Was macht man, wenn die Kindheitsidole erwachsen werden – und plötzlich sterben?
Anfang 2010 One-Direction-Fan zu sein, war für mich mit viel Scham verbunden. Ein 12-jähriges Mädchen, das kitschige Popmusik von fünf Schönlingen hört? Gibt's ein grösseres Klischee? Wahrscheinlich nicht. Trotzdem bin ich zu meinem Directioner-Dasein gestanden. Und das will etwas heissen, denn kaum etwas war für mich mit 12 Jahren so wichtig, wie cool zu sein. Und seien wir ehrlich: One Direction zu hören, hat einem nicht besonders viel Street-Credibility gegeben. Darum hab ich auch immer noch einen Eminem-Song zwischen «Stockholm Syndrome» und «Rock Me» gepackt.
Heute, mit 25 Jahren, ist mir Street-Credibility nicht mehr ganz so wichtig. Und die Frage «Für welches Konzert würdest du so viel ausgeben wie die Swifties?» kann ich mit voller Überzeugung mit «One Direction» beantworten. Als dann vor einigen Wochen das Internet anfing, über Liam Payne – mein Lieblings-Mitglied von One Direction – zu diskutieren, wurde mir mulmig.
So hat die Ex-Verlobte von Liam, Maya Henry, ein TikTok gepostet, in dem sie ihm schlimme Vorwürfe macht. Er soll in ihrer Beziehung manipulativ gewesen sein und sie bis vor kurzer Zeit «obsessiv kontaktiert» haben. Online begann daraufhin ein regelrechter Shitstorm. Fans filmten sich dabei, wie sie Liams Bilder von der Wand nahmen, oder stellten klar, dass sie sowieso mehr Niall-Fan gewesen seien und schon immer gewusst hätten, dass Liam Dreck am Stecken hatte. Überrascht hat mich das nicht: Das Internet ist so dumm, wie es brutal ist. Ich kann aber auch nicht behaupten, dass mich die Hass-Videos gar nicht verunsichert haben.
Es wäre schliesslich nicht das erste Mal, dass jemand aus Hollywood hinter der Fassade ein Arsch ist. Im Gegenteil, ich frage mich seit der Oscar-Ohrfeige von Will Smith, ob man heute überhaupt noch Fan sein sollte. So ist es nichts Überraschendes mehr, wenn plötzlich der Lieblingsschauspieler seine Ex beschuldigt, dass sie ihm aufs Bett gekackt hat oder der Musiker, den man seit Jahren hört, laut seinen Kollegen ein Pädophiler sein soll. Oder eben: das Lieblings-One-Direction-Mitglied, mit dem man seine Jugendzeit verbracht hat, seine Ex-Verlobte gestalkt haben soll.
Liam Payne (One Direction).
— CHOQUEI (@choquei) October 16, 2024
1993 - 2024 pic.twitter.com/M9RRY7xPrg
Also wirklich: Sollte man heutzutage noch Fan sein? Und: Wie geht man damit um, wenn die Kindheitshelden eben keine Helden sind? Ist man wütend? Behauptet man, dass man sowieso wusste, dass alle Promis scheisse sind? Ist man traurig? Oder akzeptiert man den Fakt, dass eben auch die Lieblingspromis nur Menschen sind?
Der falsche Umgang damit ist es aber sicher, online Hass zu verbreiten. Bereits im Dezember sprach Liam Payne darüber, dass er mit Drogenmissbrauch zu kämpfen hat. In den letzten Wochen wurde auch klar, dass er durch seine angeblichen Texte an seine Ex-Verlobte mental angeschlagen war.
Versteht mich nicht falsch: Promis für ihr Fehlverhalten zu kritisieren und zur Verantwortung zu ziehen, ist wichtig und richtig. Sich aber auf das Niveau von Cyber-Mobbing herunterzulassen und Promis plötzlich mit Hass zu überschütten, ist nicht die Lösung.
Anlaufstellen für Opfer von Mobbing im Internet
Falls du Opfer von Mobbing im Internet bist oder jemanden kennst, der oder die Opfer von Mobbing im Internet sein könnte, bieten sich folgende erste Anlaufstellen an: Die Dargebotene Hand oder die Fachstelle Mobbing. Sind Jugendliche oder Kinder von Mobbing im Internet betroffen, gibt es die Möglichkeit, sich an Pro Juventute zu wenden oder die Elternberatung.
Dass Maya ihre Geschichte erzählt hat, ist weiterhin das Richtige gewesen. Ob aber TikTok dafür die richtige Plattform war – und ob die Öffentlichkeit allgemein der richtige Ort ist, um solche Geschichten zu behandeln –, bin ich mir nicht sicher. Hass im Internet ist kein Witz und Maya und jeder andere Beteiligte an den Hassnachrichten darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Maya jetzt aber die Schuld an Liams Tod zu geben, ist auch wieder nur ein Beweis von Ignoranz, die nur das Internet hervorbringen kann. Und ja, das tun Fans unter ihrem Video tatsächlich.
Ich komme aber vom Thema ab. Wieso ich diesen Text schreibe, ist vor allem, weil ich traurig bin und ich mich komisch dabei fühle, traurig zu sein. Trotz meines treuen Directioner-Herzens habe ich schliesslich Liam Paynes Solo-Musik nicht wirklich verfolgt und mein Alltag wird sich auch nicht verändern durch seinen Tod. Ich sitze auch gerade nicht heulend vor dem Laptop.
Aber trotzdem bin ich traurig. Traurig darüber, dass Liam Payne tot ist, traurig darüber, dass er vor seinem Tod so viel Hass erleben musste, traurig darüber, dass ein Kind seinen Vater verloren hat und traurig darüber, dass die One-Direction-Reunion, auf die ich so geduldig gewartet habe, nun an der Beerdigung von einem der Mitglieder stattfinden wird.