Schaut man sich an, was Juho Könkkölä aus einem einzigen Blatt Papier faltet, schüttelt man zuerst ungläubig den Kopf. Diese Figuren sind so detailliert, dass sie unmöglich aus Papier sein können. Aber genau das sind sie: Figuren aus nichts anderem aus Papier, die mit ihrem komplexen und doch simplen Aussehen weit mehr Emotionen vermitteln als so manche Action-Figur.
Was der junge Finne über Monate plant und faltet, ist wahre Kunst. Dabei hat er selbst seine Arbeit lange nicht als solche angesehen. Warum das so war und was die Arbeit als Origami-Künstler beinhaltet, hat er im Gespräch mit watson erzählt.
Juhos Leidenschaft für Origami startete bereits, bevor er in den Kindergarten ging. «Ich habe mein erstes Origami gefaltet, noch bevor ich richtig lesen konnte», erinnert er sich. Er habe damals ein Magazin durchgeblättert, in dem ein sehr simples Origami-Katzengsicht abgebildet war. Zwar habe er es nicht geschafft, dieses nachzufalten, aber die Herausforderung habe sein Interesse geweckt. «Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass ich mir etliche Origami-Bücher aus dem örtlichen Buchbus ausgeliehen habe.» Zu diesem Zeitpunkt war Juho acht Jahre alt. Seither sei er süchtig danach geworden, Dinge aus Papier zu falten. Sein Ehrgeiz, immer komplexere Modelle zu falten, habe ihn angetrieben.
In den folgenden Jahren faltete sich Juho durch immer schwierigere Figuren. Irgendwann waren selbst die komplexen Modelle bekannter Origami-Meister*innen keine Hürde mehr für ihn. Doch mit diesem Erfolg schlich sich auch erstmals so was wie Ernüchterung in seine Arbeit. Juho liebte Origami noch immer, gleichzeitig fand er aber keine Befriedigung mehr darin, einfach immer nur die Modelle anderer nachzufalten. Schliesslich wagte er den Schritt und entwarf erstmals ein eigenes Modell.
«Mein erstes eigenes Design habe ich im Februar 2018 fertiggestellt.» Wie schwierig so ein eigener Entwurf ist, zeigt sich, wenn Juho aus heutiger Sicht über seine erste Figur spricht: «Wenn ich mir das Modell heutzutage anschaue, bin ich immer noch beeindruckt, wie ich so eine detaillierte Figur hinkriegen konnte – obwohl mir das theoretische Verständnis fehlte, das ich heute habe.»
Was Juho mit dem fehlenden theoretischen Verständnis meint, zeigt sich, als er uns erklärt, wie er an so ein Origami-Modell herangeht. Von der ersten Idee bis zum fertigen Modell brauche es sehr viel Planung. Bis zur fertigen Figur können so schnell auch mal mehrere Monate vergehen.
«Das Meiste der Planung läuft ohne Entwurfszeichnungen oder Skizzen ab. Normalerweise visualisiere ich alle Merkmale und Elemente der Figur komplett in meinem Kopf. Anschliessend bringe ich diese Elemente als Layout auf eine quadratische Fläche. Auf diese Art visualisiere ich, wie das Papier über die Gliedmassen verteilt ist und wo es sich in der endgültigen Form befindet.»
«Das Layout wird dann vervollständigt, indem ich alle Teile mit notwendigen Faltungen verbinde, damit die quadratische Fläche zu einer Figurenform gefaltet werden kann. Nach diesem Prozess plane ich die feineren Details an den Stellen, an denen ich etwas zusätzliches Papier übrig gelassen habe.»
Erst wenn Juho diesen Design-Prozess gemacht hat, geht er erstmals zu richtigem Papier über. Nun macht er eine Testfaltung, um zu sehen, wie gut der Faltprozess in der Praxis funktioniert. Während des Faltens plant und entwickelt er die Figur kontinuierlich weiter, improvisiert manchmal sogar neue Teile hinzu. «Dann repetiere ich den ganzen Design-Prozess und verfeinere ihn so lange, bis ich damit zufrieden bin und weiss, dass ich die Figur physisch falten kann.» Der Design-Prozess bewältigt Juho dabei von Hand. Erst die Linien des finalen Faltmusters zeichnet er in einem Grafikprogramm nach, damit er eine saubere Vorlage hat.
Nun kommt der finale Faltvorgang.
Trotz der wundervollen Figuren sah Juho lange keinen künstlerischen Wert in seiner Arbeit: «Viele der Origami-Modelle, die ich gefaltet habe, waren von anderen Origami-Meister*innen.» Auch, nachdem Juho seine eigenen Modelle plante und faltete, änderte das seine Sichtweise nicht:
«Die Wiederholbarkeit im Prozess verminderte die Einzigartigkeit der Figuren. Nachdem ich zum Beispiel eine Figur entworfen habe, könnte ich den Faltvorgang so oft wiederholen, wie ich wollte und alle Ergebnisse würden ungefähr gleich aussehen, weil der Faltvorgang bei allen gleich ist. Eine weitere Sache, die ihnen meiner Meinung nach keinen künstlerischen Wert verlieh, war die Tatsache, dass die meisten von ihnen eher Konzepte, Ideen oder Strukturen waren, anstatt fertige Kunstwerke.»
Die Sichtweise von Juho ändert sich erst 2020, als seine Figuren von einem Kunstmuseum in Helsinki für eine Ausstellung für Nachwuchskünstler ausgesucht werden.
«Ich beschloss, meine Herangehensweise zu ändern, wie ich meine Figuren erstelle. Ich entwickelte Nassfalttechniken, die es mir ermöglichten, den Figuren einen viel breiteren Ausdruck zu verleihen. Ausserdem verbesserte sich dadurch die technische Qualität meiner Werke, während der Prozess so kompliziert wurde, dass selbst ich ihn nicht wiederholen konnte. Das stellte meine Sicht auf die Kunstwerke komplett auf den Kopf.»
Inzwischen ist Juho bei Kunstgalerien ein gern gesehener Aussteller. Ab und zu kann er sogar eine seiner Figuren verkaufen: «Sie gehen für ein paar tausend Euro pro Stück weg. Es kommt immer etwas auf den Arbeitsaufwand an, die sie erfordert haben.»
Wer nun denkt, dass Juho jede Figur dank seiner akribischen Planung gelingt, liegt falsch. Fehlschläge gehören für Juho zum kreativen Prozess, denn jeder von ihnen habe ihn einen Schritt näher dahin geführt, wo er jetzt sei.
Insgesamt habe er drei Figuren zerrissen oder anderweitig bis zu einem unreparierbaren Zustand verunstaltet, weil er beim Falten nicht feinfühlig genug war. Später habe er diese aber alle neu gefaltet und fertiggestellt. «Schliesslich ist es ziemlich ärgerlich, mit etwas aufzuhören, an dem man zuvor monatelang gearbeitet hat.»
Seine nächste Herausforderung hat Juho bereits in Planung. Details will er uns noch nicht verraten, aber die Idee für die Figur spuke schon seit Jahren in seinem Kopf herum. Noch letztes Jahr hatte sich der Finne nicht kompetent genug gefühlt, die komplexe Figur anzugehen. Das hat sich inzwischen geändert: «Jetzt denke ich, dass ich genug Wissen über komplexe Modelle und Effizienz beim Entwerfen erworben habe, um eine realistische Chance zu haben.»
Wie hohe Ziele sich Juho mit dieser neuen Figur gesteckt hat, versucht er uns anhand eines Beispiels klarzumachen: «Schaut euch einfach eines meiner jüngeren, detailgetreuen Modelle an und verdoppelt die Komplexität.»
Doch Juho schaut auch gerne zurück. In seiner Laufbahn als Origami-Künstler gibt es einige Figuren, auf die er ganz besonders stolz ist, da sie für seinen Fortschritt bedeutsam waren. Natürlich ist da seine erste Figur «Outlaw». Sie hat den Grundstein für Juhos eigene Kreationen gelegt.
«The Lord of the Dragon» bedeutet ihm viel, weil dieses Modell in seiner Karriere einer seiner grössten Sprünge bezüglich Komplexität von Origami-Modellen dargestellt hat.
Dann gibt es da auch noch zwei Modelle der Figur «Assassin». Beide sind 2020 entstanden und sind für Juho doch so verschieden; denn die zweite Version war die erste Figur, die Juho mit seinen neu entwickelten Techniken gefaltet hat. Diese Figur habe seinen heutigen Stil definiert.
Besonders stolz ist Juho aber auf seinen Samurai, den er jüngst fertiggestellt hat: «Der Samurai war der Höhepunkt einer jahrelangen Entwicklung meiner Kunst und er verschiebt die Grenzen dessen, was aus einem einzigen Blatt Papier gefaltet werden kann. Es hat internationales Interesse an meinen Kunstwerken geweckt und eine grosse Anzahl von Menschen inspiriert, auch innerhalb der Origami-Gemeinschaften.»