Rosa ist jung, hübsch, blond, kerngesund und Sekretärin. Ihr Mann ist an der Front, ihre Wohnung in Berlin zerbombt, deshalb zieht sie zu den verarmten Schwiegereltern nach Ostpreussen. Dumm nur, dass deren Nachbar Hitler heisst. Verschanzt im Führerhauptquartier Wolfsschanze. Und völlig paranoid.
Denn Rosa (Elisa Schlott) wird mit sechs anderen ebenso jungen, gesunden und sehr hungrigen Frauen als Vorkosterin zwangsrekrutiert: Die sieben müssen Tag für Tag für Tag, gut zwei Jahre lang, das Essen testen, das dem Führer vorgesetzt wird – es könnte ja vergiftet sein. Die Panik unter den Frauen ist bei aller Freude über das Essen gross. Oft müssen sie unter vorgehaltener Pistole Hitlers vegetarische, alkoholfreie Mahlzeiten runterwürgen. Krankheit oder Schwangerschaft sind keine Entschuldigung für Appetitlosigkeit. Zum Glück gibt sich der Koch wirklich viel Mühe und versucht, sein französisch antrainiertes Niveau beizubehalten.
Einer von Hitlers loyalen Untergebenen ist besonders brutal (Max Riemelt). Logisch, dass Rosa masturbieren muss, wenn sie an ihn denkt. Und logisch, dass die beiden schliesslich viel Sex im Heu haben. Und dass auch im Brutalonazi ganz selten mal eine feine, von den Kriegsgräueln erschütterte Menschenseele rumort.
Okay, wir sind im Film, der autoritäre Uniformträger mit Herz und die politisch ignorante Zivilistin, die völlig unschuldig in die Machenschaften der Nazis hineingezogen wird, sind zwei der vielen (und wachsenden) Zwangsneurosen von Filmemachern, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg befassen. Und die so mit Kitsch und Klischees an einer schleichenden, leichtfertigen Rehabilitierung der Täter mitarbeiten.
Der italienische Regisseur Silvio Soldini ist ein Fachmann für das Allzumenschliche, vor genau 25 Jahren hat er mit seinem Hit «Pane e tulipani» alle Ehepaare über 45 fundamental verunsichert: Er liess da nämlich eine scheinbar glückliche Ehefrau und Mutter den Ausbruch wagen und den Aufbruch nach Venedig, wo sie sich als neuverwirklichte Floristin und Akkordeonistin in Bruno Ganz verliebte.
Jetzt hat Soldini den Bestseller-Roman «Le assaggiatrici» (Die Vorkosterinnen) der italienischen Autorin Rosella Postorino verfilmt. Die ihren Roman wiederum an die Erinnerungen von Margot Wölk angelehnt hat. Wölk erzählte 2012, mit 95 Jahren, zum ersten Mal von ihrer Zeit als «Versuchskaninchen» auf der Wolfsschanze. Und davon, wie sie dort das Stauffenberg-Attentat miterlebt und Hitlers Schäferhund beim Spielen zugeschaut habe. Und wie ihr als einziger Vorkosterin die Flucht nach Berlin gelungen sei, alle ihre Kolleginnen seien von Soldaten der Roten Armee exekutiert worden.
Es war ein Stoff, den damals noch niemand kannte, er elektrisierte die Medien und die Öffentlichkeit, Hitlers Angst, vergiftet zu werden, war bekannt, doch dass er Frauen dazu abkommandiert hatte, Tag für Tag ihr Leben für ihn zu riskieren, das war neu.
Leider war Margot Wölk der einzige Mensch weit und breit, der darüber Bescheid wusste. Von den 2000 Leuten, die in der Wolfsschanze gearbeitet hatten, gab es nicht die Spur eines Hinweises auf die Existenz von Vorkosterinnen. Und auch logistisch machten die von Wölk beschriebenen Ereignisse keinen Sinn. War Wölk eine Hochstaplerin? Verwirrten sich im Kopf einer traumatisierten alten Frau die Erinnerungen? Oder hatte sie recht? Wenigstens teilweise? Bis heute lassen sich diese Fragen nicht abschliessend beantworten. Wölk ist 2014 gestorben.
Rosella Postorino interessierten die historischen Spitzfindigkeiten nicht. Die reine Möglichkeit der Ereignisse genügte ihr, schliesslich wollte sie einfach gute Fiktion schreiben. Und Soldini hat nun genau diese Fiktion verfilmt. Das dürfen die beiden selbstverständlich.
Obwohl ... Jonathan Glazer hat 2024 mit seinem Auschwitz-Drama «The Zone of Interest» gezeigt, wie glänzend sich eine obsessive historische Recherche in eine Art von Fiktion umsetzen lässt, die uns noch einmal neu und schreckensstarr auf die Gräuel von einst blicken lässt. Das tun «Die Vorkosterinnen» nicht. Die sind weitere, höchst routiniert produzierte, süffig-sentimentale Zweit-Weltkriegs-Unterhaltung mit vielen absehbaren Einfällen.
PS: In der historischen Wirklichkeit der Wolfsschanze gab es übrigens keinen französisch inspirierten Diätkoch, sondern nacheinander zwei Köchinnen (was für Postorinos und Soldinis Thema «den Krieg aus Frauensicht erleben» vielleicht nicht ganz uninteressant gewesen wäre): Die erste wurde entlassen, weil ihre Ahnenlinie nicht rein arisch war, die zweite war bis zuletzt an Hitlers Seite. Gäste, die ihre Gerichte kosten durften, waren davon absolut nicht begeistert. Neben akzeptablen Desserts bevorzugte Hitler breiige, schleimige Speisen mit Rohkost.
«Die Vorkosterinnen» laufen ab dem 12. Juni im Kino.
Ein bisschen Masturbation im Führerhauptquartier, ein bisschen Frauenpower im Angesicht der Pistole, und schon wird aus der Wolfsschanze eine Bühne fürs Allzumenschliche.
Wer sich je gefragt hat, wie „50 Shades of Grey“ und „Der Untergang“ als Menüfolge schmecken – bitte sehr.