Ihr habt's alle mitbekommen: Amazon kauft die James-Bond-Franchise. Nach fast 60 Jahre Jahren im Besitz der Produzenten-Familie Broccoli (anfänglich Albert R. 'Cubby' Broccoli, danach dessen Tochter Barbara Broccoli und Stiefsohn Michael G. Wilson) geht nun die kreative Kontrolle der Marke «James Bond 007» an Amazon MGM Studios über.
Was bedeutet dies für Bond, James Bond?
Nun, die einzig korrekte Antwort lautet aktuell: Wir wissen es nicht. Es ist zu früh. Alles ist Spekulation.
Bond-Fans, aber, zeigen sich besorgt. Denn per sofort ist die Ausgangslage grundverschieden. Bis anhin gehörte die Traditionsmarke «Bond» einer Familien-Dynastie, die seit Urbeginn mit der Filmfigur verbunden war. Neu gehört sie der Tech-Oligarchie Amazon. (Die Tatsache, dass 007 nun einem übermächtigen globalen Konglomerat gehört, dessen Boss einen perfekten Bond-Schurken abgeben würde, gleicht einer Ironie des Schicksals. Aber das nur nebenbei.)
Bisher war also die Identität der Figur James Bond unter der Kontrolle der wenigen Individuen der Broccoli-Familie, die nicht nur finanziell investiert waren, sondern letztendlich auch emotional. Cubby Broccoli hatte quasi die Film-Version der Romanfigur James Bond erschaffen. Während 007 über die Jahrzehnte einige Veränderungen erleben musste, achteten die Broccolis trotzdem immer tunlichst darauf, dass er der literarischen Vorlage von Ian Fleming treu blieb. Aus diesem Grund wurde James Bond nie zu einem amerikanischen CIA-Agenten umgeschrieben, etwa.
Amazon MGM, hingegen, werden letztendlich sicherstellen wollen, dass sich ihre Investition auszahlt. Maximale Gewinnorientierung ist oberste Priorität. Und somit dürften weit weniger Skrupel bestehen, mit Traditionen zu brechen, sollten daraus kurzfristige Gewinne winken.
Der Vergleich drängt sich auf: 2012 kaufte Disney «Star Wars». Seither folgten drei epische Spielfilme in der Tradition der originalen «Star Wars»-Trilogie – aber auch Standalone-Spin-offs und Origin Stories, sowohl als Filme als auch als Streaming-Serien, die Figuren und Geschichten aus dem erweiterten «Star Wars»-Universum einen Platz gaben.
Ein James-Bond-Universum, also, analog «Star Wars» oder Marvel?
Durchaus denkbar. Und – ich habe dies an früherer Stelle bereits gemunkelt – durchaus machbar.
Ja, der nächste grosse 007-Schinken kommt bestimmt. Doch Spin-Offs könnten durchaus interessant sein.
Etwa: Lashana Lynch machte in «No Time To Die» als Agent Nomi eine gehörig gute Figur. Und eine, die durchaus ausbaufähig wäre. Ein Action-Thriller-Format wäre denkbar; die Handlung könnte kurz nach dem Ende von «No Time To Die» ansetzen und der Cast – M, Q, Moneypenny – grösstenteils beibehalten werden. Und dies im Streaming-Serienformat, während man im Hintergrund den ‹grossen› Relaunch vorbereitet. Ginge.
Oder: Da ist ja noch die gemeinsame Tochter von Madeleine Swann und James Bond – Mathilde. Ein Standalone Spin-off wäre denkbar. Die Handlung würde zirka 20 Jahren nach dem Ende von «No Time To Die» anknüpfen – ähnlich wie «Star Wars VII» Jahrzehnte nach dem Ende des vorangegangenen Films ansetzte. Neue Charaktere würden eingeführt, kombiniert mit einigen Wiedersehen aus der Vergangenheit.
Oder: Hey, bei jedem Casting für einen neuen Bond-Darsteller wurden wir stets von Michael J. Wilson daran erinnert, dass 007 nicht zu jung sein darf, denn «er ist bereits ein Veteran ist. Er hat Kriege mitgemacht». Na, was ging da eigentlich ab, in der Zeit, bevor er von der MI6 rekrutiert wurde? Hier hätte man die perfekte Origin Story.
Hauptfilme und zahlreiche Spin-offs – ein Erfolgsmodell, also?
Für Disney, zumindest, ist die Bilanz bisher durchzogen – zumindest qualitativ. Der erste Disney-«Star Wars»-Film, die siebte Folge der Skywalker-Saga, «The Force Awakens» (2015), war durchaus gelungen und huldigte der von George Lucas geschaffenen Welt mit grossem Respekt. Weil er aber ein Übergangsfilm darstellte, die Verbindung zwischen der beliebten Original-Trilogie und der neuen Disney-Ära, war er in gewisser Weise einfacher zu bewältigen, da derart viele Figuren, optische Anhaltspunkte und Handlungsstränge auf die ursprünglichen Trilogie wiesen. (Auf ähnliche Weise stützten sich auch die Reboot-Bondfilme «GoldenEye» (1995) und «Casino Royale» (2006) stark auf kanonische Ikonografie – Aston Martin etc. –, um Vertrautheit und Kontinuität zu signalisieren, während ein neues Gesicht der Hauptfigur eingeführt wurde.) Als es dann darum ging, die Skywalker-Saga fortzusetzen, schnitten die beiden nachfolgenden Episoden VIII und IX weitaus schlechter ab und wurden von den Kritikern in vielerlei Hinsicht zu Recht verrissen. Blüht 007 ein ähnliches Szenario? Ein geiles Debut und danach Enten?
Auch bei den «Star Wars»-Spin-offs ist die Bilanz durchzogen. «Rogue One» (2016) ist der vielleicht beste Star Wars-Film überhaupt. «Solo» (2018) ist zwar besser als sein Ruf und daher unterschätzt, aber bei Kritikern und Box Office letztlich ein Flop. Die Serien wiederum begannen mit einem Hoch mit der ersten Staffel von «The Mandalorian», doch die folgenden Staffeln verkamen schleunigst zu einer infantilen Farce. Und je weniger Worte wir über «The Book of Boba Fett» und «Obi-Wan Kenobi» verlieren, umso besser. Im Gegensatz dazu war «Andor» eines vom Grossartigsten, das je dem «Star Wars»-Universum entsprungen ist. Letztendlich hat aber Disney mit der Marke «Star Wars» 12 Milliarden Dollar verdient und somit fast das Dreifache ihres Kaufpreises für Lucasfilm (4,05 Milliarden) reingeholt.
Will heissen: Kommerziell dürfte sich der James-Bond-Kauf über kurz oder lang auszahlen. Was die Qualität der Filme oder allfällige Spin-Offs betrifft: Potential ist im Überfluss vorhanden. Es liegt letztlich an der Umsetzung.
Nochmals: Wir wissen noch nichts. Dies ist alles Spekulation. Aber: Amazon wäre gehörig töricht, die Figur James Bond allzusehr zu verändern. Denn Bond besitzt wie kaum eine Ikone der Populärkultur genau jene Attribute und Qualitäten, die in der Welt des Marketingkapitalismus das kostbarste Gut darstellen: Authentizität. Glaubwürdigkeit. Markenerkennbarkeit. Überall auf der Welt werden Vermögen ausgegeben, um irgendwelchen Produkten eine «Identity» hinzuschustern. Bei 007 ist dies bereits im Paket mit dabei. Und diese Identity ist bei Bond derart stark, dass sie bereits mehr als 60 Jahre lang Neubesetzungen, fragwürdige Product Placements und manchmal mangelhafte Regiearbeit locker wegstecken konnte. Bond bleibt Bond.
Ihr habt da etwas ungemein wertvolles erstanden, Amazon, und damit die Möglichkeit, Grossartiges zu schaffen. Verkackt es jetzt einfach nicht, okay?