Dies ist die Geschichte einer wunderbaren Freundschaft. Die Geschichte eines jungen Mannes, der sich befreien wollte. Und die Geschichte seines besten Freundes, der alles zurückstellte, um diese Befreiung zu ermöglichen. Ein Happy End, das Abermillionen von Fans mit ihren Tränen begossen.
Es ist die Geschichte von Wham!, einer Band, die Anfang der 80er-Jahre fürs Jungsein stand. Dafür, dass man das Leben geniessen muss, auch wenn die äusseren Umstände beschissen sind. Tanzen statt Depression. Der Club als Therapie gegen die Arbeitslosigkeit. Lasst das Alte sterben. Und alles mit einem Ausrufezeichen verstärkt. «Wham! Bam! I am a man!», wie George Michael und Andrew Ridgeley einst sangen.
Als der 11-jährige Georgios Kyriakos Panayiotou 1975 in Nordlondon in eine neue Schule kommt, ist er ein scheuer, kleiner und – wie er selbst sagt – «schweinchenartiger» Brillenträger. Sein Vater ist Wirt und kommt aus Zypern, sein Grossvater war ein Schafhirte in Griechenland. Georgios soll einmal eine akademische Karriere machen und am besten Arzt werden. Doch Georgios wird von einem Mitschüler namens Andrew unter die Fittiche genommen, und Andrew findet Lernen das Letzte.
Die beiden sind unzertrennlich, mit 16 gründen sie die Ska-Band The Executive, ein Misserfolg sondergleichen, 1981 mit 18 Wham!. Auf ihrem ersten Demotape sind «Club Tropicana», «Careless Whisper» und «Wham Rap!». Der Karrierestart ist ein Rumkrebsen in den Charts, einmal schaffen sie es bis Platz 42, sie gelten als «sozialkritischer Funk» und Georgios nennt sich jetzt George Michael, ein ungemein geschmeidiger Künstlername, ein bisschen wie Michael Jackson. George weiss, wo er hin will: nach ganz oben.
Im Dokumentarfilm «Wham!» von Chris Smith (der unter vielem anderen auch der Produzent von «Tiger King» ist) reden George und Andrew über ihre gemeinsame Zeit. Also der tote George und der lebendige Andrew. Denn von George Michael sind genügend Tondokumente erhalten, um sie mühelos in eine kohärente Erzählung zu schneiden.
Viele der Bildaufnahmen hat man noch nie gesehen, etwa diejenigen der China-Tour von Wham!: George und Andrew hatten die Idee, sich in China von Lindsay Anderson dokumentieren zu lassen, der 1969 in Cannes die Goldene Palme gewonnen hatte, doch dann gefiel ihnen ihre Darstellung im Spiegel eines Hochkultur-Regisseurs derart nicht, dass die Aufnahmen nie an die Öffentlichkeit gelangten. Jetzt sind ein paar harmlose Ausschnitte daraus zu sehen, allerdings ohne Erklärung zu ihrer Entstehung.
Im Winter 1982 erreichen die beiden Platz 3 der Charts, ein Auftritt in «Top of the Pops» hat sie gerettet, für den nächsten Videodreh geht es nach Ibiza, und George verbringt seine erste Nacht mit einem Mann. Er schläft noch nicht mit ihm, aber am ganzen Rest hat er Freude, endlich ist ihm wohl. Er sagt Andrew, dass er schwul sei oder «mindestens bisexuell». Später sagt er: «Ich machte mir vor, bisexuell zu sein.» Andrew sieht kein Problem. Jedenfalls nicht für die Freundschaft.
Dass George als Popstar nicht schwul sein kann, ist beiden klar. Ein Popstar wie er lebt von der Verehrung der Mädchen. In Interviews erzählt George Michael von der Schönheit der Unterwäsche, die ihm auf der Bühne zufliegt. Ihm ist klar, dass er seine ganze Sehnsucht nach einer neuen Selbstverwirklichung in die Musik stecken muss, sie ist sein Ventil.
Andrew ist seinerseits klar, dass Michael der bessere Künstler ist. Der bessere Sänger, Songschreiber und Produzent. Derjenige von ihnen, der einst in eine Solokarriere ausbrechen wird. Es ist keine schmerzfreie Erkenntnis, aber die richtige. Und George wird sein Leben lang sagen, dass er Andrew alles verdankt. Den Mut und die Musik. Dass Andrew immer seine Stütze war und der Einzige, der ihm seinen Weg in der Kunst und im Leben gebahnt habe.
Es ist die Ironie der 80er-Jahre und ihrer Mode, dass Andrew ausgerechnet für das Schwulste verantwortlich ist, was Wham! zu bieten hat: den Look. Keine Jungs stehen in kürzeren Hotpants und mit mehr Hüftschwung auf der Bühne als die beiden. Ihr Pop kommt definitiv von Po. Kein anderer männlicher Künstler ist mehr in seinen Föhn verliebt als George Michael, er verbreitet krasse Prinzessin-Diana-Vibes, auch den Augenaufschlag scheint er ihr abgeschaut zu haben.
Wham! ist knallbunter Eighties-Spass, auf der Bühne eine Kreuzung zwischen Pop und Aerobic, die unschuldige Fassung von Queen. Nur ab und zu grätschen Songzeilen dazwischen, die in der Erinnerung liegen bleiben wie Blei, dadaistische Poesie, etwa der Kampfruf «Death by matrimony!» (Tod durch Ehe) oder «guilty feet have got no rhythm» (schuldige Füsse haben keinen Rhythmus).
Das Verblüffendste und auch Tragischste am Dokfilm von Smith ist George Michaels absolute Fixierung auf Erfolg. Alle seine Selbstsicherheit findet er im Applaus, wenn eine Single oder ein Album nicht auf Platz 1 der Charts landet, ist er zerstört. Die Superkatastrophe für sein Ego geschieht vor Weihnachten 1984: George Michael steht sich in den Charts selbst im Weg! Bob Geldofs Äthiopien-Hilfsprojekt Band Aid, in dem auch er mitsingt, steht mit «Do They Know It's Christmas?» auf Platz 1. Die Sentimentalitäts-Lawine «Last Christmas» nur auf Platz 2.
1985 touren Wham! als erster westlicher Pop-Act durch China, es gibt nichts Anstössiges an ihnen und auch ihre Texte sind längst nicht mehr sozialkritisch. Andrew sieht keinen Sinn mehr darin, gegen ein System zu singen, zu dessen Establishment er jetzt gehört. Man kann Wham! wirklich keinerlei Tiefgang unterstellen. Doch das dürfte auch der Fehler von Smiths Film sein. Von diesem heiteren Kaleidoskop aus Lustigem und Verspieltem. Man muss sehr genau hinschauen und -hören, um die geheimen Dunkelzellen hinter der Fassade zu erahnen.
George bleibt unersättlich. Er will immer noch mehr und das Mehr heisst jetzt Freiheit: «Ich realisierte: Oh mein Gott, ich bin ein riesiger Star! Doch das Deprimierende daran war, in welche Schublade ich mich gesteckt hatte.» Am 28. Juni 1986 geben die beiden ihr Abschiedskonzert im Wembley-Stadion, es heisst «das Finale», Andrew sagt, er hoffe, sich «mit Anstand» zurückzuziehen, er ist schon länger nur noch der Backgroundsänger von George.
«Wham!» bleiben forever young, beim Abschied sind die beiden 23 und haben 35 Millionen Tonträger verkauft. George Michael wird noch einmal 120 Millionen als Solokünstler verkaufen, er wagt ohne «Wham!» mehr, wird erwachsen, provokativer, skandalöser – und hat endlich sein Coming-out. Andrew versucht sich als Rennfahrer, Schauspieler und Solokünstler und Barbetreiber. Sein grösster Erfolg wird seine «Wham!»-Biografie, die er nach dem Tod von George schreibt. 2020 steht «Last Christmas» zum ersten Mal an der Spitze der Charts.
Es waren einmal zwei Freunde. Der eine klebte einen Zettel auf seine Schlafzimmertüre, auf dem stand: «Wake me up up before you go go», klare Schreibfehler eines Alkoholisierten. Der andere las den Zettel, strich ein «Up» und machte daraus einen Welthit.
«Wham!» läuft jetzt auf Netflix.
Danke für das tolle Review Frau Meier
... und seine Musik hat Geschichte geschrieben. Zweifellos ein begnadeter Musiker... Gott hab' ihn seelig...