberste Vertreter dieser zwei Länder vier Tage zu Gesprächen in Kalifornien getroffen. Auch Joe Biden und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping haben sich ausgetauscht und bekräftigt, sich gemeinsam für den Kampf gegen die globale Erderwärmung einsetzen zu wollen.
Was braucht es, damit Sie die diesjährige Klimakonferenz als Erfolg bezeichnen werden?
Das Wichtigste ist, dass wir uns auf griffige Empfehlungen einigen, die für alle Länder gelten, so dass das 1,5-Grad Ziel nicht verloren geht. Dazu gehört, dass sich alle Staaten dazu bekennen, die Emissionen um 43 Prozent bis 2035 zu senken, um 60 Prozent bis 2040 – und auf Netto-Null bis 2050. Es braucht ein klares Bekenntnis zum Ausstieg aus den fossilen Energieträgern. Zufrieden werde ich am Ende sein, wenn der gemeinsame Wille im Fokus steht, das Klimaziel endlich zu erreichen. (aargauerzeitung.ch)
Da könnt ihr lange Panik schieben, Euch auf dem Lastenrad die Beine wundtreten und ehrfürchtig zuschauen, wie die Wichtigtuer an die Klimakonferenzen jetten.
Angesichts dieser Realität gibt es gerade für ein kleines Land wie die Schweiz nur eine sinnvolle Strategie: Die resultierenden Veränderungen antizipieren und sich bestmöglich anpassen.
PS: Nein, ich bin kein Erdöl-Lobbyist. Vom Erdöl sollten wir so oder so wegkommen um unsere Auslandsabhängigkeit zu reduzieren - aber das Klima werden wir damit nicht "retten".