Während der blutigen Wirren der chinesischen Kulturrevolution Ende der 60er-Jahre wird die Physikerin Ye Wenjie in die geheime Forschungsstation «Rotes Ufer» strafversetzt. Deren Zweck: Das Weltall nach Zeichen ausserirdischen Lebens scannen. Ye Wenjie empfängt tatsächlich eine Botschaft – und sendet eine fatale Antwort.
In der Gegenwart passieren seltsame Dinge, die auf gigantische Umwälzungen vorausdeuten: Die Sterne im Universum zwinkern und blinzeln Lichtsignale, Naturwissenschaftern erscheint ein Countdown vor den Augen. Manche nehmen sich das Leben, andere stellen ihre Grundlagenforschung ein. Und in einem hoch entwickelten Virtual-Reality-Game müssen Spieler eine fremde Welt vor der todbringenden Konstellation dreier Sonnen retten.
Anders als im Roman ist die Serie internationalisiert, spielt nicht nur in China und der inneren Mongolei, sondern unter anderem in Oxford und London. Die Zahl der Figuren ist gewachsen, der Cast weiblicher. «3 Body Problem» («Die drei Sonnen» in der deutschen Übersetzung) ist der erste Band von Cixin Lius «Trisolaris»-Trilogie. Im Englischen trägt diese den unschlagbaren, an Marcel Proust angelehnten Titel «Remembrance of Earth’s Past».
Die einfachste Antwort: Weil Prominente wie Barack Obama oder Mark Zuckerberg das Buch bereits um 2014 stark gemacht und einen Hype erzeugt haben, ehe es dazu Booktok brauchte. Mehr als neun Millionen Mal verkaufte sich die Trilogie seitdem weltweit. Man muss eine gewisse Nerd-Affinität mitbringen, dann fesselt vor allem der erste Roman mit abgebrühter Kälte und einem Sinn für überkandidelten Gigantismus. Die Figurenzeichnung fällt allerdings schablonenhaft aus, die Dialoge sind häufig hüftsteif gestaltet.
«Trisolaris» ist auf den globalen Markt ausgerichtet. Stünde nicht der chinesische Autorenname drüber, könnte die Bücher weitgehend ein Westler geschrieben haben. Die Handlung bietet eher Unterhaltung als ambitiöse Literatur wie bei Stanisław Lem oder Isaac Asimov. Ein Phänomen, das der Literaturwissenschafter Moritz Bassler als «Midcult» bezeichnete: Die Einebnung von stilistischen Eigenheiten und innovativer Sperrigkeit zugunsten einer internationalen Vermarktbarkeit.
Anschaulich sind die eingebauten mathematischen und physikalischen Lektionen. So wird an einem Billardtisch das Dreikörperproblem erklärt; die Unmöglichkeit vorherzusagen, welche Bahnen drei Körper unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen Anziehung nehmen werden. Auch über die Frage, wer eigentlich davon profitieren sollte, wenn Aliens auf der Erde landen, lohnt das Nachdenken. Der Autor arbeitete bis Ende der 90er-Jahre hauptberuflich als Computer-Ingenieur in einem Kraftwerk.
Eine deutliche Delle erhielt das Image von Cixin Liu, als er 2019 in einem ausführlichen Porträt im «New Yorker» die Repressionen der uigurischen Minderheit durch die chinesische Regierung guthiess. Im gleichen Stück sagte der Autor bemerkenswerterweise, dass «die Hölle auf Erden losbräche, wenn sich China in eine Demokratie verwandeln sollte».
Fünf US-Senatoren schickten darauf einen erzürnten Brief an Netflix-Co-Chef Ted Sarandos mit der Bitte, er möge sich die geplante Adaption nochmals überlegen. Der Streamingdienst konnte die Bedenken mit geübtem PR-Sprech à la «Wir haben mit dem Autor ja nichts zu tun» abwiegeln, seitdem ist es ruhig um die Kontroverse geworden.
Unter Mao war Science-Fiction noch ein Tabu. Der Glaube an die Existenz von Aliens vertrug sich schlecht mit marxistischem Materialismus. Nicht zuletzt dank des Erfolgs von Cixin Liu boomt das Genre heute, wird zuweilen sogar von der Regierung gefördert. Chinesische Autoren erhielten mehrfach den internationalen Hugo-Award, die wichtigste Auszeichnung für Science-Fiction-Literatur.
Aber unproblematisch ist das Verhältnis zum Staat deshalb nicht, erst recht nicht unter Xi Jinping. Letzten Oktober fand die Hugo-Verleihung zum ersten Mal in China statt, in der Metropole Chengdu. Wie der «Guardian» kürzlich berichtete, entstand dabei eine Kontroverse um Autorinnen und Autoren, die vom Preis ausgeschlossen wurden – möglicherweise, weil sie Themen wie Tibet in ihren Werken adressiert hatten, die der Regierung nicht genehm waren.
Nicht nur in diesem Fall, sondern ständig bewegt sich die Literatur im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Freiheit und staatlichen Zwängen. Unverstellte Kritik an Chinas Politik ist innerhalb des Landes praktisch nicht möglich. Es müssen schon gewiefte Verfremdungseffekte her, mit denen die Zensur umgangen werden kann.
Autoren wie Chen Qiufan («Die Siliziuminsel») verlagern ihre Schauplätze auf fiktives Terrain der Zukunft, adressieren dabei aber reale Missstände wie eine gigantische Elektroschrotthalde. Hao Jingfang, die 2016 als erste Chinesin für ihre Erzählung «Peking falten» den Hugo-Award gewann, separiert darin die chinesische Hauptstadt in drei Zonen, was Interpretationen zur sozialen Schieflage im Land offenlässt.
2019 sagte sie so diplomatisch wie vielsagend: «Eure Ängste, die Ängste des Westens gegenüber China, resultieren zu einem grossen Mass aus Unverständnis. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass China wichtige Reformen benötigt. Doch sie müssen mit der tausende Jahre alten Geschichte einhergehen.»
Die Science-Fiction-Literatur spiegelt zunächst den gigantischen Aufstieg, den China in den letzten Jahrzehnten hingelegt hat. Die Erkenntnis, «dass das 19. Jahrhundert das von Grossbritannien ist, das 20. jenes der USA und das 21. das von China werden wird», ist der Geschichtswissenschaft längst vertraut. Erst allmählich spürt man allerorts die vollen Auswirkungen. Die Welt schielt derzeit auf ein Russland, das vergangener Grösse hinterherfiebert. Doch die Zukunft gehört dem Reich der Mitte.
Die Erfolge, für die sich China feiert, scheinen selbst einer futuristischen Fantasie entsprungen: Rund 900 Millionen Menschen sind seit den 80ern der absoluten Armut entronnen; dies allerdings mit umstrittenen Standards. Das Land hat das grösste High-Speed-Schienennetz der Welt, mitverwaltet von künstlicher Intelligenz. Für viele afrikanische Länder ist China wichtigster Partner geworden, in Lateinamerika buhlt man gegen Taiwan um die Gunst. Derzeit entwickeln chinesische Forscher ein Projekt, das wie Science-Fiction klingt: ein Energieschild aus Plasma gegen Strahlenangriffe.
Die Schattenseiten der technologischen Entwicklung sind allerdings dystopisch: Totalüberwachung und Unterdrückung. Die chinesische Bevölkerung ist von Teilen des Internets abgeschnitten. Das Sozialkredit-System belobigt für die Regierung wünschenswertes Verhalten mit Punkten. Entstehen soll ein Musterbürger, der sich als Einzelner unter allen perfekt in das vage Konzept von der «Schicksalsgemeinschaft der Menschheit» einfügt. Dieses ist im Kern eine Weltordnung unter der sanften, ordnenden Führung Chinas.
Der globale Erfolg seiner Science-Fiction-Werke ist für China die ideologische Soft-Power, mit denen diese Grossmachtsstärke demonstriert werden kann. Etwas von diesem Geist ist trotz aller Mehrdeutigkeit auch bei Cixin Liu zu finden, der stets betont, dass er nur gute Geschichten schreiben will. Freilich weitaus subtiler als in amerikanischen Thrillern während des Kalten Krieges stellt sich in «Trisolaris» die Führungsrolle Chinas dar: Als Nation, die um Probleme weiss, die gewichtiger sind als die mickrigen Konflikte auf der Erde, und die bereit ist, entschlossen zur Lösung voranzuschreiten.
Die Erwartungslast wog schwer auf den Serienschöpfern David Benniof und D.B. Weiss, nicht nur wegen eines kolportierten Budgets von 160 Millionen Dollar. Einerseits sind die beiden wesentlich für die Entstehung des inzwischen zum Serienkanon zählenden «Game of Thrones» verantwortlich. Andererseits auch für ihr Ende, bei dem wegen fehlender Buchvorlage improvisiert werden musste und das so schlecht ankam, dass enttäuschte Fans in einer Petition einen Neudreh forderten.
Obwohl hier nun alle drei Romane vorliegen, treten die Macher, die sich Unterstützung von Alexander Woo geholt haben, zu Beginn von «3 Body Problem» arg auf die Bremse. Vorsichtig, fast behäbig agierend, hangelt sich die Serie in routinierten Hochglanzbildern an den Plotpoints entlang. Drei, vier Folgen braucht sie, ehe sie an Fahrt aufnimmt und das grössere Bild hinter den seltsamen Ereignissen offenbart: Diesmal ist es nicht der Winter, der kommt.
Ein echtes Manko ist die breite Figurenriege, deren einzelne Geschichten sich verstreuen und deren Schauspieler (darunter bekannt: Benedict Wong und John Bradley) teils zu glatt und uncharakteristisch bleiben. Wer das Buch nicht kennt, könnte auf diesem Weg durchaus verloren gehen, denn hohes Identifikationspotenzial bleibt aus. Ebenso wie die philosophische und physikalische Komplexität der Vorlage, die hier auf brave Sprüche reduziert wird.
Immerhin, im weiteren Verlauf hält die Serie noch manchen Moment bereit. Besonders bei den Szenen in der Welt des Virtual-Reality-Spiels haben sich die Macher ausgetobt: Wenn Millionen von Soldaten mit Fahnen einen menschlichen Mega-Computer bilden, kommt durchaus das Gefühl von schwindelerregender Grösse auf. Fazit: Ein solider Start zu womöglich Gewagterem ist «3 Body Problem» gelungen, auf den Griff nach den Sternen wartet man noch.
... Warum auch wohl :-P