Ist das jetzt genial? Oder komplett bescheuert? Auf jeden Fall nichts dazwischen. «Better Man» ist ein radikal durchgeknallter Film. Und vielleicht das konsequenteste Popstar-Biopic aller bisheriger Zeiten. Und das auf britische Art albernste seit «Spice World» von den Spice Girls.
Robbie Williams lässt sich nämlich von einem Affen spielen. Nicht von einem echten natürlich, von einem computertechnisch in einen Affen verwandelten Schauspieler. Die Firma, die einst «Lord of the Rings» zum fantastischen Spektakel gemacht hat, steckt dahinter, es gibt Robbie-Äffchen und -Affen in diversen Lebensabschnitten, alle anderen Rollen werden von unverfremdeten Menschen gespielt.
Zuerst ist das höchst irritierend, ein Riesenquatsch, denkt man sich, wenn auch ein herziger Quatsch, wer kann schon dem patenten Affenkind aus Stoke-on-Trent widerstehen, das in bescheidene, aber herzliche und höchst musikalische Verhältnisse hineingeboren wird, das schlecht in der Schule ist, aber jedes Problem mit seiner Street-Smartness und seinem Mundwerk lösen kann.
Und dann, ganz langsam, macht das Affentum immer mehr Sinn (okay, seltsam bleibt es IMMER). Robbie ist das immer etwas archaischere, immer etwas wildere Zirkustier im Boyband-Umfeld von Take That, mit 16 Jahren zum Teenie-Idol geformt, und bald der Absturz, die Drogen, die Dämonen, der Rausschmiss aus der Band, Solo-Karriere und Rettung. Die klassische Hagiographie eines Popstars, meint man zu Beginn.
Es sei wie «Trainspotting» mit einem Affen, sagt Robbie Williams, der den Film als Erzähler begleitet und der restlos alle Robbie-Texte selbst entwickelt hat. Weshalb sie eben sind wie Robbie: dichte Gewebe aus viel, viel britischer Ironie und universeller Sentimentalität, aus Ehrlichkeit und Pose, aus Grössenwahn und Selbstgeisselung, eine Feier der eigenen Seele und ihrer Verachtung und immer, immer nach Erlösung suchend, in der Liebe, im Leben, den Drogen, den Witzen. Kein Wunder, dass er eines seiner Alben «Escapology» getauft hat.
Mit dem Affen lässt sich Robbies Geschichte anders erzählen als herkömmliche Biopics. Roher, krasser, kreatürlicher. Robbie selbst hätte sich ursprünglich zwar lieber von einem Löwen vertreten lassen, doch zum Glück bestand der australische Regisseur Michael Gracey (er ist für das Zirkus-Spektakel «Greatest Showman» bekannt) auf dem Affen. Das Tier mit dem menschenähnlichen Gesicht, in dessen Mimik sich zwei Gefühlswelten zugleich zu spiegeln scheinen. Im Film verstärken sie sich gegenseitig, es ist ein Spass, Robbies Überheblichkeit derart vergrössert zu sehen und schier unerträglich, wenn er leidet.
Auf dem Höhepunkt seines halluzinogenen Elends gleitet er in game-ähnliche Szenen, in denen er unzählige, monströse Kopien seiner selbst umbringen muss. Das ist schizoid und narzisstisch in einem und macht als drogeninduzierte Fantasie absolut Sinn. Und die Geschichte von Robbie Williams und Nicole Appleton, der All-Saints-Sirene, wird mit dem Affen zum Märchen von der Schönen und dem Tier, mit einem unglücklichen Ende allerdings.
«Better Man» heisst der Film nach einem Song von Robbies Album «Sing When You're Winning». Und er ist, wie das von Gracey zu erwarten war, bombastisch. Ein rauschhafter, schneller, getriebener, pompöser Musikfilm mit vielen grandios inszenierten Nummern, einige sind wild, einige sind rough, andere hart am Kitsch und immer auch alles zusammen, aber genau das ist es doch, was Pop ausmacht, diese schamlose, leidenschaftliche Hingabe an jede Form von Gefühl.
Ausgerechnet der Tod der Queen machte Gracey übrigens den schmerzhaftesten Strich durch die Rechnung: Vier Nächte lang sollte die Londoner Regent Street für eine besonders spektakuläre Tanznummer zu «Rock DJ» gesperrt werden, zwei Tage vor dem Dreh erhielten sie die Absage, die Queen war tot und die zehntätige Staatstrauer erlaubte keine Filmarbeiten auf öffentlichem Grund. Mehrere Millionen des Budgets gingen so verloren, es gibt in England keine Möglichkeit, sich gegen den Tod eines Monarchen zu versichern.
Die grösste Zeit von Robbie Williams waren die 90er- und die ganz frühen Nuller-Jahre. Seine Songs sind nicht für die Ewigkeit. Doch damals waren sie Hymnen. «Angels», «Feel», «Supreme», «Rock DJ», die Aufzählung nimmt kein Ende, Zeilen wie «they're selling razor blades and mirrors in the street» aus «Come Undone» wurden von allen armen jungen Seelen verstanden, die schon jemals an Selbstverletzung oder Suizid gedacht hatten. Robbie Williams war damals, für einen pulsierenden Moment die offene Wunde, die wir alle spürten, und die wir wie er mit Sarkasmus zu verbergen suchten. Damals war er riesengross und sehr, sehr unglücklich. Von alledem erzählt der Film.
Seit zwanzig Jahren ist Robbie clean, seit 19 Jahren mit seiner Frau Ayda Field zusammen und seit einigen Jahren Vater von vier Kindern. Alles ist gut geworden. Doch den Affen, den macht er immer noch gern.
«Better Man» läuft ab dem 1. Januar im Kino (in der ursprünglichen Fassung dieses Artikels war irrtümlicherweise vom 26. Dezember die Rede).