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Sinéad O'Connor: Nothing Compares 2 U war wie die erste Liebe

SINEAD O'CONNOR in NOTHING COMPARES, 2022, directed by KATHRYN FERGUSON. Copyright Field of Vision. Credit: Field of Vision / Album
Sinéad O'Connor spielt einen Kugelfisch.Bild: www.album-online.com
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Sinéads Lied war wie die erste Liebe. Endlich Unglück

«Nothing Compares 2 U» ist einer der Songs, die zum Soundtrack einer Lebensphase werden. Ein paar persönliche Erinnerungen.
27.07.2023, 13:5827.07.2023, 16:09
Simone Meier
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Vielleicht vermag das nur die Popmusik: Dass sich ein Song an einer Lebensphase festklammert, dass er ganz mit ihr verschmilzt, zum Soundtrack, zum Lebensgefühl, zur Begleitmelodie, zum besten Freund wird, der Tränen trocknet oder der sie zum Fliessen bringt. Je nach seelischer Bedürfnislage.

«Nothing Compares 2 U» wurde zur Begleiterin meiner ersten beiden Lieben. Ich war damals keine eifrige, eher eine zufällige Popkonsumentin, ich fühlte mich lieber anders als die anderen, die sich natürlich auch alle anders fühlten. Feel so different. Viele um mich herum schienen für Musik zu leben, redeten in Zitaten, zogen sich an wie die junge Madonna oder Cindy Lauper oder Boy George – wir waren nicht sonderlich sophisticated auf dem sehr ländlichen Land. Es war ein Fest der schwarz-bunten Verkleidungen, und klebriges Lipgloss war die Grundierung unserer Träume.

MINNEAPOLIS, MN. - APRIL 1988: Irish pop and rock singer and musician Sinead O'Connor at a press conference at the Luxeford Hotel in downtown Minneapolis, Minn., Tuesday, April 12, 1988. (Photo b ...
Wie wir uns in sie verliebten. Sinéad O'Connor mit 22.Bild: Star Tribune

Und dann schrieb mir der junge Mann, den ich als meine erste Liebe bezeichnete, eines Tages, dass er mit anderen im Auto irgendwohin gefahren sei, zu einem Festival oder auch einfach in die Ferien, und dass im Autoradio jetzt immer wieder dieser eine Song laufen würde. Und dass er dabei an mich denken müsse.

Nothing compares to you, schrieb er, denn damals schrieb man sich noch Briefe. Da wusste ich, dass es Liebe war. Jedenfalls von seiner Seite her. Auf meiner war ich mir nicht ganz sicher. So, wie ich in allem unsicher war. Aber in den Song verliebte ich mich sofort. It's been seven hours and fifteen days, since you took your love away. Ich lebte diesen Song, obwohl ich gar keinen Grund dazu hatte, aber ich war in einem Alter, in dem man die Liebe grundsätzlich als etwas Schwieriges betrachtet, als Melodram, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

SINEAD O'CONNOR in NOTHING COMPARES, 2022, directed by KATHRYN FERGUSON. Copyright Field of Vision. Credit: Field of Vision / Album
In Jeans mit sehr viel Kniefreiheit.Bild: www.album-online.com

Verlassen zu werden war quasi die logische Konsequenz von Liebe, schliesslich war der Tod auch die logische Konsequenz vom Leben. Ich wusste, dass ich den Mann verlassen würde. Und sei es nur, um einen Schmerz zu empfinden, wie ihn Sinéad O'Connor besang. Sinéad, die Zarte, Fragile, der kahlgeschorene Kopf so verletzlich wie ihr Song-Ich, die Augen so riesig wie jene von Winona Ryder, die auch zu einer Ikone jener Zeit wurde, alles so wund und sich wundernd über die Härte der Welt.

«Nothing Compares 2 U»

Ich lernte jede Klage und jede Mikroaggression in ihrer Stimme auswendig. Und ich verfiel ihrem Videoclip, wie sie in schweren Doc Martens und einem wehenden schwarzen Mantel durch einen Park mit traurigen Skulpturen geht, wie sie weint, es war reinste und ausnahmsweise eine sehr weibliche Post-Teenage-Angst, weit weg von all den Girls who wanna have fun, es tat so gut. Endlich Unglück. Ich kaufte ihr Album. Auf Kassette natürlich, diesem fragilsten aller Tonträger. Hauchdünn, stets zur Verwirrung tendierend, stets gefährdet, quasi die Sinéad O'Connor unter den Speichermedien.

Kurt Cobain of Nirvana with wife Courtney Love and daughter Frances Bean Cobain, and Sinead O'Connor (Photo by Ke.Mazur/WireImage)
Unter Freunden: mit Kurt Cobain, Courtney Love und ihrer Tochter Frances.Bild: WireImage

Das Album hiess «I Do Not Want What I Haven't Got», was natürlich Quatsch war, denn fast in jedem Song ging es ums Gegenteil, um die Sehnsucht nach einem Menschen, den man gerne zurück hätte. Ich weiss nicht mehr, wie oft ich meine erste Liebe verlassen habe, nur um sie dann wieder zurückzuwollen, man ist brutal, wenn man jung ist.

Und dann kam die zweite erste Liebe. Eine junge Frau. Sie verliess mich für einen Mann und wollte mich wieder zurück und verliess mich wieder für eine Frau und so weiter, sie verhielt sich so kompliziert wie ich mich zuvor.

Sinead O'Conner in her concert at the Warfield Theater, San Francisco, Calif. Tuesday night August 12, 1997.(Contra Costa Times/Jon McNally) sinead 1(Digital First Media Group/Contra Costa Times  ...
1997 im Winona-Rider-Look.Bild: MediaNews Group RM

Eines Tages stand ich ganz alleine in meinem Zimmer, legte Sinéad ein, die Kassette war längst dünngespielt und knisterte, ich stand da, blinzelte in die Sonne und sang so laut ich konnte, this is the last day of our acquaintance! Und dann wieder nothing compares, ich konnte mich nicht entscheiden, tell me baby, where did I go wrong? Auf dem Balkon, der über einem grünen Hinterhof hing, vertrockneten Blumen, es war genau wie bei Sinéad, immer war alles wie bei Sinéad, wenn man traurig war! Sich Sinéad zu ergeben, war wie ein reinigendes Bad in reinster und doch trotziger Melancholie.

Sinead O'Connor, performing on stage, Ahoy, Rotterdam, Netherlands, 30th October 1990. (Photo by Niels van Iperen/Getty Images)
Bei einem Auftritt 1990 in Rotterdam.Bild: Hulton Archive

Ihr erstes Album kann ich heute noch mitsingen, meine Mäntel waren lange sehr lang und meistens schwarz und ich liebte vernebelte Spaziergänge, die von vergammelten alten Skulpturen gesäumt wurden. Doch Sinéad hab ich aus den Augen verloren. Jetzt ist sie tot. Sie sei trotz aller Skandale, aller Behandlungen gegen ihre Depressionen und ihre Bipolarität, trotz ihrer fieberhaften Suche nach einer religiösen und sexuellen Heimat, trotz des Verlusts ihres drogensüchtigen Sohnes bis zuletzt eine laute, lustige und warmherzige Irin geblieben, schreibt einer ihrer Weggefährten im «Guardian». Das Wort «fuck» habe sie in ihren Sätzen benutzt wie andere Punkte oder Kommata.

Als ich vor vielen Jahren meinen ersten Mac kaufte, erklang beim Einschalten dieser Ton. Ich war mir sicher und bin es heute noch, dass es der erste Ton von «Nothing Compares 2 U» ist. Ein geniales Mittel, um mich von Apple-Produkten abhängig zu machen. Und um mich bis ans Ende meiner schreibenden Tage an Sinéad O'Connor zu erinnern.

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quelle: ap / rusty kennedy
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38 Kommentare
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DartVaidder
27.07.2023 14:39registriert Oktober 2016
Wunderschön geschrieben, geht direkt ins Herz!
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Macca_the_Alpacca
27.07.2023 14:46registriert Oktober 2021
Wieder einer dieser ganz grossen Würfe von Prince. Er schrieb das Lied für seine Band "The Family" und veröffentlichte es 1985. Es war ein Flop. Erst die Veröffentlichung mit Sinéad O'Connor machte es zu einem Welthit. Später sang er das Lied auch selber und es wurde inzwischen in mehr als 20 Versionen gecovert unter anderem von Rosie Gaines, Gunvor Guggisberg, den Wiener Sängerknaben, Aretha Franklin, Nikka Costa (einer der Musen von Prince).
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Mira Bond
27.07.2023 16:51registriert Oktober 2016
Treffender und poetischer geht nicht: "Die Kassette ist die Sinead O'Connor der Speichermedien."

Danke Simone Meier für diese wunderbare Ode an meine Muse im Teenager Alter.
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