Wer grossartige Bücher schreibt, ist selten ein richtiger Mann. Jedenfalls dachte Ernest Hemingway so. Unter den Autoren fänden sich nur verzärtelte Weicheier, bleiche Schlakse und brave Brillenträger. Keiner weit und breit, der wie Hemingway zum Macho taugte. Nur schon seine Pranken waren «so gross wie Schinken», erinnerte sich der Schriftstellerkollege Ford Madox Ford.
Eigentlich war alles zu gross an ihm für einen Mann, der sein Geld am Schreibtisch verdiente. Doch Hemingway wollte eben nicht nur auf dem Papier triumphieren. Sein Gesicht, das er gern den Fotografen präsentierte, war von vielen Fronteinsätzen, Boxkämpfen und Grosswildjagden gegerbt. Er wilderte und raufte, wo er nur konnte, posierte mit phallusartig in die Kamera gestreckter Flinte vor einer erlegten Raubkatze, brüstete sich, im Zweiten Weltkrieg 120 Nazis erledigt zu haben.
Seine Frauen behandelte er als Trophäen. Und die drei Söhne wollte er ebenfalls zu Männern ohne Wenn und Aber erziehen, zu arroganten Winner-Typen, zu seinesgleichen. Mit ihnen wollte er auf Partys prahlen können. Am meisten hoffte er auf seinen Jüngsten, Gregory oder Greg, geboren 1931, der ganz dem Vater nachschlug: breite Schultern, ein Modellathlet, dazu klug.
Greg versuchte alles, um Papa stolz zu machen, glänzte in der Schule und beim Schiesswettbewerb. Doch eines Tages überraschte ihn Hemingway im Ankleidezimmer seiner Frau Mary, der Nachfolgerin von Gregs Mutter. Da posierte Hemingways Lieblingssohn in einem gelben Frauenkleid vor dem Spiegel.
Was folgt, ist eine herzzerreissende Geschichte: Greg fühlt sich mal als Frau, mal als Mann. Er versucht alles, um dem Vater weiter zu gefallen. Hemingway betrachtet dessen Transsexualität als «Krankheit», die der Sohn bekämpfen müsse, um den Mann in sich zu retten. Als das nicht gelingt, bricht er mit Greg, der quälend lange hin- und hergerissen ist zwischen seiner Identität als Mann und jener als Frau namens Gloria.
Hemingway fürchtet um seinen Ruf, wenn ausgerechnet sein talentiertester Sohn sich in aller Öffentlichkeit als Frau verkleidet und deswegen mehr als einmal verhaftet wird. Als Gregs Mutter Pauline früh stirbt, wirft Hemingway dem Sohn vor, dessen «Abgründe» hätten sie ins Grab gebracht.
Dieser Geschichte von Greg, der immer mehr Gloria sein will, nähert sich der junge englische Autor Russell Franklin in Romanform an. «Hemingways Kind» heisst das soeben auf Deutsch erschienene Buch. Zwar handelt es sich um ein fiktionales Werk, das aber doch die vorhandenen biografischen Quellen einbezieht.
Franklin zeichnet das innere Drama von Greg Hemingway nach, der tatsächlich lange glaubt, krank zu sein, ein Mann mit einer «Störung im Gehirn», die dazu führe, dass er Frauenkleider anziehen muss. Er studiert Medizin, wird Arzt, heiratet, hat seinerseits Kinder.
Trotzdem bleibt er queer, leidet zudem unter heftigen depressiven Tiefs, die er vom Vater geerbt hat. Ernest Hemingway spricht vom «schwarzen Tier», das ihn regelmässig heimsucht und das sich nicht wie sonst ein Tier erlegen lässt. Hinzu kommt der Alkohol, auch er ein Erbstück des Vaters, der schon dem Zwölfjährigen erlaubt, sich in der Bar seiner Finca in Havanna mit Rum einzudecken, weil auch das Trinken zur Erziehung eines Mannes gehöre.
Nach dem Bruch sieht Greg den Vater jahrelang nicht mehr. Zum Wiedersehen kommt es erst, nachdem sich der Sohn endlich «wieder in Ordnung gebracht» hat. Er entschliesst sich zu einer Behandlung mit Elektroschocks, um alles in seinem vermeintlich kranken Hirn «auf null zu stellen».
Der Arzt, ein Bewunderer Hemingways, meint anerkennend, Greg müsse über die Konstitution des Vaters verfügen. Er habe alles heldenhaft überstanden. Hemingway holt den verlorenen Sohn in der Klinik ab und bringt ihn nach Hause. Doch so sehr sein «Hirn brutzelte», wie Greg sagt, ändert sich nichts an seinem Drang, eine Frau zu sein.
Bald wendet sich sein Vater erneut von ihm ab. Einmal schickt Greg ihm einen Wutbrief, in dem er alle seine Gefühle hineinwirft. Hemingway habe alle Angehörigen zu Nebendarstellern degradiert, damit er als Held gross rauskomme. Aber er sei kein Held. Greg erhält nie eine Antwort. Ein halbes Jahr später, am 2. Juli 1961, erschiesst sich der Vater, 62-jährig, mit einem Jagdgewehr.
Erst im letzten Teil seines Lebens kann sich Greg annehmen. Er hat nicht wie andere Transmenschen von Anfang an die unerschütterliche Gewissheit gehabt, im falschen Körper geboren zu sein. Doch schliesslich lässt sich Greg Hemingway, was verbürgt, operieren, heisst nun nur noch Gloria.
Der übermächtige Vater rumort weiter in Gloria, noch zwanzig Jahre nach seinem Tod. Plötzlich liest sie in seinen Büchern Stellen, die sie erschüttern. Denn einmal ist von einem Helden die Rede, dessen Geliebte ihn im Bett zu einem Tausch der Geschlechterrollen animiert.
Schon Hemingways Mutter gefiel es, so zu tun, als seien der 1899 geborene Ernest und seine Schwester Marcelline Zwillinge. Manchmal kleidete sie beide wie Jungen, manchmal wie Mädchen. Der Coiffeur musste ihnen die gleiche Frisur schneiden: Bubiköpfe mit Pony. Und beide Kinder sollten mal mit Mädchenspielsachen spielen, mal mit jenen der Jungs.
Es lässt sich nicht mehr klären, was die Mutter mit diesen geschlechtsspezifischen Experimenten genau bezweckte. Möglicherweise sollten die Kinder das Männliche und Weibliche in sich gleichermassen entdecken. Bei Ernest Hemingway wird dadurch eine Faszination für Androgynität geweckt. Er soll sich in Liebesspielen manchmal gewünscht haben, dass er das «Mädchen» sei und die Frau der Mann.
Auch in seinem unvollendeten Roman «Der Garten Eden» geht es an einer Stelle um fluides sexuelles Begehren. Die Hauptfigur ist ein Schriftsteller, der sich mit seiner Frau «verändern» und über herkömmliche Geschlechterrollen hinwegsetzen möchte. Doch am Ende ist es der Mann, dem die zunehmend unbeständige Beziehung zu schaffen macht. So dürfte es auch bei Hemingway gewesen sein: Es blieb ein reizvolles Spiel, bei dem er sich verbot, zu weit zu gehen.
Hat er aus diesem Grund seinen Sohn Greg so grausam auf Distanz gehalten, weil dessen verstörende Transsexualität dem Vater näher gegangen ist, als er oder sein Image es ertragen haben? Greg äussert diesen Verdacht, und in dem Wutbrief an den Vater nennt er diesen einmal «Ernestine».
Russell Franklin hält sich an Hemingways bekannte Maxime, dass gute Literatur wie ein Eisbrocken im Meer sei, von dem nur ein Achtel sichtbar sei – ebenso müsse auch in einem Roman das meiste verborgen, das heisst unausgedrückt bleiben und doch im Kopf der Lesenden präsent sein.
Franklins Werk gewinnt dadurch, dass er trotz des intimen Themas diskret und behutsam erzählt. Er muss den Giganten Hemingway nicht dämonisieren, um den 2001 gestorbenen Greg beziehungsweise Gloria zu neuem Leben zu erwecken. Vater und Sohn Hemingway erscheinen in dem Buch als gebrochene und dadurch lebendige Personen.
Ein vorzügliches Buch Hemingways heisst «Winner take nothing» – «Der Sieger geht leer aus». Das ist sein Erzählgeheimnis: Bei allem Macho-Getue zeigt er seine Helden immer im Angesicht der Niederlage. Seinen scheinbar immer auf Sieg gepolten Ich-Erzähler in «Fiesta» lässt er sagen: «Es ist so furchtbar leicht, am Tag über alles erhaben zu sein, aber nachts, mein Gott, ist es was ganz anderes.»
Die Nachtseiten lassen sich durch keine Triumphe und Siege verbergen. Das zeigt Hemingway in allen seinen bedeutenden Werken, und das zeigt auch Russell Franklin in seinem lesenswerten Werk über Hemingways schwierigen Sohn, der zugleich dessen Tochter wurde. (aargauerzeitung.ch)
Russell Franklin: Hemingways Kind. Roman. Aus dem Englischen von Michaela Grabinger, Verlag Kein & Aber, 459 Seiten.