Schiffe voller Superreicher sind zum Untergehen bestimmt. Jedenfalls im Film. Das ist so in James Camerons «Titanic», in Federico Fellinis «E la nave va» und jetzt in Ruben Östlunds «Triangle of Sadness». Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Bei Cameron schlägt der Eisberg zu, bei Fellini die Vorwirren des Ersten Weltkriegs, bei Östlund ein Sturm plus Piraten. Und bei allen dreien wird sehr schön und befriedigend auf der Dekadenz der Passagiere herumgeritten und darauf, dass sie im Grunde nichts anderes als den Untergang verdient haben.
Doch beginnen wir am Anfang. Bei den Models und Influencern Carl (Harris Dickinson) und Yaya (Charlbi Dean). Die beiden sind ein Paar und das bringt nun das blödeste aller Paarprobleme mit: Die Modewelt ist gendertechnisch äusserst ungerecht, als Mann ist Carl weit weniger wert als die erfolgreiche Yaya, dabei wäre er doch so gerne gleichberechtigt. Kommt dazu, dass die Male-Model-Szene bei Östlund genauso doof ist wie in «Zoolander» und Carl dringend dazu rät, sich seine Fältchen über der Nase, sein Dreieck der Traurigkeit, wegbotoxen zu lassen.
Der Krach, der sich beim teuren Dinner daraus ergibt, ist schäbig, quälend, unnötig und enorm perfekt beobachtet, denn Östlund hat dabei ein weit zurückliegendes Essen zwischen ihm und seiner Frau Sina (sie ist Modefotografin und weiss alles über den Realitätsgehalt von «Zoolander») dokumentiert. Wer schon mal in einem Restaurant am Nebentisch beobachten konnte, wie sich ein Paar in einen völlig überflüssigen Konflikt hineinredete, wird aus dem beipflichtenden Nicken nicht mehr herauskommen.
Doch diese Szenen vom schwankenden Deck der Pärchenhölle sind nur der Vorspann. Der Hauptakt findet auf einer Luxus-Kreuzfahrt statt. Das Personal wird mit albernen Motivationssprüchen und dem Rat, immer ans Trinkgeld zu denken, eingeschworen, es gilt der totale Gehorsam. Yaya und Carl sind eingeladen, sie müssen bloss viele schöne Bilder posten.
Die beiden verdienen ihren Lebensunterhalt mit reiner Egozentrik, das ist im Teich der Luxuspassagiere fast noch die unschuldigste Beschäftigung. Die anderen verdienen sich ihre Exzentrik mit dem Verkauf von Dingen. Von «Shit» zum Beispiel, wie der russische Düngemittel-Monopolist seine Ware nennt.
Und der Shit schlägt zurück. Direkt und gnadenlos. Im Sturm, der sich entlädt, entäussern sich verdorbene Mägen und Toiletten fliessen über – mit einer Gründlichkeit, die man so (hoffentlich!) noch nie gesehen hat.
Es ist wie eine Wiedergeburt in absoluter Ekelhaftigkeit, zwanzig Minuten lang, aber zwei bleiben stabil: der Russe und der sonst sehr menschenfeindliche Kapitän (Woody Harrelson). Und weil der eine ein russischer Kapitalist und der andere ein amerikanischer Marxist ist, liefern sie sich über die Lautsprecheranlage ein Wortgefecht, das ebenso magisch wie manieriert ist.
Als wäre die Erkenntnis, dass sich auch unter den gefälligsten Oberflächen nichts als Scheisse verbirgt, nicht schon genug, wird das Schiff dann auch noch von Piraten zum Kentern gebracht. Im Jenseits des Sturms zählt das Kapital nicht mehr. Es findet auf einer Insel und unter gänzlich neuer Führung statt, und die Frage ist jetzt: Gelingt es dem schönen Carl, diese Führung mit allem, was er bieten kann, zu besänftigen? Ist er dank seiner Top-Fassade am Ende der wertvollste unter den Überlebenden? Gibt es jetzt endlich Genugtuung für Carl?
«Triangle of Sadness» ist eine Groteske, die lauter schiefe Ebenen in klassische Hierarchien einschleust und sie radikal aus dem Lot bringt. Im Kino ist das bis zur etwas zu einfallsarmen Inselsequenz bestechend komisch, im Nachgang allerdings doch auch latent simpel. Und wenn man bedenkt, dass Östlund damit nach seiner Kunstszene-Parodie «The Square» erneut in Cannes die Goldene Palme für den besten Film gewonnen hat, beschleicht einen das Gefühl, dass die ganze Glam-Bang-Szene sich zu Östlunds Filmen in wohlig masochistischer Selbstbestrafspiegelung suhlt.
Das Traurigste an «Triangle of Sadness» ist übrigens etwas ganz Reales. Der Tod der Hauptdarstellerin. Am 29. August stirbt die erst 32-jährige Charlbi Dean in einem New Yorker Spital an einer schweren Infektionskrankheit. Nur einen Tag, nachdem sie erste Symptome entdeckt hat. Es ist ein Schock für ihre Familie und für die «Triangle»-Crew. Als Yaya scheint sie unbesiegbar.
«Triangle of Sadness» läuft ab dem 14. Oktober in sehr vielen Schweizer Kinos.