Vielleicht vermag das nur die Popmusik: Dass sich ein Song an einer Lebensphase festklammert, dass er ganz mit ihr verschmilzt, zum Soundtrack, zum Lebensgefühl, zur Begleitmelodie, zum besten Freund wird, der Tränen trocknet oder der sie zum Fliessen bringt. Je nach seelischer Bedürfnislage.
«Nothing Compares 2 U» wurde zur Begleiterin meiner ersten beiden Lieben. Ich war damals keine eifrige, eher eine zufällige Popkonsumentin, ich fühlte mich lieber anders als die anderen, die sich natürlich auch alle anders fühlten. Feel so different. Viele um mich herum schienen für Musik zu leben, redeten in Zitaten, zogen sich an wie die junge Madonna oder Cindy Lauper oder Boy George – wir waren nicht sonderlich sophisticated auf dem sehr ländlichen Land. Es war ein Fest der schwarz-bunten Verkleidungen, und klebriges Lipgloss war die Grundierung unserer Träume.
Und dann schrieb mir der junge Mann, den ich als meine erste Liebe bezeichnete, eines Tages, dass er mit anderen im Auto irgendwohin gefahren sei, zu einem Festival oder auch einfach in die Ferien, und dass im Autoradio jetzt immer wieder dieser eine Song laufen würde. Und dass er dabei an mich denken müsse.
Nothing compares to you, schrieb er, denn damals schrieb man sich noch Briefe. Da wusste ich, dass es Liebe war. Jedenfalls von seiner Seite her. Auf meiner war ich mir nicht ganz sicher. So, wie ich in allem unsicher war. Aber in den Song verliebte ich mich sofort. It's been seven hours and fifteen days, since you took your love away. Ich lebte diesen Song, obwohl ich gar keinen Grund dazu hatte, aber ich war in einem Alter, in dem man die Liebe grundsätzlich als etwas Schwieriges betrachtet, als Melodram, bevor sie überhaupt begonnen hatte.
Verlassen zu werden war quasi die logische Konsequenz von Liebe, schliesslich war der Tod auch die logische Konsequenz vom Leben. Ich wusste, dass ich den Mann verlassen würde. Und sei es nur, um einen Schmerz zu empfinden, wie ihn Sinéad O'Connor besang. Sinéad, die Zarte, Fragile, der kahlgeschorene Kopf so verletzlich wie ihr Song-Ich, die Augen so riesig wie jene von Winona Ryder, die auch zu einer Ikone jener Zeit wurde, alles so wund und sich wundernd über die Härte der Welt.
Ich lernte jede Klage und jede Mikroaggression in ihrer Stimme auswendig. Und ich verfiel ihrem Videoclip, wie sie in schweren Doc Martens und einem wehenden schwarzen Mantel durch einen Park mit traurigen Skulpturen geht, wie sie weint, es war reinste und ausnahmsweise eine sehr weibliche Post-Teenage-Angst, weit weg von all den Girls who wanna have fun, es tat so gut. Endlich Unglück. Ich kaufte ihr Album. Auf Kassette natürlich, diesem fragilsten aller Tonträger. Hauchdünn, stets zur Verwirrung tendierend, stets gefährdet, quasi die Sinéad O'Connor unter den Speichermedien.
Das Album hiess «I Do Not Want What I Haven't Got», was natürlich Quatsch war, denn fast in jedem Song ging es ums Gegenteil, um die Sehnsucht nach einem Menschen, den man gerne zurück hätte. Ich weiss nicht mehr, wie oft ich meine erste Liebe verlassen habe, nur um sie dann wieder zurückzuwollen, man ist brutal, wenn man jung ist.
Und dann kam die zweite erste Liebe. Eine junge Frau. Sie verliess mich für einen Mann und wollte mich wieder zurück und verliess mich wieder für eine Frau und so weiter, sie verhielt sich so kompliziert wie ich mich zuvor.
Eines Tages stand ich ganz alleine in meinem Zimmer, legte Sinéad ein, die Kassette war längst dünngespielt und knisterte, ich stand da, blinzelte in die Sonne und sang so laut ich konnte, this is the last day of our acquaintance! Und dann wieder nothing compares, ich konnte mich nicht entscheiden, tell me baby, where did I go wrong? Auf dem Balkon, der über einem grünen Hinterhof hing, vertrockneten Blumen, es war genau wie bei Sinéad, immer war alles wie bei Sinéad, wenn man traurig war! Sich Sinéad zu ergeben, war wie ein reinigendes Bad in reinster und doch trotziger Melancholie.
Ihr erstes Album kann ich heute noch mitsingen, meine Mäntel waren lange sehr lang und meistens schwarz und ich liebte vernebelte Spaziergänge, die von vergammelten alten Skulpturen gesäumt wurden. Doch Sinéad hab ich aus den Augen verloren. Jetzt ist sie tot. Sie sei trotz aller Skandale, aller Behandlungen gegen ihre Depressionen und ihre Bipolarität, trotz ihrer fieberhaften Suche nach einer religiösen und sexuellen Heimat, trotz des Verlusts ihres drogensüchtigen Sohnes bis zuletzt eine laute, lustige und warmherzige Irin geblieben, schreibt einer ihrer Weggefährten im «Guardian». Das Wort «fuck» habe sie in ihren Sätzen benutzt wie andere Punkte oder Kommata.
Als ich vor vielen Jahren meinen ersten Mac kaufte, erklang beim Einschalten dieser Ton. Ich war mir sicher und bin es heute noch, dass es der erste Ton von «Nothing Compares 2 U» ist. Ein geniales Mittel, um mich von Apple-Produkten abhängig zu machen. Und um mich bis ans Ende meiner schreibenden Tage an Sinéad O'Connor zu erinnern.
Danke Simone Meier für diese wunderbare Ode an meine Muse im Teenager Alter.