Immer diese Nazis! Zum dritten Mal, im inzwischen fünften Teil der «Indiana Jones»-Reihe, treiben sie ihr Unwesen auf der Jagd nach dem titelgebenden Dial of Destiny, dem Rad des Schicksals. Eigentlich haben es Hitlers Schergen im Jahr 1944, als das Tausendjährige Reich längst kollabiert ist, auf die Lanze abgesehen, mit der Christus am Kreuz von seinen Leiden erlöst wurde.
Doch das wahre mächtige Artefakt ist die Antikythera, eine Scheibe, die der griechische Mathematiker Archimedes gebaut und vor seinem Tod in zwei Hälften gebrochen hat. Mit ihr lassen sich kalendarische Konstellationen voraussagen und durch die Zeit reisen. Das ruft den deutschen Physiker Dr. Jürgen Voller (Mads Mikkelsen) auf den Plan, der vollenden will, woran sein Führer gescheitert ist: «Die Vergangenheit gehört uns!»
Man kann die «Indiana Jones»-Filme als popkulturelle archäologische Rachefantasie an den Nationalsozialisten sehen, die Kulturschätze raubten, vereinnahmten, zerstörten. Stets fiel diese Abrechnung grausam aus: Die Bundeslade im ersten Teil «Raiders of the Last Ark» (1981) schmolz Gesichter und verbrannte die ganze Bande, der Gral in «The Last Crusade» (1989) liess den Nazi-Kollaborateur zum Skelett zerfallen.
Die Abenteuerserie ist nicht nur spektakuläre Achterbahnfahrt, sondern zugleich massentaugliches Exploitation-Phänomen. Darin werden die kolonialen Grenzen ebenso ausgelotet wie jene des für Kinder verträglichen Geschmacks. Viel Kritik musste der vierte Teil, «Kingdom of the Crystal Skull» (2008), einstecken: Erdmännchen-Gags, Aliens und vor allem die Szene, in der Indy einen Atombombenabwurf in einem Kühlschrank versteckt überlebte, liessen die Fans erschaudern. Diese vergassen aber leicht, dass die Reihe von Anfang an eine hohe Dosis Albernheit und Abstrusität innehatte.
Dagegen fällt der neue «Indiana Jones» weitaus weniger kurios und unbeschwert aus. Es ist der erste, bei dem nicht Steven Spielberg Regie führt, sondern James Mangold («Identity», «Logan»), ein Mann mit wenig eigener Handschrift, aber mit hoher Handwerkskunst. Und es ist der letzte Auftritt des 80-jährigen Harrison Ford in einer Rolle, um die sich vor allem aus der Kinderzimmernostalgie ein Kult entwickelt hat. Bei der Premiere in Cannes löste «Dial of Destiny» gemischte Reaktionen aus. Doch ein Fiasko ist das fünfte Abenteuer bei aller inszenatorischen Risikolosigkeit mitnichten geworden, eher ein typischer Actionfilm unserer Zeit.
Die Haupthandlung spielt im Sommer 1969, zu einer Zeit, als Henry Jones Junior selbst zum Relikt geworden ist. Der alte Mann befindet sich in einem schwierigen Stadium seines Lebens: Sein Vater (Sean Connery im dritten Teil) ist tot. Sein Sohn (Shia LaBeouf in Teil vier) in Vietnam gefallen. Die Ehe mit Marion Ravenwood (Karen Allen) liegt in Trümmern.
Die Studentinnen im öffentlichen Hunter College in New York klimpern nicht mehr flirtend mit den Wimpern, sondern gähnen, wenn der Professor über antike Scherben referiert. Ganz Amerika ist vom Fieber der Mondlandung ergriffen. Nur Indy ist in der Flower-Power-Zeit ein altes Eisen mit weissen, wirren Haaren.
Da braucht es eine junge, vitalisierende Kraft, die aus dem verstaubten Archäologen wieder den Abenteurer hervorlockt. Diese kommt in Gestalt von Helena Shaw, seines Patenkindes. Sie ist die Tochter von Basil (Toby Jones), der Indiana damals, 1944, bei der Jagd nach der Scheibe unterstützt hat. Nun muss die zweite Hälfte gesucht werden.
Die britische Drehbuchautorin und Schauspielerin Phoebe Waller-Bridge («Fleabag») spielt diese clevere, mit allen Wassern gewaschene Helena; sie ist das anarchische Highlight des Films, der sonst streckenweise vorhersehbar verläuft. Verfolgungsjagd reiht sich an Verfolgungsjagd, die tollste führt zu Pferde von einer Parade in den U-Bahn-Schacht. Ansonsten ist das fünfte Abenteuer routiniert konstruiert, doch mit einer Laufzeit von mehr als zweieinhalb Stunden zu lang.
Der Film, der das Zeitreisen behandelt, ist selbst eine Zeitmaschine. In die Vergangenheit ebenso wie in die Zukunft mit ihren technischen Möglichkeiten. Bei allen Szenen, die zur Nazizeit spielen, wurde das Gesicht von Harrison Ford mittels früherer Aufnahmen einem digitalen De-aging-Prozess unterworfen. Indiana Jones sieht also wieder aus wie mit 45 Jahren. Das mag noch lange nicht perfekt geglückt sein, die mangelnde Beleuchtung hilft fleissig mit, damit nicht der Eindruck entsteht, wir befänden uns in einem Computerspiel. Aber es wirkt schon ausgefeilter als bei Scorseses «The Irishman» und «Rogue One: A Star Wars Story».
«The Dial of Destiny» ist auch die Fortsetzung eines Traums, den einst Steven Spielberg und George Lucas hatten: den Abenteuerfilmen ihrer Kindheit ein Denkmal zu setzen. Die Gegenwart begegnete der Vergangenheit schon immer wie ein Grabräuber. Doch irgendwann ist jede Schatzkammer leergeplündert, wie man gerade beim oft uninspirierten, nostalgiesüchtigen Blockbusterkino unserer Zeit feststellen kann.
Ironischerweise ging es gerade bei «Indiana Jones» im Kern nie um die Schätze, die der Held ohnehin jedes Mal wieder verliert. Denn er gewinnt dafür etwas anderes: Anerkennung, Selbsterkenntnis, Erfüllung. Und auch diesmal hat Indy Frieden gefunden, mit sich, seinem Lebenswerk, seinen Liebsten. Der Filzhut kann endlich an den Nagel gehängt werden. Ob ihn die nächste Generation von Filmfreaks wirklich wieder hervorholt?
«Indiana Jones and the Dial of Destiny»: ab 29.6. im Kino.
So hat es ein Kommentar auf den Punkt zusammengefasst. lol