Paolo ist fasziniert von Bärtierchen. Die winzigen achtbeinigen Organismen können in einem todesähnlichen Zustand, der Kryptobiose, jahrelang in extrem lebensfeindlichen Umgebungen überleben – selbst im Weltall. Sind die Bedingungen wieder besser, erwachen sie aus der Todesstarre. Und geben Lebenszeichen von sich, italienisch «segnali di vita».
«Segnali di Vita», so lautet auch der Titel des Films von Leandro Picarella, dessen Protagonist Paolo ist. Der Astrophysiker aus Mailand sucht auf der Flucht vor seinem eigenen Leben – eine langjährige Beziehung ist in die Brüche gegangen – die Einsamkeit. Und er findet sie in einem Observatorium in den Bergen, das wie ein Leuchtturm das kleine Dorf Lignan zuoberst im Aosta-Tal überragt. Im Spätherbst zieht Paolo als alleiniger Winterbewohner in der Anlage ein, einzig begleitet von einem halbhumanoiden Roboter namens Arturo.
Hier, abgeschieden von der Welt und den Menschen, will sich Paolo nun voll auf die Beobachtung der Sterne und seine Forschungen über aktive galaktische Kerne, Astrobiologie und Robotik konzentrieren. Doch kaum hat er mit seiner Arbeit begonnen, macht ihm ein Defekt am Teleskop einen Strich durch die Rechnung. In der Zeit bis zur Reparatur soll er nun im Rahmen des Themas «Wissenschaft und Gesellschaft» die Bewohner der Gegend zu ihren Kenntnissen der Astronomie befragen. Dabei geht es darum, die Verbreitung von wissenschaftlich nicht haltbaren Annahmen und Überzeugungen durch Fragen wie «Denkst du, dass bei Vollmond mehr Kinder geboren werden?» oder «Bestehen wir Menschen aus Sternenstaub?» zu ermitteln.
Widerwillig widmet sich Paolo dieser ungeliebten Aufgabe, die ihn dazu zwingt, mit den Dorfbewohnern in Kontakt zu treten. Zu Beginn sind diese Begegnungen wenig fruchtbar, es herrscht gegenseitiges Unverständnis. Etwa wenn Paolo auf seine Frage, was die Sonne sei, zu hören bekommt: «Die Sonne ... ist ein Planet, und dann Jesus, der ein anderer Planet ist ... Und die Erde dreht sich um die Sonne, und sie dreht sich um den Glauben.» Allerdings ist Paolo vorschnell und ungeduldig und schafft es daher kaum, den Leuten die wissenschaftliche Sicht zu vermitteln. Als er schliesslich den Vorwurf erhebt, es mangle ihnen an Vertrauen in die Wissenschaft, bekommt er prompt zu hören, es sei doch eigentlich die Wissenschaft, die allem misstraue.
Mit der Zeit aber lernt der Wissenschaftler aus der Grossstadt die Bergler kennen. Etwa den älteren Mann, der ausdauernd die Gesellschaft einer Witwe sucht, oder die junge Züchterin, die mit ihrem Mann einen Hof führt und furchtbar leidet, wenn sie sich beim Verkauf von einer Kuh trennen muss. Auf der Beziehungsebene kommt Paolo ihnen näher als auf der wissenschaftlichen Ebene, und allmählich wächst in ihm eine unerwartete Empathie für diese von Tradition und Natur geprägte Gemeinschaft.
Wie ein Bärtierchen, das sich in schwierigen Umständen abschottet und so überlebt, um danach aus seiner scheinbaren Totenstarre zu erwachen, wenn die Bedingungen besser sind, taut auch Paolo auf und öffnet sich, als seine persönliche Situation dies zulässt. Sein Blick, den er nach oben in die unendlichen Weiten des Alls richten wollte, auf der Suche nach unbekannten Lebensformen, nimmt nun die von ihm bisher unberücksichtigten Lebensformen in unmittelbarer Nähe wahr: die Menschen in Lignan.
«Segnali di Vita» ist ein leiser, ruhiger Film, selber angesiedelt irgendwo zwischen Dokumentation und Fiktion. Er zeigt das menschliche Bedürfnis, durch den Austausch mit anderen ein tieferes Verständnis seiner selbst zu gewinnen. Der Film beleuchtet auch Gegensätze, etwa jenen zwischen Stadt und Land oder jenen zwischen Wissenschaft und Glauben – zwei Welten, die weniger unvereinbar sind, als es zuerst den Anschein macht. Und er ist eine Meditation über Einsamkeit und über Werden und Vergehen – wie der Sternenstaub, der einst in einer Supernova entstand und aus dem wir gemacht sind.
«Segnali di Vita» läuft ab dem 27. Februar in den Deutschschweizer Kinos.