Das Küssen begleitet die Menschheit seit Jahrtausenden. Ob Gute-Nacht-Küsse, Zungenküsse oder rituelle Küsse, in fast jeder Kultur kann man sich durch den Kuss auf irgendeine Art ausdrücken. Nun soll der Kuss aber vom Aussterben bedroht sein – und Schuld daran sei natürlich wiedermal dieses verdammte Handy.
Das sagt zumindest der Kommunikationswissenschaftler Hektor Haarkötter in seinem Buch «Küssen – eine berührende Kommunkationsart». So sei Küssen nichts anderes als eine Form der oralen Kommunikation, ohne dass man dabei Worte benutzt. Doch Kommunikation ist in ständigem Wandel – und somit auch das Küssen. Laut Haarkötter würde die heutige Kommunikation besonders durch die Smartphones geprägt. So fände Kommunikation vor allem Online statt. Diese Form von Kommunikation würde das Küssen immens erschweren, weil:
In seinem Buch schreibt Haarkötter jedoch auch, dass das Küssen dem Untergang geweiht ist. In einem Interview mit SRF meint er sogar, dass Küsse heutzutage «niemanden mehr interessieren». So sei man früher ins Kino, um Menschen beim Küssen zuzusehen. Dieser Reiz habe das Küssen heute verloren und auch die Küsse in Filmen würden abnehmen.
Diese These scheint jedoch auf wackligem Grund zu stehen. So faszinieren Küsse seit Anbeginn der Digitalisierung in allen verschiedenen Formen – und zwar auch heute noch.
Eines der berühmtesten Beispiele wäre hier der sozialistische Bruderkuss. Zum Bruderkuss von Leonid Breschnew und Erich Honecke kam es nach dem Abschluss eines Wirtschaftsabkommens zwischen der UdSSR und der DDR. Abgelichtet wurde der nicht-romantische Kuss am 5. Oktober 1979 von Fotografen Régis Bossu in schwarz-weiss. Heute prangt das Bild auf einem Stück der übriggebliebenen Berliner Mauer und täglich fotografieren sich dutzende von Touristen vor dem Kuss, der damals um die Welt ging.
Dasselbe geschah mit dem Kuss von den «MTV Video Music Awards 2003». Dort küssten sich die Pop-Legenden Madonna und Britney Spears auf der Bühne und gingen damit in die Geschichte der Küsse ein.
Und auch heute sorgen Küsse auf der ganzen Welt für Aufregung. So wurde dieses Bild von Taylor Swift, wie sie ihren Freund Travis Kelce nach seinem Superbowl-Sieg küsst millionenfach geteilt.
Recht zu haben scheint Haarkötter aber dabei, dass das Küssen beim Sex an Bedeutung verliert. Aber auch hier nur zum Teil. Eine Untersuchung zur Sexualität von Teenagern zeigt, dass im Zeitalter von Speed-Dating und Tinder Küssen tatsächlich weniger wichtig ist. So möchte man lieber schnell zur Sache kommen, als seine Zeit mit Küssen zu «verschwenden».
Doch, wie hat man Sex ohne sich zu küssen? Dazu hat das World Wide Web Meinungen aus beiden Extremen zu bieten. Während sich in Foren zu sexuellen Themen, viele User gegen Sex ohne Küssen aussprechen, gibt es Blogger, die dazu sogar aufrufen. So schreibt etwa die Sex-Autorin von wmn, dass es mehrere Gründe für Sex ohne Küssen gibt. Etwa, wenn der Partner erkältet ist oder die Partnerin eine Herpesblase hat.
Tatsächlich ist Küssen nicht auf der ganzen Welt verbreitet. Eine Kinsey-Studie aus dem Jahr 2015 zeigte, dass das Küssen in 168 untersuchten Kulturen nur bei 46 Prozent der Befragten als normal angesehen wird. In einigen Kulturen gilt das Knutschen sogar als «eklig».
Wirkliche Beweise, dass das Küssen auch in der westlichen Welt in naher Zukunft ausstirbt, gibt es aber nicht. Für viele scheint Küssen weiterhin ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens zu sein. So gibt es dutzende von Artikeln im World Wide Web mit Titeln wie «Warum Küssen wichtiger ist als Sex» oder «Warum Küssen uns glücklich macht».