Es war also: nichts. Keine Stars, keine Dankesreden, kein roter Teppich, keine TV- oder Online-Übertragung, keine Presse, kein Champagner. Eine tristere Zeremonie hat man noch nie gesehen. Nicht einmal letztes Jahr, als die Golden Globes in die Wohnzimmer der Stars zoomen mussten und man diese in Pyjamas statt Roben sah. Das hatte so seinen handgestrickten «Leben zu Zeiten von Corona»-Charme. Jetzt hatten die Stars die Golden Globes boykottiert und liessen sich auch per Zoom nicht blicken.
Der Hollywood-Reporter der «Süddeutschen Zeitung», der unbehelligt im Beverly Hilton Hotel in Los Angels zugegen war, wo Mitglieder der Hollywood Foreign Press Association (HFPA) die Preise vor weiteren HFPA-Mitgliedern und ein paar zugewandten reichen Leuten ins grosse Nichts dieser Nacht hinaus verteilten, beschreibt die Stimmung so: «Ach herrje, was für eine trostlose Veranstaltung, Jahresfest der Immobilienmakler oder was?»
Conan O'Brian hatte am Freitag auf Twitter gefragt: «Wenn ein Baum im Wald einen Golden Globe gewinnt und nicht im Fernsehen kommt – hält er dann trotzdem eine peinliche Rede?»
If a tree wins a Golden Globe in the forest but it’s not televised, does it still make an embarrassing speech?
— Conan O'Brien (@ConanOBrien) January 7, 2022
Wir werden nie wissen, ob Will Smith, Nicole Kidman oder Jeremy Strong nicht doch heimlich vor ihrem Badezimmerspiegel eine kleine Rede hielten und sich dabei selbst zuschauten. Denn wie alle Stars waren auch sie nicht im Beverly Hilton. Zu unbeliebt hatte sich die HFPA in den letzten zwei Jahren gemacht. Und viel zu hastig hatte sie auf Kritik mit einer Notfallpflästerli-Politik reagiert.
Die HFPA feiert 2023 ihren 80. Geburtstag, sie wurde 1943 mit dem Ziel gegründet, Hollywood zu einer grösseren internationalen Aufmerksamkeit zu verhelfen, besonders die kulturdurstigen Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre in Europa kamen da gerade recht. In Hollywood ansässige ausländische Journalistinnen und Journalisten sollten das Evangelium des amerikanischen Films in der Welt verbreiten.
Zum Dank durften die Mitglieder der HFPA Jahr für Jahr kurz vor den Oscars die Besten aus Film und Fernsehen auszeichnen. In einer Feier, die eher einer Party als einer Zeremonie glich, Alkohol floss in Strömen, angeschickerte Stars verloren öfter die Kontrolle über ihre Reden, es war ein Klassentreffen und die TV-Übertragung war ein Erfolg.
Und dann kam die Krise. Und sie hiess nicht nur Corona. Die HFPA war bestechlich (die Netflix-Serie «Emily in Paris» etwa ermöglichte den Mitgliedern schöne Paris-Reisen). Die HFPA war rassistisch (2021 war kein einziges von 90 Mitgliedern schwarz und ein ehemaliger HFPA-Präsident nannte Black Lives Matter eine «rassistische Hass-Bewegung»). Die HFPA war sexistisch (Scarlett Johansson beklagte sich bitter über die Behandlung von Schauspielerinnen durch HFPA-Mitglieder).
Hier gehts zu restlos allen Gewinnerinnen und Gewinnern.
Tom Cruise schickte seine drei Golden Globes zurück. Netflix gab bekannt, sie würden die HFPA, die derart hinter allen von Netflix vertretenen Werten hinterherhinke, nicht mehr «unterstützen» (also bestechen?). NBC blies die TV-Übertragung ab. Die Nominierten boykottierten das Event.
Und dabei hatte sich die HFPA – darunter aus der Schweiz Marlène von Arx und Henry Arnaud – doch solche Mühe gegeben! Hatte bereits 2021 kniefälligst die Globes für beste Regie und besten Film an Chloe Zhao für «Nomadland» verliehen. Und damit an die sagenhaft ZWEITE Frau in der ganzen Golden-Globe-Geschichte! Und erst noch eine Asiatin! Weitere vier Preise waren an drei schwarze Schauspieler und eine schwarze Schauspielerin gegangen! Und das war alles noch nicht Signal genug gewesen?
Hollywood blieb stur und lenkte nicht ein. Inzwischen hat die HFPA einen schwarzen «Diversity Officer» eingestellt, und von 21 neuen Mitgliedern sind sechs schwarz. Und sie haben mit Jane Campion und ihrem unschwer queer lesbaren «The Power of the Dog» erneut einer Frau die Preise für die beste Regie und den besten Film gegeben. Und mit Will Smith einen schwarzen Darsteller und mit MJ Rodriguez eine schwarze trans Darstellerin ausgezeichnet.
Falsch ist an den diesjährigen Besten selbst nichts. Nicole Kidman hat ihren fünften Golden Globe gewiss verdient. Und Kate Winslet ihren vierten. Und dass «Succession» nach einem Jahr Coronapause quasi zum zweiten Mal hintereinander zur besten Drama-Serie gekürt worden ist, mag nur gaaaanz leicht fantasielos klingen – fantastisch ist sie eh.
Verkündet wurden die überraschungsarmen Preise via Tweet – man hat von Trump gelernt – und da waren so viele peinliche Schnitzer dabei (das tränenselige Melodram-Musical «West Side Story» wurde mit der Emotion «Lachen» assoziiert), dass mehrere wieder gelöscht werden mussten.
Falsch an der diesjährigen Bestenwahl ist, dass sie nicht einfach ausgesetzt wurde, bis die HFPA in Ruhe zu einer neuen Formation und klaren Zielen gefunden hat. Aber Aussetzen war keine Möglichkeit. Denn die NBC überträgt zwar nichts, bezahlt aber trotzdem ein paar Millionen an die HFPA, schliesslich ist diese nicht vertragsbrüchig geworden. Ohne das Geld könnte sie sich gleich auflösen. Vielleicht wäre dies auch nicht das Schlimmste.
Die Preistragenden sind jetzt die Leidtragenden. Die, die noch für ein paar Jahre mit dieser Nullveranstaltung aus dem Schäm-Ecklein assoziiert werden, obwohl sie nichts für das Fiasko können. Und wie soll man mit den heurigen Auszeichnungen guten Gewissens die bitter nötige Werbung machen können, wenn sich die Macherinnen und Macher dahinter nicht darüber freuen? Etliche Gewinnerinnen und Gewinner strafen die Golden Globes 2022 auf ihren Social Media Accounts mit Nichtachtung ab.
Nur Arnold Schwarzenegger und Jamie Lee Curtis waren sich nicht zu schade, in kurzen Einspielern die marode Organisation ihrer Wertschätzung zu versichern. Wieso sie das getan haben, weiss kein Mensch. Vielleicht war's ja Bestechung.
Der Award-Zirkus zieht weiter: Baftas (13. März) Critics Choice Awards (auf unbestimmte Zeit verschoben), Oscars (27. März).